Karl von Decker: Der Freischütz in Paris (Teil 4), 1826

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Der Freischütz in Paris.

Dramatische Analyse, von Adalbert vom Thale.

(Fortsetzung.)

Verwandlung; die Ruinen von St. Dunstan, der Raum sehr beengt, die Dekoration geschmacklos, das Ganze völlig verfehlt zu nennen. Links bei der zweiten Coulisse stand eine kolossale Statue, eine Art Götzenbild, wie Bel zu Babel, wahrscheinlich den schwarzen Jäger vorstellend, was bei dem Mangel an Beleuchtung nicht zu erkennen war.

Unsichtbare Geister waren den Franzosen nicht genug, sie wollten sie nicht nur hören, sondern auch sehen. Die Scene stellte daher einen Geister-Biwoack vor, Dämonen, etwa wie chauve-souris aus der Redoute gekleidet, in schwarzen Mänteln mit rothen Kappen, lagen, standen, knieten, sprangen, krochen und gestikulirten fratzenhaft umher, während Caspar seine Beschwörung vornahm, aber so buffonartig, daß es ohne hell auf zu lachen, nicht mit anzusehen war. Dabei singen die Masken den Chor: „Milch des Monds &c.“, in eine Anrede an Samiel verwandelt, wobei das mysteriöse „Uhui!“ durch Parais! gegeben war. Dieses Wort parais erinnerte an die Knarren der Knaben auf dem Weihnachtsmarkt, dazu noch der schnarrende Vortrag, der ohnehin den Franzosen eigen ist, kurz es ist nicht möglich, sich etwas Tolleres und Widerwärtigeres zu denken.

Die ganze Zwischenscene zwischen Caspar und Samiel fiel aus; der höllische Feuerheerd steigt nicht aus dem Boden herauf, sondern steht von Anfang an da. Nachdem Caspar einen Wischi-waschi-Monolog gehalten hat, erscheint Max oben auf dem Felsen und singt seine Arie; Caspar setzt beide Hände in die Seite, steht breitbeinig da und hört ihm zu, dann sagt er mit seinen weichsten Tönen: Avance donc, le temps s’ecoule, was ungefähr so klang: „Komm doch mein Söhnchen, die Suppe wird kalt,“ und hilft endlich dem guten Jungen herunter, damit er sich keinen Schaden thue. Max singt dabei frisch weg von Visionen, von einer Anna die er sieht, die sich seinem Weg entgegenstellt, die aber Niemand zu sehen bekommt, wahrscheinlich der schwierigen Maschinerie wegen. Damit aber der Zu|schauer die Erscheinung nicht etwa auf der Bühne sucht, tritt Caspar an die Lampen, und sagt mit Achselzucken: pure visions! so weiß man doch wenigstens waran man ist. Endlich ist Max unten.

Jetzt schüttet Caspar dreimal eine Handvoll Pulver in die Flamme, und der eigentliche Teufelsspuck geht los, aber so erbärmlich, so jämmerlich, so ganz verfehlt und lächerlich, daß man sich vor ein Marionettentheater versetzt glaubt, und jeden Augenblick den Hanswurst erwartet. Kein Todtengerippe, keine wilde Jagd, keine Eule, keine Eidechsen, nichts von alle dem, sondern nur Bockssprünge der Chauve-sonris-Dämonen, einige Theater-Affen mit langen Schwänzen, viel Kolophonium, und andere unschuldige Künste, aber auch keine Ohnmächtigen, die als halbtod Erschrockene aus dem Theater getragen werden, sondern ein fröhliches, lachendes, jubelndes Publikum, das an dem tollen Spaß seine herzinnige Freude hat!

Die Kugeln werden nicht gegossen. Max umklammert den Bel zu Babel, dieser verwandelt sich in den Robin des bois, der die Gefälligkeit hat, in seiner Hand drei Freikugeln zu halten, die er dem Caspar schenkt, der seinerseits mit ächt französischer Höflichkeit einen Kratzfuß macht und sich mit den Worten bedankt: Je te rends grâce. Er will eine davon dem Max schenken, dieser aber hält sich beide Ohren zu und läuft davon, Caspar hinter ihm drein, die Dämonen hinter beiden, die Affen hinter diesen, dabei paukt und trompetet das Orchester, Pulverdampf erfüllt Bühne und Salon, und – der Vorhang fällt. Wüthender Applaus. Mein Nachbar stand mit den Worten auf: N’est-cenpas Monsieur, c’était bien beau?

Ich mußte frische Luft schöpfen und mich zugleich draußen tüchtig ausschütten vor Lachen, weil ich fürchtete, die übersprudelnde Laune könnte mir Händel zuziehen, wenn ich ihr im Salon freien Lauf gelassen hätte; dabei entspann sich folgendes Gespräch zwischen mir und meinem noch von der „Feerie“ verzückten Nachbar.

Ich. Ich möchte wohl hinausgehen.Er. Ich auch; kommen Sie!Ich. Ich fürchte aber, meinen Platz zu verlieren, bei uns sind die Plätze numerirt, hier nicht.Er. So binden Sie Ihr Schnupftuch um die Bank, wie ich es thue.Ich. Ist das nicht riskant? Am Ende finde ich zwar meinen Platz, aber nicht mein Schnupftuch wieder?Er. Gott bewahre! Das respektirt selbst der Filou. Auf meine Verantwortung, binden Sie, kommen Sie, ich garantire Ihnen das Tuch.

Und so geschah es. Beim Wiedereintritt war es ein drolliger Anblick die grüntuchenen Bankdecken mit weißen, rothen, buntgestreiften, blauen, indischen und nicht indischen, mit und ohne Zufall geblümten Schnupftüchern bebunden zu sehen, denn dies ist einmal allgemeine Sitte, und in der That der Fall noch nicht vorgekommen, daß das Vertrauen der Herausgegangenen in die Ehrlichkeit der Zurückgebliebenen getäuscht worden wäre. In England geht diese kuriose Ehrlichkeit noch weiter, denn sie respektirt selbst die auf freier Straße hingestellten leeren Porterkannen von Zinn, welche die Bierhändler täglich dort einsammeln, um sie vor dem Mittagsmahl gefüllt wieder zu bringen, wobei sie sie aber nicht wieder auf die Straße stellen, sondern den Leuten ins Haus bringen; es hieße auch sonst, der Ehrlichkeit Daumschrauben ansetzen. Doch zurück zu unserm Freischütz.

(Die Fortsetzung folgt.)

Apparat

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Frank Ziegler
Korrektur
Eveline Bartlitz

Überlieferung

  • Textzeuge: Berliner Schnellpost für Literatur, Theater und Geselligkeit, Jg. 1, Nr. 15 (4. Februar 1826), S. 57–58

Textkonstitution

  • „waran“sic!

Einzelstellenerläuterung

  • Chauve-sonris-Dämonenrecte „Chauve-souris-Dämonen“.

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