Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 15. August 1817 (Teil 2 von 2)
Die Onkelei. (Beschluß.)
Dem kleinen Stück ist große Mühe und Aufmerksamkeit von unsern Schauspielern gewidmet und dadurch eine sehr ergötzliche, lebendig=aufregende Darstellung hervorgebracht worden, die selbst die Beschwerde eines drückend heißen Dunstkreises in einem warm beschienenen, nicht gemauertem Sommer = Theater überwand und wiederholte laute Anerkennung erhielt. Ausgezeichnet rasch, Schlag auf Schlag eingreifend und die Intention des Dichters lebendig in sich verkörpernd, spielten Herr Julius und Mad. Schirmer das eingschobene Liebespaar, Hold und Henriette. Es war ein wahrer Genuß, wie in der Hauptscene zwischen beiden (der 18.) der eifersüchtige Zwist in Versöhnung und Umarmung zerschmilzt, wie beide anfangs, wo es noch glüht und brauset, sich kalt zu bleiben angeloben, diese Kälte aber durch den lächerlichsten Contrast im geberden= und Mienenspiel widerlegen, wie die lichter Lohe auflodernde Henriette sich das Gesicht trocknet und der glühende Hold das Fenster aufreißt und nach Luft schnappt. Herr Julius gab den kurz angebundenen, seines Sieges gern im voraus gewissen, auch mit unter etwas derb ausfallenden, militärischen Avantageux doch mit soviel durchschimmernder Feinheit (nichts ist leichter, als einen solchen Charakter in soldatischer Rohheit zu verwahrlosen) und deutscher Gemüthlichkeit, daß wir in dieser kleinen Rolle ganz den wahren Künstler erkannten. Die bald schmollende, bald neckende, muntere, muthwillige Henriette fand an Mad. Schirmer eine, auch im Vortrag des Verses musterhafte Darstellerin. Wir können uns allerdings den schalkhaften Muthwillen in dieser Rolle, selbst in den Eintrittsscenen, noch etwas stärker aufgetragen denken bis zur erlaubten Ausgelassenheit, z. B. im Wiedergeben des Eifersuchts=Paroxysmus, als Hold die Fenster einpaukt. Allein, wie ihn die Künstlerin nahm, war es doch wie aus Einem Guß und ungemein behaglich. Nur da, wo sie gegen den Schluß dem Oheim die früheren von Wild ausgesprochenen, leichtfertigen Worte des sogenannten Leben und Lebenlassens in der Ehe vorparodirt:
dürfte dieß offenbar strafend nachgesprochene Losungswort der liebenswürdigen Ruchlosigkeit eines aimable rouéals Parodie viel stärker hervorzuheben seyn. Eine kurze, vorbereitende Pause, ein Hinzutreten zum Onkel, ein Ergreifen seiner Hand, würde diesem Kraftspruch, der freilich auch das erstemal von Wild noch ¦ mehr bezeichnet werden müßte, erst sein volles Recht oder Unrecht zumessen.
Herr Kanow als verliebter und eifersüchtiger junger Ehemann, genügte durch seine komischen Eifersuchtsausbrüche, durch sein Stottern, Auffahren, Verblüfftseyn seiner Rolle vollkommen. Es ist zu wünschen, daß überall, wo diese Onkelei auf die Bühne gebracht wird, der Schauspieler, welcher den wahren Othello spielt, auch diesen komisch=travestirten Mohr spielen könne. Dieß war bei uns wirklich der Fall und that dieser Rolle sehr wohl. Herr Zwick als Oheim gab den Egoisimus des alten Greises und Hagestolzen mit wahrer Behaglichkeit. Selbst die Nachlässigkeit im Anzuge paßt zu der von Henrietten mehrmals bezeichneten altväterlichen Bequemlichkeit. Die weiche Gutmüthigkeit am Schluß wurde gut motivirt. – Mlle. Schubert als Mathilde ärndtete den Beifall, zu dem ihr Studium gegründete Ansprüche hatte. Die junge Ehefrau stand ihr recht fein. Doch möchten wir die liebenswürdige Künstlerin darauf aufmerksam machen, daß sie in der Unterredung mit Hold, wo sie seiner Eroberungslust wenigstens den Händekuß gestatten muß, wohl in der ihr von Wild zugetheilten Rolle die milde Nachgiebigkeit zu wahr spielte. Es war eine Erhörung de coeur et d’ame!
Bei einem solchen Stück kann es nicht genau genug genommen werden, da, wie bei kleinen Leuten, in solcher Kleinigkeit alles zierlich und niedlich gehalten seyn muß. Es hat dem Dichter gefallen, einige Wortspiele einzustreuen. Bei Fräulein von Sitten wird einmal von Sitten gesprochen Herr von Hold kann nicht abhold seyn. Wir hätten dieß von Hrn. Julius noch etwas stärker betont und hervorgehoben gewünscht. Daß aber die Schauspielerin, die, verflucht ist die Geschichte, auszusprechen hatte, das Wort, welches der Britte sogar nicht einmal ausschreibt (d – d) in ein verwünscht umwandelte, wird ihr der Dichter selbst ohnstreitig Dank wissen.
Böttiger.Zum Schluß wurde ein altes Lieblingsstück: die zwei Grenadiere von Kotzebue*, wieder auf die Bühne gebracht, die von den HH. Wilhelmi und Genast mit großer Beweglichkeit und Lebhaftigkeit gegben wurden. Die französischen Grenadiere haben vielen Anstand, viele Dressur und Gewandheit, und einen gewaltig kitzlichen Ehrenpunkt. Diese Rollen wollen also auch sehr fein genommen seyn und vertragen sich durchaus nicht mit allzugroßer Ungezwungenheit und etwas eckiger Unbeholfenheit. Den Dragoner Perner hatte Herr Hellwig zur ungemeinen Ergötzlichkeit und Zufriedenheit des Publikums übernommen.
B.Editorial
Summary
Aufführungsbericht Dresden, Theater am Linkeschen Bad: “Die Onkelei” von Adolph Müllner am 15. Augsut 1817 zum ersten Mal / “Die Grenadiere” von August von Kotzebue am 15. August 1817
Creation
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Responsibilities
- Übertragung
- Albrecht, Veit
Tradition
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Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 205 (27. August 1817), f 2v
Commentary
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“… die zwei Grenadiere von Kotzebue”Irrtum Böttigers, von Kotzebue gibt es kein Stück dieses Namens; vgl. auch Fambach-Repertorium Dresden, S. 195: dort auch ohne Autorangabe mit Zusatz „n. d. F. des [Joseph] Patrat“.