Aufführungsbesprechung Prag: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber am 29. und 30. Dezember 1821
Den 29. [Dezember] Endlich wurde uns wieder einmal ein Meisterwerk zu Theil: „der Freischütze.“ Romantische Oper in drei Akten von Fr. Kind, Musik von Karl Maria von Weber. Wir hatten über die Vortrefflichkeit dieser Oper sowohl aus Berlin als auch Wien viel gelesen, und uns vielleicht Uebertriebenes erzählen lassen, darum war unsere Neugierde aufs höchste gespannt und unsere Erwartung groß, vielleicht zu groß. Die natürliche Folge davon war, dass wenigstens die erste Vorstellung nicht die Aufnahme erwirkte, die man glaubte, und wenn man der Vortrefflichkeit der Poesie oder der Gediegenheit der Musik dieserwegen einen Abbruch thun wollte, wäre man ungerecht. Nur so viel ist richtig, daß das Publikum, (wenigstens der größere Theil desselben) die Handlung nicht begriff, besonders die des zweiten Aktes, und daß dieserwegen auch der dritte Akt undeutlich wurde, welches den wohlberechneten Singstücken großen Eintrag that. – Ob daran die Sache selbst, oder die Repräsentation derselben Schuld sey, läßt ¦ sich beim erstenmale Hören nicht bestimmen – darum auch kein richtiges Urtheil fällen. Die Hauptrollen waren so gut als möglich besetzt. Ottokar, böhmischer Herzog, Herr Haßloch, spielte und sang brav. Man weiß nicht, warum dieser Herzog, von dem übrigens schon lange vor Erfindung des Schießpulvers kein Beinchen mehr existiren konnte, im Freyschützen angeführt wird. Erbförster Kuno, Herr Stein, Agathe, Dem. Sonntag, erwarben sich ihres schönen Gesanges wegen, alles Lob. Max Jäger, Hr. Pohl, sang vortrefflich, nahm aber seine Rolle zu hochtrabend. Annchen, Dem. Wohlbrück, sang gut, uterirte aber ein wenig in der Deklamation, und verscheuchte dadurch den Beifall, der ihrem Bestreben gebührt hätte. – Herr Kainz als Kaspar zeichnete sich heute sowohl im Gesange als Spiele aus, und war ganz in seinem Fache. Auffallend war, daß Sammiel, der schwarze Jäger, rothe Unterkleider hatte, und ganz dem Mephistopheles in Faust glich. Hr. Wällisch als Klausner war im Singen und sprechen unverständlich. Vorzüglich gute Wirkung thaten die männlichen Chöre, welche heute viel stärker waren, als sie gewöhnlich zu seyn pflegen, und so rein und kräftig zusammen wirkten, daß in dem Jägerlied des dritten Akts nicht nur jede Strophe rauschend applaudirt wurde, sondern das Ganze wiederholt werden mußte. Dagegen that die Dekoration im zweiten Akt, Phantome und Truggestalten vorstellend, wegen zu großer Dunkelheit gar keine Wirkung, und die verschiedenen Feuer verbreiteten durch das Theater einen stinkenden Dampf, der bis ans Ende dauerte. Der Beifall des Ganzen am Ende war karg.
Den 20. „der Freyschütze.“ Zum zweiten Male. Es war mit Grund zu erwarten, daß man bei der zweiten Produktion eines Kunstwerkes, das schon allgemeinen Ruf erlangt hat, alles Mangelhafte des ersten ersetzen, und alles Fehlerhafte verbessern würde. So geschah es auch, und heute gefiel dieses Meisterstück zum Ruhm des Dichters und des Tonsetzers allgemein. Karl Maria von Weber bewährte aufs Neue, daß der Deutsche seinen eigenen Gesang und seine eigene Musik habe – in beiden seinen eigenen Gang gehen könne, und um etwas Schönes und Großes zu liefern, nicht nöthig habe, der südlichen Süßigkeit und Regellosigkeit zu huldigen. Das Theater war wieder gedrängt voll, und wird es bei dieser Oper hoffentlich noch oft werden.
Apparat
Entstehung
–
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Frank Ziegler
Überlieferung
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Textzeuge: Allgemeine Theaterzeitung und Unterhaltungsblatt für Freunde der Kunst, Literatur und des geselligen Lebens, Jg. 15, Nr. 53 (2. Mai 1822), S. 211