Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: “Das Nachtlager von Granada” von Friedrich Kind und “Die Vertrauten” von Müllner am 7. Dezember 1819

Back

Show markers in text

Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden.

Den 7. Decbr. Zuerst: Das Nachtlager von Granada. Schauspiel in 2 Aufzügen, von Friedrich Kind. Das Publikum hatte die Wiederaufführung eines so geistreichen Stückes, das im ersten Akt Idylle, im zweiten Romanze, das Zarte mit dem Schauerlichen vermählend, ein Liebling des Wiener Publikums im Burg-Theater, auch uns in Dresden in vielfacher Beziehung eine frohe Musenspende seyn muß, mit steigendem Verlangen gewünscht. Da Herr Becker den Jäger (den auf der Jagd verirrten Erzherzog Max) als zweite Gastrolle spielte, so erhielt die heutige Aufführung auch dadurch ein erhöhetes Interesse. Mad. Schirmer, in der Rolle des Hirtenmädchens, Gabrielle, war auch heute, wie immer, zart und lieblich. Ihre Schuld war es nicht, wenn sie dießmal ihre Liebkosungen nur an ein ausgestopftes Täubchen verschwendete. Die aus der Schüchternheit hervorbrechende Zutraulichkeit gegen den Jäger, den Verschämtheit beim halb zurückgedrängten Eingeständnisse der Liebe und die am Ende, als Max so lockende Anerbietungen macht, ihn so muthig abweisende Entschlossenheit wurde von den Zuschauern laut anerkannt. Ihre Kopfnicken, ihr Zuwinken mit den Händen, die Armüberkreuzung sind Bewegungen ländlicher Unschuld. Darum braucht aber diese Unbekanntschaft mit den Sitten der Städterinnen nicht in bäuerische Unbeholfenheit oder Ziererei auszuarten, wie dieß so oft geschieht. Hier ist für jüngere Schauspielerinnen viel zu lernen. – Hr. Hellwig gab in seinem Jäger mehr den rüstigen Waidmann, der zum Prinzen wird, Hr. Becker mehr den Prinzen in Jägerkleidung. Aber er ließ sich den Prinzen gleich vom Anfange herein zu sehr anmerken. Das mag gefallen, ist aber doch eine falsche Manier. Doch gefielen Schritt u. Gang, so wie er von dem absichtlich heute erhöheten Felsen herabstieg. Sie hatten etwas Vornehmes u. Zuversichtliches. Seine Zärtlichkeit gegen das schöne Mädchen war mehr Feinheit, mehr Spiel. Sehr gut war der Moment, als ihm im ersten Akte die räuberischen Hirten auf den Hals wollen. Im zweiten hemmte seine Kraftäußerung zum Theil die ängstliche Berechnung der Zuspielenden. Die Sache muß mehr wie Ernst aussehn. Hier geht bei uns manches verloren, was der Dichter viel kräftiger gedacht hat. Auf andern Bühnen macht dieß auch wohl mehr Wirkung. Wahrscheinlich lag es auch in solcher Erkältung von außen, daß Herr Becker, als er sich dem Alcade (der heute von Hrn. Pauli weit besser gespielt wurde, als von seinem Vorgänger) gehorsam beweißt, die Worte: „Hier ist mein Schwert!“ viel zu wenig hervorhob. Darum dürfen wir nicht unbemerkt lassen, daß wer oft Unbedeutendes hervorhebt, wie denn unser Gast selbst das Verlöschen der Lampe mit Pathos aussprach, wer das Bedeutende so zierlich ausdrechselt, wie das bekannte: „Ich bin den Adlern gut!“ freilich auch wohl einmal das Wichtige fallen läßt. Dieß sichtbare Studium der Declamation setzt dem wahren Gefühle Dämpfer auf. Wer alles ausmalt, entbehrt der Haltung im Gemälde. Wer das Geberdenspiel zu sehr vorbereitet, wird künstlich statt Künstler zu seyn. – Bei so seltnen Naturgaben in solcher Jugend und ¦ bei so heimischer Bekanntschaft mit der Bühne wäre etwas Selbstgenügsamkeit eher verzeihlich. Doch scheint es ihm voller Ernst mit der Kunst und so wird es nur von dem Künstler abhängen, die zu beschämen, die ihm tieferes Gefühl absprechen möchten.

Hierauf: Die Vertrauten, von A. Müllner, Lustspiel in zwei Akten. Herr Becker gab uns darin den Gärtner Bock. Der horchende Schalk ist doch stets seiner Begünstigung und Ueberlegenheit sicher und läßt in Seitengebehrden zu den Zuschauern gern seinen Triumph über den Gegner, den gutmüthig offenen, aber etwas dünkelhaften Strahlen, von Hrn. Hellwig ganz im Charakter dargestellt, hervorblicken. Dieß Nebenspiel vernachlässigte unser Gast mehr, als recht war. Er horchte bloß. Im lebendigen Doppelspiele wird er noch vieles auszubilden finden, wenn es ihm mit der Meisterschaft Ernst ist. Die interessanteste Scene des Stückes, wo alles bis auf die zwei einverstandenen Liebenden mystificirt wird, die Ueberreichung des Selams, gelang dießmal außerordentlich und wurde durch die wahrhaft zarte Manier und den Wohllaut der Mitteltöne, womit Hr. Becker die ausdeutenden Distichen declamirte, und womit Mad. Schirmer, als Sophie, dieß eben so fein erwiederte, ein sehr ergötzlicher Genuß für die Zuschauer, die auch beiden Declamirenden ihre Zufriedenheit durch lauten Beifall bezeugten. Wenn wir sagen, daß es dem Spiele des Hrn. Becker in dieser Rolle nirgends an Lebendigkeit, aber wohl hier und da an innerem Leben gefehlt habe, so möge er dieß für keinen Tadel, sondern nur für einen Wink halten, was ihn aus einem angenehmen, auch zu einem guten Schauspieler machen könne.

Böttiger.

Editorial

Summary

Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: “Das Nachtlager von Granada” von Friedrich Kind und “Die Vertrauten” von Müllner am 7. Dezember 1819

Creation

Responsibilities

Übertragung
Fukerider, Andreas

Tradition

  • Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 306 (23. Dezember 1819), f 2v

        XML

        If you've spotted some error or inaccurateness please do not hesitate to inform us via bugs [@] weber-gesamtausgabe.de.