Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: “Maria Stuart” von Schiller am 10. Juli 1819 (Teil 1 von 3)
Den 10. Julius, in der Stadt: Maria Stuart, von Schiller. Elisabeth, zweite Gastrolle vom Mad. Schröder.
Das lang vergeblich ersehnte Stück, ohnstreitig das vollendeteste Theaterstück des großen Dichters, wurde uns endlich durch das Gastspiel der unvergleichlichen Schröder zu einem Festgenuß. Mad. Werdy hatte für dießmal die Rolle der Stuart übernommen und erwarb sich den gerechten Beifall des Publikums. Viel ist darüber gestritten worden, ob man in der Rolle der Stuart nicht eben so gut die Verbrecherin, als die Dulderin sehen müsse. Mad. Werdy gnügte durch ihr kunstreiches Spiel beiden Forderungen. Man sah in ihr die reife Künstlerin, der Schiller selbst einst diese Rolle zu spielen gelehrt hatte, und vermißte man auch im Einzelnen, wie z. B. in der lyrischen Stelle, wo sie aus dem Kerker in den Garten tritt, etwas von dem ätherischen Duft und dem Schlage der gelöseten Psyche-Flügel, so gab sie doch die gekränkte Würde in der Vertheidigung gegen Burleigh, die flehende und losbrechende Königin und die tieferschütternde Abschiedsszene mit so viel Wahrheit und weiser Mäßigung, daß sie auch neben einer Schröder ihre Stelle würdig einnahm und durch häufiges Beifallklatschen gerechte Anerkennung erhielt. Nur dürfte der schwarze Schleier, den Schiller aus guten Gründen vorschreibt, zuletzt durchaus nicht fehlen, und ist dieser da, so wird auch das einfache weiße Atlaskleid ohne Goldstickerei, bloß durch den reichen Gürtel und andre Juwelen gehoben, sich von selbst dazu einfinden. Auch müßte wohl Graf Leicesters Stellung gleich von Anfang so geordnet seyn, daß sie ihn nicht bis an’s Proszenium vorzuführen braucht. Es muß hier alles genau nach der Vorschrift des Dichters gespielt werden. Nur dadurch wird alle Mißdeutung vermieden. In dem ganzen Zuspiele aller bei dieser Vorstellung bethätigten Schauspieler unserer Bühne that sich ein rühmliches Zusammengreifen für eine Gesammtwirkung kund. Herr Kanow, als Mortimer, hatte da, wo es Kraft galt, schöne Momente.
Die höchstmögliche Täuschung zauberte uns Mad. Schröder als Elisabeth. Wir vergaßen bei ihrem Spiele oft, daß wir vor der Bühne standen. Sie war, wie noch jüngst von der gefeierten Miß Oneil, der jetzigen Melpomene der englischen Bühne, parodirend gesagt wurde: „every inch a Queen“, in jedem Zolle eine Königin. Unabhängig von jeder frühern Kunstüberlieferung, das ging auch aus ihrer Elisabeth hervor, schafft sie sich in eigner Kraft und Fantasiefülle, genährt durch historische Vorstudien – denn hier muß auch das Geschichtliche, Factische wohl in uns aufgenommen und verarbeitet seyn – und vertraut mit allen, auch den leisesten Andeutungen des Dichters, ein organisches Ganze, dem allenfalls hier und da noch etwas hinzugefügt, aber warlich nichts genommen werden mag. Wie klar wird uns durch ihre gehaltene Darstellung jede Intention des besonnenen, bis ins Kleinste motivirenden Dichters. Was schwerlich der Scholiastenwitz je auszuklügeln vermöchte: sie stellt es uns vor’s Auge. Wie oft hat man sich über den Charakter den Schiller der Elisabeth geben wollte, getäuscht, durch einzelne Phrasen irre geleitet. Das Ende aller lang fortgesetzten Heuchelei ist Selbstbetrug. Elisabeth ist durch die lange Gewöhnung eine so vollendete Staats- und Haus-Heuchlerin geworden, daß sie sich am Ende über sich selbst betrügt. Hohe, unerschütterliche Ruhe ¦ im sichern Herrschergefühl und die bis zur Erstarrung crystallisirte, bald schroffere, bald glättere, Gediegenheit macht die Außenseite und giebt zugleich den Grundton ihrer Stimme und ihrer Gebehrdung. Und in diesem ruhig festen, unabweichlich zum Ziele hinschreitenden, oft fast aller Modulation entbehrenden, oft in dem, was die Franzosen tons brisés nennen, klanglosen Grundton geht es bis zu dem großen: „ich bin Königin von England!