Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: “Wallensteins Tod” von Friedrich Schiller am 20. Mai 1819 (Teil 3 von 3)

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Wallensteins Tod.

(Beschluß.)

Wie Max im höchsten Seelenkampf „o Gott!“ ruft, faltet die klösterlich Erzogene fast unwillkührlich die Hände über die Brust. Mit welchem Tone spricht sie ihm das Todesurtheil der irdischen Liebe. Da mag’s wahr seyn, was der Dichter anderswo durch Wallenstein ihr sagen läßt, es wohne eine zarte Stimme des Wohllauts in dieser Thekla. Während des Tumults draußen mit den Pappenheimern steht sie wie eingewurzelt, allen entfremdet, nur in den Gedanken versunken: Dort finden wir uns! Selbst als der Schuß fällt, keine Zuckung. Wie viel Inneres mit solcher Lähmung nach Außen! Wie paart sie endlich den hochherzigen Fürstensinn, als Wallensteins starkes Mädchen mit dem Heroismus der glühendsten Liebe, in der Audienz, die sie dem Hauptmann ertheilt, und in der Schlußscene! Die Art wie sie, während der Erzählung des Hauptmanns, die Anwandlungen des unendlichsten Schmerzes niederkämpft, den Arm um den Hals des hervorgebückten Neumann schlingt, und der stockende, dumpffeierliche Ton, womit sie, mit einem den Boden zu ihren Füßen durchbohrenden Blick, die Frage thut: wo ist sein Grab? so wie der Vortrag der nun folgenden, sich selbst in Schnelligkeit überbietenden übrigen Fragen, ergriffen alle Zuschauer mit Wehmuth. Sie verbesserte sehr verständig die Vorschrift des Dichters, indem sie den Ring nur vom Finger abzieht. Das Hervornehmen aus dem Schmuckkästchen würde alles zerschneiden und verkälten. Wie fliegt sie, nachdem der Hauptmann fort ist, der Neubrun um den Hals, wie treibt sie die Widersprechende in immer schnellerer Hast. Die dem Tod sich Weihende erblickt nun freilich an den Wänden das entsetzliche Gewimmel der Cuirassiere, so wie sie früher vor ihrem Auge eingedrungen waren und von Max dem Tode zugesagt wurden. Aber diese Vision wird weit gemäßigter und zarter vorgetragen, als jene erstere des finstern Geistes im Hause. Natürlich! Es sind keine Gespenster, es sind Todesgefährten, die sie rufen. Wir haben sonst wohl diese Erscheinung als wahren Geisterspuk tragiren gesehn! So ward denn endlich der letzte Monolog vorbereitet. Wie verklärte sich ihr Blick, als sich ihr noch einmal das Paradies der ersten Liebe aufthut! Die in Schmerz Aufgelöste, Zerflossene kann unmöglich über die Betonung des Verses: „in dein Herz fiel mein erster Blick,“ in Zweifel seyn *), muß ohne Jammer und Bitterkeit nur in einer Art ¦ von Extase die allbekannten, nur zu oft durch Mißbrauch entadelten Worte sprechen: Das ist das Loos des schönen auf der Erde! sie spricht sie, festgeheftet am Proscenium, mit wehmüthigem Lächeln und frommen, emporgehobenem Blick, den Kopf leise schüttelnd, ohne besondre Betonung, nur mit zwei kaum bemerkbaren Pausen, wie ein schon über der Erde schwebender Geist. So diesmal. Bei der ersten Vorstellung wurde durch eine etwas gehaltene Pause vor den Worten: auf der Erde, der beschränkende Sinn dieses Zusatzes noch sinniger hervorgehoben. Der Ton, womit sie das ahnungsvolle: „Gute Nacht, liebe Mutter!“ zweimal, inniger und inniger verhaucht, möchte wohl, wie so vieles andere, was Unkunde und Unverstand für bloße Gunst des Augenblicks und der Situation zu halten geneigt ist, nur nach vielen Versuchen so gelingen! – Es ist möglich, ja nach einer Stelle, wo er scherzhaften Vortrag vorschreibt, sogar wahrscheinlich, daß Schiller selbst sich seine Thekla noch etwas kräftiger und munterer gedacht hat. Dann möchte auch die völlige Ohnmacht beim Schluß des dritten Akts und das Liegen in der Nische im 9ten Auftritt des 4ten Akts, wo Schiller nur die im Sessel Ruhende mit geschlossenenen Augen uns zeigt, mit etwas weniger Aufregung und Reizbarkeit gegeben werden können. Allein, so wie unsre Künstlerin das Ganze auffaßte und bis in’s Kleinste durchführte, war nicht die leiseste Bewegung außer der Mensur, das Ganze aber ein Bund der Zartheit und Tiefe, wie wir ihn nur selten auf einer Bühne feiern sahen.

Großes Lob verdienen die scenischen Anordnungen, besonders der astrologische Saal und die Planeten-Rotunda, die auch bei der ersten Vorstellung besonders beklatscht wurde. Beim Costüm wäre vielleicht zu erinnern, daß die Schweden damals ganz schwarz und mit einer weißen Feldbinde gegangen sind. Hier war Wrangel’s und des Hauptmanns Uniform etwas zu bunt gerathen. Endlich vermißten wir ungern das sichtbare und hörbare Aufmarschiren der Cuirassiere in immer neuen Massen, um Max abzuholen. Hier sahen wir eigentlich nur die vordersten Reihen. Der Saal aber muß sich rechts und links füllen. So nur hängt sich vor unseren Augen Gewicht an Gewicht. Das Stück spielte bei drückender Hitze fast vier volle Stunden. Ausdauernde Aufmerksamkeit war wohl der schönste Lohn solcher Anstrengungen und Leistungen! Es war ein zwar nicht sehr zahlreiches, aber erlesenes Publikum gegenwärtig. Darstellungen von diesem Gehalte ehren den Künstlerverein und fördern den Kunstgeschmack.

Böttiger.

Am 24sten Mai. In der Stadt: La gazza ladra.

[Original Footnotes]

  • *) Berliner dramaturgische Blätter von 1815. Nr. 13. S. 99.

Editorial

Authors

Summary

Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: “Wallensteins Tod” von Friedrich Schiller am 20. Mai 1819 (Teil 3 von 3). Die ersten beiden Teile erschienen in den vorigen Ausgaben.

Creation

Responsibilities

Übertragung
Fukerider, Andreas

Tradition

  • Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 132 (3. Juni 1819), f 2v

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