Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: “Emilia Galotti” von Lessing am 24. August 1819 (Teil 2 von 3)
Emilia Galotti.
(Fortsetzung.)
Ueber die Art, wie Mad. Schröder diese Rolle nahm, herrschte im Urtheile des kundigen Publikums große Verschiedenheit. Viele ertheilten dem noch aufgeregteren und ergreifenderen Spiele einer unvergeßlichen Bethmann den Vorzug. Sie habe, sagen sie, die in Eifersucht entbrannte Italienerin weit mehr gegeben und die Zuschauer begreifen lassen, warum sie neben dem Gifte auch den Dolch bei sich trage. Dagegen bemerkten andere, Italien sey ja das Vaterland der schleichenden Gifte und Orsina-Schröder sei in ihrem Spiele gleichsam ein Aqua Tossana. Wenn wir nun zugeben, daß manches in den entscheidensten Momenten, wie z. B. der wiederholte Aufruf: Emilia Galotti, die mit höllischer Wollust ausgemalte Szene bacchantischer Zerfleischung und wie sie sich des Odoardo bemächtigt in der Szene, wo sie mit ihm allein geblieben ist, von der Berliner Meisterin weit feuriger und nach außen eingreifender gespielt worden sei: so hatte doch wieder die Wiener Meisterin in anderen Momenten offenbar das Uebergewicht. Da wo die Gluth nach innen hinein schmauchet und lodert, wo geringschätzende Verächtlichkeit, stolze Vornehmheit, spöttischer Hohn, schneidende Bitterkeit, auflauschendes Hinhorchen zu geben waren, herrschte ihr Spiel und riß selbst die Tadelsucht zur Bewunderung hin. Wir wollen es durch einige Beispiele deutlicher zu machen suchen. Sie tritt sehr elegant gekleidet ein, aber ohne Schleppe – sie geht ja nur auf’s Land, in das ihr so gut bekannte Dosalo – ganz, als sei sie in ihrem Eigenthume, nicht hoffärthig, aber als eine überall gebietende Weltfrau und – findet Marinelli im Vorsaale. Sie darf und will sich anfangs gegen ihn nicht bloß geben. Nun würde aber alle Hast in schnellerem Sprechen, aller Ausdruck des Zorns durch heftige Bewegungen ihr Verräther werden. Die Hofpuppe Marinelli behandelt sie von vorn herein nicht sowohl spöttisch, als lächerlich. Wahr und groß, ganz in Lessing’s Geist, giebt sie die innere Entzweiung, da, wo sie schnell vom Gebot zum Verbot überspringt, und die spitzfindige Klügelei über Gleichgültigkeit und Zufall. Unvergleichlich die Bitterkeit in Ton und Miene bei der Stelle: „lachen soll das Weib.“ Dieß schien aus ihrer eigensten, individuellsten Ueberzeugung hervorzuquellen. Aber die höchste Vollendung erreichte ihr Spiel bei den Worten: „küssen möchte ich den Teufel!“ Wie glühte ihr Auge, wie zuckte jede Muskel am Munde! Wenn sie den viermaligen Ausruf: „Emilia Galotti“, keineswegs in immer steigendem, aufschreienden Affekte verlautbarte, so muß man bedenken, daß der Zweifel ganz anders ruft, als die volle Gewitztheit. Die Stelle, wo sie durch des Prinzen schnöde Behandlung vernichtet da steht, in sich zusammen sinkt, sich an die Tischspitze anhält und dann den geschäftigen Seelenvergifter Marinelli um eine einzige Lüge anfleht, kann schwerlich erschütte[r]nder gegeben werden. Nur mit der ihrer Stimme inwohnenden Kraft möchte der Ohrschrei: „der Prinz ist ein Mörder!