Werkbesprechung: „Silvana“ von Carl Maria von Weber
Ueber die Oper: Silvana, von Carl Maria von Weber, und deren Darstellung auf dem kön. Theater in Berlin.
In der jetzigen musikalischen Zeitperiode, wo auf der einen Seite, in den Opern der neueren italienischen Schule, nur dem Sänger, als solchem, auf Kosten des musikal. Charakters gehuldigt wird, wo alltägliche Flachheit und leere Seichtigkeit den ächten, guten Geschmack zu verdrängen drohen; auf der andern Seite, die herrschende Manier der neuern französischen Oper den Mangel des innern, im Gesange sich eigentlich aussprechenden Gemüthvollen der Kunst, durch gesuchte und bizarre Instrumentaleffecte zu ersetzen sucht – in dieser für die Vervollkommnung der Oper so wenig günstigen Periode, ist es eine wahrhaft erfreuliche Erscheinung für den Freund der Kunst, ein Werk hervortreten zu sehen, in welchem der Künstler den höhern Forderungen an die dramatische Musik mit so sichtbar glücklichem Erfolge zu genügen gestrebt hat. Feste Haltung und Einheit der Charaktere, Wahrheit des musikal. Ausdrucks, lebendiges, inniges Gefühl, originelle und doch nie überladene Instrumentalbegleitung, verbunden mit vorzüglicher Reinheit des Satzes: dies sind die wesentlichen Vorzüge, die der Oper Silvana einen bleibenden Werth geben. – Was aus der Fülle eines reichen und lieblichen Genius hervorging, hat der Künstler mit besonnener Hand geordnet; nirgends sind es wilde Auswüchse einer ungezügelten Phantasie, die den Genuss stören, und mit Wohlgefallen verweilen wir unter den freundlichen Gestalten, die unser Gemüth so mannigfach und so tief berühren.
Das Stück selbst hat, wenn man es auch von vielen Mängeln nicht frey sprechen kann, doch das Verdienst, einer, auf gute musikal. Situationen berechneten Anlage, und bietet sehr | glückliche Momente für den Tondichter dar. Auch die Ausführung mancher einzelnen Theile, die Versification und der Dialog, zeugen von einem nicht gewöhnlichen Geiste. – Da über die Fabel desselben schon in andern Zeitschriften gesprochen ist, so wollen wir hier gleich zu einer Uebersicht der einzelnen Musikstücke übergehen.
Die Ouverture hebt im langsamen Tempo mit drey im Unisono fortschreitenden Accorden an, durch welche ein bedeutender Moment des 2ten Actes, die Austheilung der Preise nach dem Turnier, späterhin bezeichnet wird. Die folgenden Sätze kommen zum Theil in der pantomimischen Scene der Silvana wieder vor, und das sich hieran schliessende Allegro hat einen klaren, heiteren Charakter, und wenn gleich wenig contrapunctische Arbeit, doch eine sehr reichhaltige harmonische Ausführung des Haupt-Gedankens. –
Erster Act. No. 1 Jagdchor. Das Hüfthorn schallt,Durch Berg und WaldVerbreitend Tod und Schrecken etc.
Wer die Schwierigkeit kennt, da neu zu seyn, wo, durch die allen Hornsätzen beywohnende Aehnlichkeit, eine gewisse Einförmigkeit fast nicht zu vermeiden ist, der wird sogleich in diesem Chor eine genievolle Behandlung, die sich sowol in dem wilden Unisono der Chorstimmen, als den auf dem Theater und im Orchester abwechselnd vertheilten obligaten 4 Waldhörnern darstellt, nicht verkennen. – Die Jagdtöne verhallen nach und nach, die Jäger verlieren sich auf den Bergen, und Silvana tritt schüchtern aus ihrer Höle hervor, in welche sie sich aber, bey dem Geräusch der zurückkehrenden Jäger, schnell wieder verbirgt. Die diesen Auftritt bezeichnende Instrumental-Einleitung ist so originell, dass wir uns nicht enthalten können, sie herzusetzen:
No. 2. Arie des Knappen Krips, nicht ohne komische Laune.
