Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater, 29. Sept. 1819: “Wallensteins Lager” von Schiller (Teil 2 von 2)

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Wallensteins Lager.

(Beschluß.)

Daß vom Orchester hierein so wenig als möglich eingewirkt werden muß, um alles Opernartige möglichst zu vermeiden, versteht sich von selbst. Auch wurde bei dieser Vorstellung das Reiterlied, wie billig, bloß gesungen. Nur haben wir am Schlusse die letzte Strophe des Reiterliedes, die Schiller freilich erst später hinzufügte, ungern vermißt. Unmöglich kann in diesen Tagen, wo alles in’s alte Gleis beruhigt zurückgetreten ist, irgend ein Mißverständniß gedacht werden, und Schiller legte einen vorzüglichen Werth auf diesen Schlußstellen.

Auch in der dramatischen Vorstellung blieb kaum etwas zu wünschen übrig. Die Hauptrollen des kleinen Drama waren ja vorzüglichen Künstlern zu Theil geworden. Das lebendige Ordonanzbuch, der selbstgenügsame, pedantische, schlau- und wichtigthuende Wachtmeister wurde von Hrn. Werdy mit ungemeiner Wahrheit und Nachdrücklichkeit gegeben. Er verstand es, überall die rechten Drukker und Accente anzubringen. Sein Vortrag in Stellen wie: „eine Durchlauchtigkeit läßt er sich nennen“, war ungemein ergötzlich und wahr. Da, wo die Gleichnißrede von dem abgehackten Finger vorkommt, muß er die Handschuh ausziehen. So etwas weist ein so demonstrirsüchtiger Patron nur mit der ausführlichsten Versinnlichung. Herr Kanow, dem die am höchsten gestellte Rolle des ersten Pappenheimers geworden war, sprach mit Festigkeit und Selbstgefühl, und wußte den Hauptstellen überall im kräftigsten Tone ihr Recht anzuthun. Dem ersten Holkischen Jäger gab Hr. Wilhelmi dießmal noch weit mehr körperliche Beweglichkeit und Aufregung, die in der Natur eines solchen Brausewindes liegt. Und so erhielt jede, auch die kleinste Rolle, ihr Recht. Wir billigen es sehr, daß Herr Burmeister, als erster Arkebusier, von Buchau am Federsee in seiner Aussprache einen leisen Anklang vom schwäbischen Dialect hervortreten ließ, und erinnern uns sehr wohl, daß bei den ersten Vorstellungen des Lagers in Weimar die Rede davon gewesen, ob nicht die meisten hier betheilten Schauspieler, als einem aus ganz Deutschland zusammengewürfelten Heere zugehörig, in verschiedenen Mundarten gehört werden könnten. Schiller fürchtete aber mit Recht große Fehlgriffe und Lächerlichkeiten, die den Eindruck des Ganzen nicht vermehren, sondern zerstören würden, sobald die Aufgaben nicht mit großer Feinheit und dem richtigsten Takte, wie weit man gehen könne, lange eingeübt werden könnten. Doch ist es in Hamburg einmal mit gutem Erfolg versucht worden, wo der lange Müller von Itzehoe seine platte Mundart gut durchgeführt haben soll. Mit Recht hat man von jeher auf die Strafpredigt, die bei uns ein Klausner hält, ein besonderes Gewicht gelegt. Sie ist, wie Schiller selbst ¦ in der von ihm mitgetheilten Nachricht über die erste Aufführung des Lagers in Weimar ausspricht, das deutlichste Merkmal der in Wien sich bildenden Opposition gegen die hochstehenden Entwürfe des Obergenerals *) Hr. Geyer hat durchaus nichts übersehen, was zur charakteristischen Darstellung und zum Vortrage dieser gewaltigen Straf- und Zuchtrede unerläßlich ist. Er trug sie bei der heutigen Vorstellung noch kräftiger und lebendiger vor, als das erstemal, wenn auch das Publikum, sich bloß dem Eindrucke hingebend, weniger laut dabei wurde. Besonders gelang das pausirende Verpuhsten bei dieser ausgefütterten Körpermasse und die durch das umrauschende Gelächter immer höher gesteigerte Erhitzung des Redners sehr gut. Der Schauspieler muß sich hier durchaus gehen lassen können und das Mehr und Weniger vom augenblicklichen Eindrucke abhängig machen. Ungemein ergötzlich war der Moment, wo gegen das Ende der Bußprediger sich, bei der Stelle vom Diebstahle, zu den hier besonders befangenen Kroaten, die sich andächtig zu seinen Füßen gruppirt haben, herabbiegt. Hier ist dann auch die Declamation ganz an ihrem Orte. Dieß dürfte aber bei den übrigen Rollen des Stückes wohl weit weniger der Fall seyn. Da wurde doch nach dem Urtheile vieler Verständigen im Publiko überall noch zu viel declamirt. Warum bedient sich denn Schiller in diesem Vorspiele des alten deutschen Reimes, als um dem höheren Vortrage dadurch auszuweichen? Es muß hier weit rascher fortgesprochen und die höchste Mannigfaltigkeit und Abwechselung im Tonfall, in der Pause, in der wachsenden Leidenschaftlichkeit ausgedrückt werden. Selbst der Wachtmeister in seiner Gravität muß gegen das Ende, wie er die Münze vorzeigt, sich so weit erhitzt haben, daß er aus seinem vorigen Präceptorton ganz heraus und erboßt über die Tiefenbacher losfährt. Noch viel mehr ist dieß beim ersten Wallonischen Kürassier der Fall. Seine Rede, wie seine Stellung, predigte viel zu sehr. Es fährt alles, wie Wetterleuchten, das immer näher und nahe aufblitzt, durch diese Masse und das wahre Donnerwetter, mit bloßen Trompeten und Pauken von hinten begleitet – so in Weimar einigemale – bricht im schließenden Reiterlied aus. Das gewaltig mit fortgerissene Publikum kann dann auch nicht so still und zahm aus dem Parterre abmarschiren. Es ist ohnfehlbar Wechselwirkung in Allem!

Böttiger.

Donnerstag, den 30. Sept. Die Zauberflöte.

[Original Footnotes]

  • *) In einer Beilage zu Allgemeinen Zeitung vom 7. November 1798. vergl. den Commentar zur Kapuziner-Predigt, nach Ramberg’s Zeichnung, in der Minerva im 3ten Jahrgange von 1811. Wie konnte ein Leipziger Beurtheiler dieser Scene in der Bibliothek der redenden und bildenden Künste von 1807, III. Theil, S. 417, so ungereimtes über die Schicklichkeit dieser Rede vorbringen!

Editorial

Summary

Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: “Wallensteins Lager” von Schiller (Teil 2 von 2)

Creation

Responsibilities

Übertragung
Fukerider, Andreas

Tradition

  • Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 240 (7. Oktober 1819), f 2v

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