“ so furchtbar dumpf und doch so vernehmlich ¦ gesprochen werden. Andere Orsinen werfen die Lust mit dem Lustschloß mit steigendem Ton, wie einen Stachel, an die Brust. Unsere Künstlerin sprach nur dieß erste Lust zum Odoardo, das ganze Wort Lustschloß aber, als sei ja alles entschieden, halb weggewandt und nachlässig hinwerfend. Diese Geberde der alles als abgeschlossen betrachtenden Nichtachtung wandte sie auch da an, wo sie den Dolch hingiebt. Sie stand zur Hälfte hinter dem Odoardo und im Profil, als sie den Dolch ihm zuschiebt. Das Wort von Gift aber warf sie nur so beiher hin. Dieß hätte indeß doch wohl noch bitterer gesagt seyn können. Vollkommen richtig aber schien uns die Art, womit sie, ohne alle stärkere Betonung und Hervorhebung, den allbekannten Spruch: „wer über gewisse Dinge den Verstand nicht verliert“ u. s. w., als ein höchst geläufiges Resultat früherer Erfahrung, mit einer wahren Ironie auf den weiblichen Kathederton, ausspricht. So fanden wir ihre Orsina! Mit ihrem Spiel waren alle die vollkommen einverstanden, die einheimisch in den hohen Regionen, das Treiben und Benehmen solcher Weltfrauen genau kennen zu lernen Gelegenheit hatten. Anziehender, aufreizender kann Orsina gewiß gespielt werden, aber auch tiefer, wahrer? –
Möge die treffliche Künstlerin bei der Sicherheit, aus ihrer Stimme alles machen zu können, was sie will, sich nur ja vor allzugroßen Vereinzelungen im Ausmalen hüten. Das höchste Gelingen gleicht einem Seiltanze zwischen zwei Thürmen. Rechts und links Halsbrechen! Indem sie so im gefälligsten Wohllaut verziert und colorirt, könnte sie doch nicht selten in die Gefahr kommen, der Wahrheit und Stärke des Affekts dadurch Abbruch zu thun. wir wollen aus der heutigen Rolle eine Beispiel wählen. Wie sie zu Odoardo sagt: „wenn Sie wüßten, wie überschwänglich, wie unaussprechlich, wie unbegreiflich ich von ihm beleidigt worden“, so muß dieß offenbar als ein sich selbst überbietender, fortschreitender Superlativus im Ueberströmen des empörten Gefühls schnell und immer schneller hervorgestoßen werden. Mad. Schröder gefiel in sich langsam betonender Malerei, die allerdings jedes Ohr besticht, aber am Ende doch in Manier ausarten muß. – Man hat ihr falsche Betonung, unrichtige Hebung, Fallenlassen gewichtiger Stellen mit ungemeiner kritischen Strenge, um nicht lauerndes Aufpassen zu sagen, nachgewiesen. Es kommt von Männern, deren Urtheilsfähigkeit niemand in Frage ziehen darf. Auch bloßen Dilettanten, wohin wir uns bei so vielen ganz ungleichartigen Geschäften allein zählen können, ist es nicht entgangen. Allein dieß ist gewiß nicht Mangel an Einsicht, nicht Mißgriff aus Unwissenheit. Denn Unvermögen bei einer solchen Künstlerin zu sagen, wäre eine wahre Lächerlichkeit. Es ist bald allzugroße Sicherheit des Gelingens, die doch, wie alle Sicherheit, oft gefährlich wird, bald Hinübergleiten in die Manier des französischhen Cothürns, der ihr in einer Phädra und Merope so verführerisch zuwinkt. Daß sie es besser wisse, zeigte sie bei Wiederholungen desselben Stückes, worin man anderswo zu tadeln fand, und wo sie alles Getadelte hier von selbst vermied.
(Der Beschluß folgt.)
Editorial
Summary
Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: “Emilia Galotti” von Lessing (Teil 2 von 3)
Creation
–
Responsibilities
- Übertragung
- Fukerider, Andreas
Tradition
-
Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 214 (7. September 1819), f 2v