No. 3 Halloh, halloh!Im Wald nur lebt sichs froh etc.
Ein herrlicher Chor, voll frischer, jugendlicher Lebensfülle, der so kräftig und freudig einherschreitet, und in welchem die, mit auf- und absteigenden Viertelnoten begleitenden Hörner und Trompeten so recht lebendig und sinnvoll das kühne Selbstvertrauen der muthigen Jäger aussprechen.
No. 4. Recitativ und Arie des Gr. Rudolph. Eine Tenor-Scene, sehr schwierig auszuführen, aber dankbar, wenn sie einem gebildeten Sänger zufällt. Das Recitativ: So soll dies Herz nie Liebe finden – hat viele declamatorische Schönheiten. Nach dem Schlusse in D moll, leiten die Blase-Instrumente mit folgendem Satz:
in das sehr liebliche Andante ein, welches in F dur, als Dominante von B dur, schliesst, und mit dem originellen Satze, |
in ein leidenschaftliches, feuriges Allegro führt, in welches das liebliche Thema der Ouverture sehr glücklich verwebt ist. Glänzende Passagen am Schlusse geben dem Sänger Gelegenheit, seine Virtuosität geltend zu machen.
No. 5. Duett zwischen Krips und Graf Rudolph. Die durchdachte Anlage dieses Duetts, in welchem ein wiederkehrender, sehr angenehmer Instrumentalsatz:
¦und gute Arbeit der Stimmen, mit bestimmter Charakterzeichnung verbunden ist, machen dieses Stück zu einem der interessantesten der Oper.
No. 6. Arie des Krips. Leichtigkeit und naive Laune, die an die reizende Gattung der kleinen Arietten in Mozarts Figaro und Così fan tutte erinnert, zeichnen diese kleine Arie aus.
No. 7. Scene zwischen Rudolph u. Silvana. In dieser Scene entwickelt der Componist zuerst die Idee, der er bey der musikal. Darstellung der Silvana, die nur durch Zeichen reden darf, getreu geblieben ist. Die Instrumental-Musik muss hier an die Stelle des Gesanges treten, und gewöhnlich ist ein obligat hervortretendes Instrument Silvana’s Empfindungen zu malen bestimmt. Hier ist das Violoncell diese Hauptstimme *).
No. 8. Ein Rundgesang mit Chor, der ein sehr fassliches Thema hat und die heiterste Freude athmet, eröffnet das Finale des ersten Acts. Der Uebergang in das Einschlummern der Silvana, die von den Gefährten des Grafen Rudolph fortgetragen wird, ist von grosser Lieblichkeit, so wie der nach und nach verhallende und sich endlich in das leiseste pianissimo verlierende Chor der Jäger von ächt theatralischer Wirkung.
Zweyter Act. – No. 9. Der zweyte Act versetzt uns in eine ganz neue Scene, in welcher die sanfte Mechtilde ihren stolzen und rauhen Vater, Adelhart, vergebens zum Mitleid und zur Erfüllung ihrer liebenden Wünsche zu bewegen sucht. Dies affectvolle Stück hat eine imposante Grösse, und wir halten es, sowol in Hinsicht der musikalischen Declamation, als der schönen, bestimmten Haltung beyder Charaktere, für eins der gelungensten der Oper, ja für eins der besten Duetten dieser Gattung in der neuen theatralischen Musik überhaupt. Gleich der Eingang bezeichnet den wilden Adelhart sehr treffend: |
und die Bitte des strengen Vaters, der einen Augenblick von der Tochter Thränen erweicht, bald wieder in Zorn übergeht; so wie der steigende Affect in den Stellen:
„Wähle!“ – „Schonung, Mitleid!“ – „Ich befehle!“ – „Weh!“ – „Sprich ja!“ – „O schone mein!“ – bis zu der Fermate, in welcher das volle Orchester einfällt, wahrhaft ergreifend ist!
