Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 20. März 1817 (Teil 1 von 2)

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Den 20. März. Zum Erstenmale: Gordon und Montrose, Trauerspiel in 5 Akten, vom Prof. Reinbeck. Schillers großer Schatten tritt hier noch einmal auf die Bühne. Ob er dem, der ihn bannte, zürne oder Beifall zunicke, lassen wir billig unentschieden, da dieß noch ungedruckte Stück bald der Beurtheilung des ganzen deutschen Publikums offen da stehen wird. Ein griechischer Maler malte die Schaar der spätern Tragiker, sich an dem erlabend, was der große Aeschylus eben ausgegeben hatte. Und wie viel verdankt Schiller selbst dem unsterblichen Shakespeare. Es kömmt alles darauf an, wie man beim Wiederausmünzen fremder Baarschaft das Umprägen verstand. Das Metall selbst ist ein Gemeingut. Allerdings begleiten uns Schillersche Reminiscenzen vom Anfange (wo die Tafelbedienung im Vorzimmer, während innen geschmaust wird, sogleich an die ähnliche Scene in den Piccolomini’s erinnert) und durchs ganze Stück durch bis in den Kerker, wo der das Henkerbeil erwartende Montrose auch aus Egmont’s Kerkerscene ein Scherflein zugeworfen erhält. Indeß das Stück hat doch eine recht gut angelegte Verwickelung, eine raschfortschreitende Handlung, die den gutmüthigen Zuschauer wenigstens bei der ersten Vorstellung nicht zur strengen Kritik kommen läßt, einige sehr ergreifende Situationen der heroischen Selbstaufopferung für einen Freund, und einzelne poetische Schönheiten, die aber freilich, da sie nur von außen angefügt, nicht von innen heraus erwachsen sind, bei der durch die Zeit beengten Aufführung fast alle – um mit dem Kaiser Augustus zu sprechen – in den Schwamm fielen. Tiefe und innere Wahrheit in der Charakterzeichnung muß man hier nicht erwarten. Der einzige Douglas, der schwarze Dämon des Stücks, ist in festen Umrissen gegeben. Das macht, die Bösewichter sind leider überall die consequentesten. Manches hätte mit leichter Mühe wahrscheinlicher und anständiger zugleich angelegt werden können. Lady Jenny, Montrose’s Geliebte, entläuft ohne Weiteres ihrem Vater und entflieht in Matrosenkleidung mit ihrem heißgeliebten Montrose. Dieß gränzt eben so ¦ sehr, bei einer einzigen Erbin des Herzogs von Argyle, in strenger schottischer Hauszucht, ans Unglaubliche, als ans Unanständige. Die tragische Wirkung wäre doch gewiß in Nichts geschwächt worden, wenn der Dichter angenommen hätte, daß Jenny schon früher heimlich mit Montrose verheirathet gewesen wäre. Nun war alles motivirt. Es ist ohne Beispiel, daß sich jemand von einem Todtfeinde des Beschuldigten, der auch seines Hasses kein Hehl hat, durch ein so grobgesponnenes Lügengewebe, als wodurch Douglas zuletzt den Gordon umstrickt und zum Verrath seines Freundes verblendet, zu so gehäuften Schandthaten verführen lasse. Wie weit tragischer hätte dieser fatale Irrthum eingeleitet werden können! Fürwahr, Herr Reinbeck ist ein weit glücklicherer Erzähler als Dramatiker. Dann zeigt sich überall große Unkunde der englischen und schottischen Sitte und des Lokals, welches doch bei einer so bestimmten aufs Jahr 1654 nach Edimburg und in der Nachbarschaft von Inverary versetzten Handlung ein auffallender Uebelstand ist. Wir wollen den caledonischen Barden, der in dieser Epoche doch nur ein ehrlicher schottischer Sackpfeifer seyn konnte, um der prophetischen Ballade willen, die er singt, nicht weiter rügen. Aber wer wird je die Tochter eines Herzogs und Pairs des Reichs in englischer Courtoisie mit Miß anreden? Sie ist Lady Jenny Campbell. Denn die Töchter der brittischen Lords erhalten alle die Anrede Lady mit ihrem Tauf- und eigentlichen Familiennamen. Da Argyle das Haupt der Campbell’s ist, so heißt sie Campbell. Wer wunderte sich nicht, in einer schottischen Bergschlucht eine Weinumrankte Hütte zu finden, oder zu vernehmen, daß man aus dem Hause der Gordon’s mitten in Edimburg (auch diese Lage ist sehr schlecht berechnet, wie könnte dort auf der Rhede ein französisches Schiff einen Geächteten bergen?) die schottischen Hochgebirge erblickt? Wir ersparen uns das Weitere. Welche Nachlässigkeit! Wie sorgfältig machte Schiller seine historischen Vorstudien. Zu dem Pseudodemetrius, über dessen Vollendung er starb, und dessen herrlicher Torso im 12ten Band seiner Werke eine würdige Preisaufgabe darböte, machte er einige Monate lang die gewissenhaftesten Forschungen.

(Der Beschluß folgt.)

Editorial

Summary

Aufführungsbericht Dresden: Gordon und Montrose von Reinbeck am 20. 3. 1817 (Teil 1 von 2)

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Tradition

  • Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 81 (4. April 1817), f 2v

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