“ fort. Aber um so beredter und feuriger ist oft ihr Augen- und Mienenspiel. Hier allein bricht aus der abgeschlossenen, nicht selten bis zur Unbeweglichkeit in allen Theilen des Körpers concentrirten Ruhe die innere Glut in aufflackernden Flämmchen oder auch in aussprühenden Feuerfunken hervor. Wie lodert diese Flamme, als sie Mortimern mißt, umgarnt, ihm‡ wohl nur von fern das Paradies ihres Besitzes ahnen lässt. Darum wird aber auch jedes Zucken der Hand, jedes leise Schütteln des Kopfes, jede Hebung des Fingers, der Schultern oder des fest eingesenkten Halsels‡ höchst bedeutend. Da wo solche Verstellungstiefe unergründlich waltet, da müssen, soll sie zur Erscheinung gebracht werden, doch in einzelnen Momenten deren Krusten springen. Das sind dann Rauchstöße, die uns, was innen gährt und lodert verrätherisch andeuten. Aber schnell schwindet es, als habe nur ein Lüftchen die Oberfläche des tiefsten Wassergrundes gekräuselt. Es ist möglich und nach Beschreibungen, die wir davon haben, so gar erwiesen, daß die wahre Elisabeth, vor der Shakspeare spielte, viel viel heftiger und in allen Bewegungen nach außen gewaltsamer gewesen ist. Allein dieß alles hat unsere Elisabeth längst niedergekämpft. Nur wenn das Weib in der Königin auf’s äußerste geeignet ist, tritt sie auf Augenblicke aus der Mensur. Da überläuft uns aber auch ein unheimliches Grauen und Zusammenschaudern.
Wie viel ist nicht über die Unterredungsszene beider Königinnen commentirt und gedeutelt worden. Wie tragisch hoch stellt diesen, oft zur Poissarden-Szene entadelten, Auftritt durch ihr Meisterspiel, die Künstlerin. Schroff wie eine Klippe – so nennt sie Maria selbst – und mit einem furchtbaren Ansichkommenlassen steht sie da, wohin die geängstigte Gegnerin in ihren Bitt-sturm läuft. In Höllenfeuer geschmiedet und dann wieder in Eiswasser getaucht tritt das mit bitterm Hohn gesprochene: „es ist aus, Lady Maria!“ hervor. Und so geht’s fort mit gehaltner Stimme, bis zu den Worten:
Es lüstet keinem euer – vierter Mannzu werden, denn ihr tödtet eure Freierwie eure Männer.Die gesperrten Worte murmelte sie gleichsam in sich hinein, sie schnell abstoßend. Es war so gut, als hätte sie gesagt: „Du bist eine schlechte Person! ich nehme mir die Mühe nicht!“ Ein gewaltiges Beifallklatschen zeigte der Künstlerin, daß es verstanden worden war. Gleich darauf kommt die berüchtigte Klippe des Anstoßes, wo die allgemeine Schönheit zur gemeinen für alle gestempelt wird. Ein geübter Kunstkenner, der über das Bühnenspiel zu diesem Stücke neuerlich viel Treffendes erinnert hat*) glaubt alles Anstößige dadurch beseitigt, daß er auch diese Worte, wie die nächstvorhergehenden, als an Leicester gerichtet annimmt.
(Die Fortsetzung folgt.)
[Original Footnotes]
- *) S. Kunst und Natur, Blätter aus meinem Reisetagebuche, von A. Klingemann. II Bd. S. 149.
Editorial
Summary
Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: “Maria Stuart” von Schiller (Teil 1 von 3)
Creation
–
Responsibilities
- Übertragung
- Fukerider, Andreas
Tradition
-
Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 170 (17. Juli 1819), f 2v