Julius Benedict an Caroline von Weber in Dresden
Wien, Mittwoch, 29. Oktober 1823

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Gnädige Frau!

Wenn ich meine so gerne übernommene Verpflichtung, Ihnen den Erfolg der Euryanthe so ausführlich als möglich mitzutheilen, erst jetzt erfülle, so ist dies nicht, wie Sie vielleicht glauben könnten, die Folge meiner Vergeßlichkeit oder Nachlässigkeit, sondern die Schuld der Postdirection, welche unselige Behörde außer Sonnabend, dem Tage der ersten Aufführung nur den Mittwoch für die Brief-Expedition nach Dresden bestimmt hat.

Bevor ich den ausführlichen Bericht beginne, wie u. warum diese Oper den großen Beifallssturm erregte, in dem mein Ohr unter-, mein Herz aber auf-ging, erlaube ich mir noch die höchstnöthige Bemerkung, daß ich mir die strengste Wahrheit zur heiligen Pflicht machen, daß ich nichts verschönere, nichts anders darstellen werde, als es eben war; und daß ich mich als einen bessern Gewährsmann zu betrachten bitte, als Ihren Herrn Gemal, der bei einer solchen Gelegenheit stets die unerfreulichste Kürze beobachtet, u. statt in’s Einzelne zu gehen, sogar das Wichtigste nur in allgemeinen Ausdrücken andeutet. |

Noch nie waren die Erwartungen so gespannt, noch nie die Constellation ungünstiger — aber auch noch nie wurden alle Erwartungen so herrlich erfüllt und übertroffen, nie hat die deutsche Kunst einen schöneren Triumph gefeiert. Ich soll Ihnen berichten wie jede einzelne Nummern aufgenommen wurde, wie die Sänger sangen, wie das Orchester spielte; aber wie ist dies bei einem solchen Totaleindruck möglich!? — Überrascht, bald zerschmettert von diesen gewaltigen Tönen, bald erhoben durch die süßesten Melodieen, begeistert, betäubt von der Masse von Kunst u. Wahrheit, die alle so mächtig ergriff, wußte sich das arme verwöhnte Wiener Publikum den ersten Abend gar nicht zu fassen. Mit kam das Ganze ungefähr so vor:

Die guten Wiener, die sonst immer ihren graden schlichten Weg fortgingen, hatten sich durch verführerische Töne, von großer Meisterhand entlockt, vom rechten Weg ableiten lassen u. folgten, in dieser bösen Verzauberung einem langen schmalen Wiesenpfade, der sie durch tausend labyrinthische Krümmungen endlich in einen wunderbaren Garten führte, dessen nähere Beschreibung sie mir schon erlauben müssen. — Der Garten war groß — unendlich. Der Wiesenpfad, den Mancher suchte, den Rückweg zu finden, war verschwunden. — In dem Garten blühten die schönsten Blumen, Tulpen, Feuernelken, Hyacynthen, aber wunderlich regellos durcheinander geworfen. Kein Berg begrenzte den Blick. – Alles war eben u. flach, aber der Himmel wie mit einem Dunst überzogen, und vergebens suchte man einen kräftigen Baum. Ein kleiner Bach, der von Goldfischen wimmelte, ging ohne Krümmung, wie ein langer Streifen, durch den Garten, und aus jedem Blumenkelch | tönte ein süßes Lied. Wie ein goldnes Netz hatte sich die Einförmigkeit u. Gewohnheit am Ende um alle Menschen gezogen — sie wollten nicht mehr heraus aus der angenehmen Beschränkung, und wie durch Ammenlieder waren sie von den gleichförmigen Melodieen gleichsam in einen halbträumerischen Zustand versetzt. — Da erklang ein mächtiger Akkord — u. ein Saitenspiel ertönt in nie gehörten Tönen. Und wie Menschen allmählig erwachend, sich erkennen, da braust es wie ein Sturm durch die Blumen, die Sonne bricht hervor in ihrer Klarheit, das reine Himmelsblau — der Bach wird zum Strom, die Blumen welken, die deutsche Eiche erhebt sich, und lauter tönt das Saitenspiel u. alle Saiten in der Menschenbrust schlagen mit an, und ein Strahl des Himmlischen fällt in alle Herzen. —

Am 25. Oct. Abends 6 ½ Uhr war kein Platz mehr in dem großen Kärnthnerthor-Theater zu bekommen. Selbst in der brillantesten Zeit der italienischen Oper war es noch nie so voll. — Eine erwartungsvolle halbe Stunde vergeht. — Es wird geklingelt. — Carl Maria von Weber erscheint. — Durch fünf Minuten dauert ein einstimmiger Beifallsjubel. — Nun wird mit Macht Stille geboten v die Ouverture beginnt — kein Laut im dem ganzen Hause bis zum Schluß. Dann noch lange nach dem Aufziehen der Gardine der glänzendste, einstimmigste Beifall. — Um Ihre Geduld nicht auf eine zu harte Probe zu setzen, werde ich Ihnen diejenigen Musikstücke nennen, welche in den beiden bis jetzt stattgefundenen Vorstellungen am meisten ansprachen. Im Voraus bemerke ich aber, daß keine Nummer | der ganzen Oper beifalllos vorüberging. — Im ersten Act: die ganze Introduktion, die Cavatine der Euryanthe, das darauf folgende Duett, (machte beide Male Furore) und das 1ste Finale (ditto). Im zweiten Act: die Arie Lysiart’s u. das darauf folgende Duett zwischen Lysiart u. Eglantine (Madame Grünbaum u. Hr. Forti wurden beide Male nach diesem Duett mit Wuth herausgerufen[)]. Vor allen Dingen aber entzückte das zweite Finale in welchem Jeder so an seinem Platze steht. Im dritten Act: „Nein! Dein Held ringt sich auf, u. s. w. — Dann der Jägerchor – mußte beide Male den ungestümen Forderungen des Publikums zu genügen sechsmal gesungen werden, — die Arie der Sontag „zu ihm! Zu ihm!“ entzückte beide Male so, daß Mlle. Sontag — obwohl sie gleichsam todt ist — immer noch einmal erscheinen mußte, und bei ihrem Erscheinen in der letzten Scene stürmisch empfangen wurde — dann noch: „Zittre Gottvergessener!“ — Ihr Herr Gemal wurde in beiden Vorstellungen nach jedem Actschluß, also dreimal, und das erste Mal, wo er mit Mlle. Sontag u. Mad. Grünbaum zugleich erschien noch einmal besonders — also viermal gerufen. Mlle. Sontag wurde nach der zweiten Vorstellung gleichfalls noch einmal gerufen. — Heute ist die Euryanthe zum 3ten Male als Benefiz der Sontag, welche keine glücklichere Wahl treffen konnte.

(Hier bricht der Brief ab.)

Editorial

Summary

Bericht von den ersten beiden Aufführungen der Euryanthe in Wien

Incipit

Wenn ich meine so gerne übernommene Verpflichtung

Responsibilities

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Tradition

  • Text Source: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Shelf mark: Weberiana Cl. V (Mappe XIX), Abt. 5B, in Nr. 65a (S. 17–20)

    Physical Description

    • Abschrift von Friedrich Wilhelm Jähns (Fragment)
    • Briefdatum von Jähns aus dem Inhalt erschlossen

    Commentary

    • Deinrecte “mein”.

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