No. 10. Die folgende Scene der Mechtilde, in welcher sie die seeligen Tage ihrer Kindheit sich zurückruft, contrastirt angenehm mit der vorigen; sie ist lieblich und brillant zugleich.
No. 11. Ein Quartett, welches an musikalischem und dramatischem Werth No. 5 und 6 in keiner Art nachsteht: das Wiedersehen zweyer liebenden Paare, durch die innige Verschmelzung der schön und mit Sorgfalt gearbeiteten Stimmen bezeichnet, und mit origineller Instrumentalbegleitung ausgeschmückt! Von der Arbeit der Stimmen mag die folgende Stelle ein Beyspiel seyn:
|No. 12. eine recht charakteristische Musik zu einer pantomimischen Scene der Silvana.
No. 13. Wechselgesang Rudolphs u. Silvana’s, welcher an seelenvollem Ausdruck, besonders in dem ersten Satz des Adagio: „Ich liebe dich, darf ich dich fragen“ – noch No. 7. übertrifft. Die Hoboe repräsentirt hier die nur in Zeichen sich darstellenden Antworten, der, Rudolphs Liebe erwidernden Silvana, mit einer höchst lieblichen Zartheit. Dem Allegrosatze wäre vielleicht mehr Rundung und melodiöse Einheit zu wünschen.
No. 14. Arie des Krips. Eine muntere Kleinigkeit, die, hübsch vorgetragen, gewiss ihren Zweck nicht verfehlt.
No. 15. Finale. Das grösste und ausgesuchteste, aber auch vorzüglichste Stück der ganzen Oper. – Die ganze Behandlung dieses Ensembles, die darin immer im bestimmten Colorit aus der Masse der sehr kräftigen Chöre hervortretenden Hauptpersonen, die bedeutende Anlage des Ganzen, und insbesondre der, bis zum Schluss immer wachsende Affect, der endlich bis zur höchsten Kraft gesteigert ist, zeugen von dem musikal. Genie des Componisten, so wie von seinen ästhetisch gebildeten Ansichten. Der einleitende Marsch und Chor: „Triumph, Triumph dem Krieger!“ hat kühne und kräftige Harmonie und sehr glänzende Begleitung. Gut declamirt sind die Strophen Mechtildens bey der Preisaustheilung, und die Stelle: „Bestürzt steht er, betroffen“ etc. die von den drey Hauptstimmen und dem begleitenden Chor gesungen und von der originellen Figur der Violoncelle
begleitet wird, trägt einen heimlichen Schauer in sich, so wie die zarte, nach der Erkennung des fränkischen Ritters folgende Stelle: „O schone dessen, der frey sich dir genaht“ – nicht allein wegen der schön gearbeiteten Stimmen, sondern auch durch die reizende Instrumental-Figur
¦ hervorleuchtet. Von dem wilden Ausbruch Adelharts an: „Ich habe geschworen die blutigste Rache“ – der durch den unerwarteten Eintritt der Hörner in As dur bezeichnet wird, steigt die Leidenschaft unaufhörlich, und der mächtige Uebergang in Ddur bey der Stelle: „Haltet ein! nicht Rache!“ so wie der, von hier an in kräftigen, gewaltigen Massen sich bis zum Schluss mit wildem Feuer fortbewegende Chor ist von hoher tragischer und wahrhaft erschütternder Wirkung. –
Dritter Act. Der dritte Act enthält nur vier Musikstücke, und es ist zu bewundern, dass ungeachtet der,– im 2ten Act beynahe erschöpften Kraft keines derselben matt erscheint. – Der Chor, No. 16, während des Gewittersturms: „Wie furchtbar die Wolken sich schwärzen“ – ist düster und schauerlich gehalten, wozu die eigenthümliche Instrumentalfigur:
nicht wenig beyträgt. Wie ein lichter Punct tritt in dieser Finsterniss die schön empfundene Solostrophe Alberts: „Stets werd’ ich dich umschweben“ etc. hervor.
