Kleiner Fund zum Freischütz-Jubiläum: Der Oper zweiter Teil

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Die Edition des Oberon innerhalb der Weber-Gesamtausgabe ist derzeit in Vorbereitung, und so lag es nahe, bislang unaufgearbeitete Dokumente zur frühen Rezeptionsgeschichte der Oper nochmals zu sichten und ggf. zu veröffentlichen. Bereits lange Zeit auf der Homepage der WeGA nachgewiesen war beispielsweise ein Brief von Friedrich Kind an Friedrich Rochlitz vom März 1828 mit Hinweisen zur Einstudierung der Oper in Dresden, zu dem allerdings noch die Textübertragung fehlte. Dieser Brief erwies sich nicht nur bezüglich Kinds (eher negativer) Einschätzung des Oberon als lesenswert, sondern ist ebenso ein interessantes Dokument zur Freischütz-Rezeption, berichtet Kind darin doch von seiner Arbeit an einem Fortsetzungs-Libretto zu der inzwischen selbst außerhalb Europas gespielten Erfolgsoper.

Von entsprechenden Plänen wusste man schon aus Kinds Freischütz-Buch von 1843 (S. 137), in dem sich der Autor erinnerte: „Ein Herr aus London (M. v. Holst 14. Howland Street Fitz-roy Square London) besuchte mich und wollte dieß in Auftrag einer englischen Gesellschaft thun, um von mir den zweiten Theil des Freischützen zu erlangen.“ Mit diesem M. von Holst dürfte wohl nicht der bereits betagte Matthias von Holst (1759–1845) gemeint sein, sondern dessen Sohn, der Musiker M.[ister] Gustavus von Holst (1799–1871). Der Deutschbalte aus Riga, dessen Familie kurz nach 1800 nach England übergesiedelt war, lebte in den 1820er Jahren als Harfenist, Musiklehrer und Komponist in London, später in Cheltenham; sehr viel berühmter als er wurde sein Enkel: der Komponist Gustav Holst (1874–1934). Besagter älterer Gustavus Holst (in England in der Regel ohne das „von“ genannt) war bereits 1824 einer der Nutznießer der Freischütz-Euphorie in London: Beim Verlag Cocks and Co. veröffentlichte er beispielsweise eine Einrichtung der Freischütz-Ouvertüre „arranged for the Harp and Pianoforte, with a Flute and Violo[n]cello accompaniment“, die im Harmonicon (vol. 2, pt. 1, Nr. 22 vom Oktober 1824, S. 190) als effektvoll und brillant gelobt wurde.

Dass Holst 1827 oder Anfang 1828 auf der Rückreise (vermutlich aus dem Baltikum) nach London Friedrich Kind in Dresden besuchte und zu einer Freischütz-Fortsetzung ermunterte, geht auch aus dem Brief hervor, aber mehr noch: Kind war – ähnlich wie 1817, als er Weber bereits wenige Tage nach den ersten Absprachen mit dem I. Akt des Freischütz-Librettos überrascht hatte – auch diesmal offenbar sofort Feuer und Flamme und hatte sehr schnell das Szenarium zum zweiten Teil ausgearbeitet und „auch einige Scenen flüchtig ausgeführt“, wie er Rochlitz berichtete. Leider geriet das Projekt ins Stocken: Kind rechnete mit einem festen Honorar, Holst bot ihm hingegen nur eine Erfolgsbeteiligung an, darauf wollte sich Kind – verständlicherweise – nicht einlassen.

Leider sind Kinds Entwürfe verschollen. Es wäre interessant gewesen zu sehen, wie er die Geschichte weitergesponnen hat. Immerhin bietet sich das offene Ende der Oper, das Max vor der Übernahme der Erbförsterei und der Hochzeit mit Agathe ein Probejahr zur Bewährung auferlegt, zu einer Fortsetzung an, denn der direkte Kontrahent Kaspar ist zwar tot, doch der Kampf zwischen Samiel und Eremit, zwischen bösem und gutem Prinzip, könnte fortdauern. Dabei war Kind nun freilich ganz auf seine eigene Phantasie angewiesen, denn die Vorlage zum „ersten Teil“, Apels Novelle aus dem Gespensterbuch (mit negativem Ende), bietet keinen Stoff. Ob sich die Fragmente zu Kinds Fortsetzungslibretto noch auffinden lassen? Oder hatte er seine Idee, dass die Entwürfe „auch anderswo zu brauchen“ wären, umgesetzt und die bereits niedergeschriebenen Teile in anderem Zusammenhang wiederverwendet? Vielleicht liefert das nächste Freischütz-Jubiläumsjahr auch auf diese Fragen eine Antwort …

Frank Ziegler, Donnerstag, 26. August 2021

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