Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 2. Oktober 1817: Schreyvogel, Donna Diana (Teil 1 von 4)
Am 2. October. Zum erstenmale: Donna Diana, oder Stolz und Liebe. Lustspiel in 5 Akten, nach dem Spanischen des Don A. Moreto, (in gereimten Jamben) von C. A. West.
Es war diesem Stück, worüber schon in Nr. 235 einiges bemerkt wurde, eine hohe Erwartung vorausgegangen. Doch höher war die Leistung. Sie bestätigte aufs neue, daß ein gutes Schauspiel nicht nur gute Schauspieler fodere, sondern auch mache. Denn wie mag auch ein Kunst- und Ehrliebender Meister in mimischer Darstellung an gemeines, ephemeres Machwerk mehr als gemeine Aufmerksamkeit wenden. Mit Vergnügen wandten einige der vorzüglichsten Mitglieder unserer Bühne ein wochenlanges Vorstudium und die beharrlichste Mühe bei mehrern Proben auf ein Lustspiel, dessen mannigfaltige Schwierigkeiten selbst durch einen geheimen Stachel der Lust reizten. Der Genuß entspringt hier weder aus einer abgebrauchten Intrigue, noch aus einem Wirrwar von Verwicklungen, noch aus Caricatur und Posse, sondern aus Einer bis zum Tragischen gesteigerten Situation mit jener sich immer aufs neue überbietenden Ironie im Gegensatz (der einzigen Quelle des Lächerlichen, was überal gilt) so auf die höchste Spitze gestellt, daß was dem überraschten Zuschauer beim ersten Anblick zu sehr auf Cothurnen einherzuschreiten scheint, ihm bald als das Erquicklichste und Geistreichste des ganzes Spiels anmuthet. Würde doch oft so der Süden nach Norden verpflanzt! Unser farbloses Grau mag wohl durch einige Lichter aus diesem brennenden Farbenschmelz aufgehellet werden!
Stolz gegen Stolz heißt das Stück in der Ursprache des Moreto. Die wunderschöne Erbgräfin Donna Diana von Barcelona, gefühlvoll und zur Liebe erschaffen, wie alle Spanierinnen, hat sich durch platonisirende Schwärmerei verleitet, eine absolute Verachtung gegen jedes Geschlechtsverhältniß in den Kopf gesetzt. Liebe ist ihr Entwürdigung, Heirathen Tod. Nach andern schnöde abgewiesenen Liebhabern tritt, durch den verschmitzten Perin auf die einzige Cur dieses Irrwahns geleitet, Don Cesar auf und überbietet die Männerscheu der schönen Medusa durch noch entschiednere Weiberscheu. Gereizt durch diesen unerhörten Widerstand, erhitzt sich die Schöne bei jedem abgeschlagenen, anfangs nur zur Befriedigung des beleidigten Stolzes versuchten Angriff immer mehr, sucht alle Reizmittel und Armidenkünste der feinern Lockung hervor, und verwundet sich, indem sie im kühnsten Uebermuth mit Amors Pfeilen spielt, so tief und unheilbar damit, daß sie sich auf Gnad und Ungnade ergeben und ihre, philosophische Wahngrille in den Armen des Don Cesar Abschied ertheilen muß. Dieß alles entwickelt sich nun vor unsern Augen in der lebendigsten Fülle und mit einer psychologischen Wahrheit, die dieß Stück, abgesehn von seiner höchst behaglichen Ergötzlichkeit, zu einem der interessantesten Seelengemälde ¦ erhebt und ihm wohl im ganzen südlichen Europa den Ehrentitel famosa comedia erwerben konnte. Die unerschöpflichste Fundgrube des hier am stärksten vorwaltenden Scherzes besteht darin, was unser Müllner so erquicklich zu handhaben weiß, daß niemand ist, was er scheint, also überal Doppelmaske, Täuschung über Täuschung. Der noch stolzere Sieger der stolzen Donna Diana verzehrt sich selbst in namenloser Liebespein und bedarf in immer heftigern Ausbrüchen verzweifelnder Ungeduld unaufhörlich des stärkenden Zuspruchs des verschmitzten Perin, von dessen Arglist, der ähnliche Gesinnungen mit ihr heuchelt, Donna Diana vor unsern Augen immer enger umstrickt und tiefer hineingeführt wird.
Um aber in Nichts beim reinen Genuß dieses Stücks gestört zu werden, darf man freilich keinen Augenblick vergessen, daß es ein Hof- und Maskenspiel an einem Fürstenhof unter lauter Prinzen und Prinzessinnen gilt, mithin schon dadurch zu einem Heldenspiel erhoben, aus den Grenzen und der Lustigkeit des bürgerlichen Lustspiels durch eine ihm gleichsam angeborne Grandezza heraustritt. Situation und Ausdruck in den zwei Hauptrollen mögen daher oft den bloß Lachlustigen durch den Cothurn befremden. Mit demselben Ausdruck, in welchem einzelne Scenen von der Donna Diana vorgetragen werden müssen, kann auch die Phädra gespielt werden. Aber aus diesem Kraftspiele geht hier gerade das wahre Komische hervor. Perins stets vermittelndes Dazwischentreten lößt alles in Scherz und Lust auf. Leicht möglich indeß, daß der darauf nicht genug Vorbereitete sich in diesen Contrast anfangs gar nicht zu finden weiß und beim Grazioso über Frivolität und allzuleichtfertiges Spiel in ernste Klage ausbricht. – Dazu kommt, daß wir nie vergessen müssen, es stehe ächt spanische Natur mit aller Glut und Leidenschaftlichkeit südlicher Menschen vor uns. Diese reine Objectivität ist aber der Ruhm der deutschen Bühne, die diese Universalität mit der ganzen deutschen Literatur theilt. Ja es gereicht insbesondere dem Geschmack des Dresdner Publicums zur großen Ehre, daß man ihm die volle Empfänglichkeit dafür, trotz allem Fremdartigen, zutrauen darf. Es war einmal eine Zeit, wo dasselbe Publicum in der deutschen Häuslichkeit und Senitmentalität ganz untergegangen zu seyn schien. Die höchstgelungene und mit dem unzweideutigsten Beifall wahrer Theaterfreunde aufgenommene Aufführung dieses durchaus spanischen Lust- und Witzspiels ist der erfreulichste Beweis einer sehr veränderten, gedeihlichen Wechselwirkung zwischen Schauspielern und Zuschauern. Denn freilich ist unsere grandiose Donna Diana die wahre Gegenfüßlerin unserer in Zartheit und Empfindsamkeit zerfließenden Emilien und Berthen. Sie schreitet festen Tritts und Blicks, eine neue Penthesilea, ihrem Ziele, erst ein Sühnopfer ihrem beleidigten Stolze, dann aber in diesem Opfer selbst den Geliebten suchend, rasch entgegen.
(Die Fortsetzung folgt.)
Editorial
Summary
Aufführungsbericht Dresden: “Donna Diana” von Josef Schreyvogel am 2. Oktober 1817
Creation
vor 10. Oktober 1817
Tradition
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Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 243 (10. Oktober 1817), f 2v