No. 17, ist eine sehr kräftige und ganz auf theatralische Wirkung berechnete Scene Adelharts. – Tief gefühlt ist die Stelle: „O Tochter, wende nicht den Blick“ – und der Schluss: „Wer mir mein Liebstes raubt, muss sterben“ – bezeichnet ganz Adelharts wilden Charakter.
No. 18. Ein Terzett voller Handlung und von grossem Effect auf dem Theater. Unter den mannigfachen Schönheiten dieses, auch durch vorzügliche Declamation bemerkenswerthen Satzes, heben wir nur die ausdrucksvolle Stelle: „Ihr Herz, wie bang es schlägt! die Arme, wie sie zittert“ – und die trefflich gearbeitete 5stimmige Stelle des Adagio am Schlusse: „Gott, lass ihn nicht vollenden die schwarze Frevelthat“ – aus.
No. 19. Ein sehr heitrer, lebendiger und reich instrumentirter Chor, mit angenehmen Tänzen vermischt, schliesst das Ganze.
Die Aufführung der, mit wenigen Proben, unter Leitung des Componisten selbst einstudirten | Oper auf der berliner Bühne war in jeder Hinsicht lobenswerth. Obwol in den Instrumental-, wie in den Sing-Partien, nicht gewöhnliche Schwierigkeiten zu besiegen waren, so gaben doch das Orchester und die Sänger durch die Aufmerksamkeit und Präcision, mit der alles ausgeführt ward, zu erkennen, dass sie in den Geist des originellen Kunstwerks eingedrungen waren und mit Liebe dabey verweilt hatten. – Einer besondern Erwähnung verdienen – von den Mitgliedern des trefflichen Orchesters: die Hrn. Westenholz und Hansmann, wegen der Schönheit, Reinheit und Sicherheit, mit der sie die bedeutenden Solo’s, auf der Hoboe und dem Violoncell vortrugen; von den darstellenden Mitgliedern: ganz vorzüglich Hr. Eunike, der die sehr schwierige Partie des Grafen Rudolph mit bewundernswerther Virtuosität und Vollkommenheit sang; und endlich, die vortreffliche und sichere Execution der Chöre – unter Leitung des verdienstvollen Chordirectors, Hrn. Leidel. – Ein eigenes Vergnügen gewährte dem Publicum noch die ruhige, feste und geräuschlose Direction, mit welcher der talentvolle Componist die ersten Vorstellungen selbst anführte, und ein verdienter, lebhafter und ungetheilter Beyfall krönte ein Werk, welches gewiss bald alle besseren Bühmen Deutschlands zieren wird.
Berlin, d. 16. Jul. 1812 X..
[Originale Fußnoten]
- *) Anm. Der Hr. Verf. dieses Aufsatzes theilt uns dies originelle und seelenvolle Stück, wo jede Empfindung des stummen Mädchens mit einer Klarheit, Zartheit und Lebendigkeit ausgesprochen, und so ein wunderbar anziehender Dialog zwischen ihr und ihrem Geliebten zu Stande gebracht wird – in Partitur mit. Da es aber für eine Beylage zu lang, eines Klavier–Auszugs, wenigstens ohne obligates Violoncell, nicht fähig, und mithin nur für einen kleinern Theil unsrer Leser ausführbar ist, müssen wir uns das Vergnügen versagen, es mitzutheilen. d. Redact.
Apparat
Entstehung
–
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Jakob, Charlene
Überlieferung
-
Textzeuge: Allgemeine Musikalische Zeitung, Jg. 14, Nr. 35 (26. August 1812), Sp. 572–581