Aufführungsbesprechung und Theaterbericht Königsberg: „Preciosa“ von Carl Maria von Weber am 29. Oktober 1826 (Teil 1 von 2)

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Donnerstag, den 29. Octbr. Preciosa, Schauspiel in 4 Akten von Wolf. Musik von C. M. v. Weber.

Eine nicht zu reiche Dichtung, mehr bunt an Bildern, als mit echten poetischen Farben geschmückt, in der Anlage und dem Entwurf weder überraschend, noch in der Entwicklung etwas über das Gewöhnliche erhaben, konnte allein ihren Reiz, den ihr Niemand neidisch entziehen will, von den Zaubertönen erborgen, welche Carl Maria v. Weber hieraus verwandte, vielleicht verschwendete. Die Melodien dieser Musik, wie sie im scheinbaren Spiele, in bunten Capriccios, im rauschenden, sinnverwirrenden Jubel, dennoch nie die schmerzlich-süße, romantische Sehnsucht verläugnet, welche mit eigenthümlichem Zauber durch das Ganze weht, sich dann in der gewaltigen Harmonie des Chors zu einem klaren Gedanken festigt, und dem staunenden Ohre, das […] Lob der Natur, den Preis des aufdämmernden Morgens lauschend festhalten will, in schwärmerische Gefühle und Ahnungen sich auflöst und hinschmilzt – hätte diese Melodie nicht etwas mehr sein sollen, als die Staffierung einer Findlingskomödie, wie wir sie in hundert Märchen weit besser erfunden und dargestellt finden? – Der Ruhm ist groß, einer mittelmäßigen Erfindung, einer alltäglichen Dichtung, einem schläfrigen Gange der Handlung, durch die himmlische Kraft der Musik einen Glanz und eine Würde zu verschaffen, die Preciosa, so oft sie über die Bühne schreitet, mit einem Sternendiadem bekränzt: aber ist dieser Ruhm groß genug, um Zweifel, Gewissensfragen in uns zu beschwichtigen: ist dieser Glanz, dieses Sternendiadem nicht vielleicht eine Ironie auf die Flitterpuppe, die sich von dem königlichen Purpurmantel der Musik niedergedrückt, kaum auf den schwachen Kunststelzen ¦ aufrecht erhalten kann? Aber was ist denn jede Oper? wie selten wird ein Wunderkind in dieser Gattung geboren, das poetisch singt, und melodisch dichtet? – Der Dichter glaubt weniger Ruhm darin zu finden, einen ausgezeichneten Operntext zu dichten: er muß mehr als die Hälfte seines Verdienstes dem Componisten, fast alles übrige, dem Schauspieler, dem Sänger, dem Orchester abtreten. Aber dennoch verhält sich die Sache bei einer Oper, um vieles anders, um vieles besser. Der Componist hat Gelegenheit, ja es wird von ihm als Pflicht gefordert, den Charakter, welchen der Dichter fragmentarisch, mit wenigen Zügen entwarf, musikalisch zu vervollkommen, zu erhellen, zu verdunkeln; und wenn der Dichter auch ermangelte, das Ganze mit der Einheit des Gedankens zu umfassen: so dürfen wir dem Tonkünstler die Forderung machen, daß nicht allein jede Person ihren musikalischen Charakter, sondern auch dies ganze Werk seine eigenthümliche Tendenz behaupte. Diese Gelegenheit geht aber in Preciosa deswegen fast ganz verloren, weil nicht die Rede davon seyn kann, das Wesen der Handelnden durch die Farben, Schatten und Licht der Musik erst in das wahre Leben zu rufen: sondern der Componist sich begnügen muß, im Allgemeinen den Charakter des Ganzen wiederzugeben – zu adeln, und einigermaßen zu den Regionen der Kunst emporzuführen: wobei denn immer der Zuschauer unwillkührlich bange Furcht empfindet, daß, während der Adler mit kühnem Fittige sich zu hohen Sternensphären aufschwingt, der, von einem Wolfe den heimathlichen Fluren entrissenen Merino, welchen der Vogel Jupiters diesem wieder abjagte, in seine irdischen Gräser und Kräuter wieder zurückfalle. Wenn wir uns nach einem Maßstaabe einer Beurtheilung über die Leistungen der Künstler umsehen, welche das vorliegende Stück über die Bühne führten: so wird es nicht für einen Fehlgriff gelten, wenn wir die Musik Weber’s dafür anerkennen, und in ihr die deutlichen Zeichen ausgesprochen finden, was der Regisseur, der | Theatermeister, der Tänzer, was endlich der Schauspieler zu leisten habe, wenn er den Erwartungen entsprechen will, welche jeder Zuschauer bei Aufführung Preciosa’s zu machen berechtigt ist. Denn ist es bei anderen dramatischen Werken Aufgabe des darstellenden Künstlers, sich den vom Dichter geschilderten Charakter anzueignen, sich demselben ganz anzuschmiegen und hinzugeben: so tritt hier der entgegengesetzte Fall ein: der Schauspieler muß durch die eignen Kräfte seiner Individualität seine Rolle formieren, er muß die mannigfaltigen Gaben einer freigebigen Natur mit auf die Bühne bringen, und in äußern Glanz, in Gestalt, Stimme, Deklamation, in gratieuser Haltung die Armuth verdecken, welche nackend Widerwillen erregen würde, kurz, die Vorstellung muß brilliant seyn: sie muß den Sinnen imponiren, und in dem Zuschauer das Gefühl unterdrücken, daß die Kunst einen höhern Endzweck habe, als das Gemüth in eine unbestimmte Wohlbehaglichkeit zu versetzen, und Empfindungen in uns zu erregen, die in ungeregeltem Wechsel nichts weiter vermögen, als kurze Zeit zu vergnügen – ohne Dauer, ohne aesthetische Folge. Den Preis in dieser Hinsicht hat Weber erlangt, indem er mehr, als der Verfasser des Stücks fordern durfte, dem Vers-Geklingel ¦ eine höhere Bedeutung unterlegend, uns in die ahnungs- und minnevollen Irrgänge der Romantik hinzauberte. Jetzt wollen wir sehen, wie weit die Bühne in ihren Leistungen diesem Vorbilde nachzukommen vermochte: und wenn uns hierbei auch noch ein Vergleich freisteht, und wir die Verdienste früherer Vorstellungen mit dem gegenwärtig Geschauten und Gehörten zusammenstellen: so werden wir weder der Gefahr ausgesetzt seyn, einer regellosen Kritik, die eines festen Maßstaabes entbehrt, und in Partheilichkeit verfällt, noch der Undankbarkeit gegen frühere Leistungen beschuldigt zu werden. –

Wenn wir die Musik als das Vortrefflichste des Ganzen betrachten, als den Leitstern der Handelnden und unserer Beurtheilung: so sey auch der Anfang damit gemacht, daß wir im Allgemeinen dem Orchester und den Sängern des Chors das unbedingte Lob aussprechen. Der Chor war musterhaft: und verspricht für die Folge die herrlichsten Oper-Effekte: und macht jedem einzelnen Mitsänger, so wie dem Leiter des Ganzen Ehre. Zu bedauern ist, daß Preciosa selbst in dieser Beziehung sich ganz in den Hintergrund ziehen mußte: und eine unsichtbare Donna hinter Felsengruppen verborgen, mit dem Publikum Versteckens spielte.

(Die Fortsetzung folgt)

Apparat

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Amiryan-Stein, Aida

Überlieferung

  • Textzeuge: Königsberger Theaterblatt, Nr. 1 (31. Oktober 1826), S. 1–4

Textkonstitution

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