Caroline von Weber an Friedrich Wilhelm und Ida Jähns in Berlin
Dresden, erhalten Montag, 9. Januar 1843
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- 1843-01-01: to Jähns
- 1841-03-12: from Lichtenstein
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- 1843-03-28: to Jähns
- 1843-07-02: from Schlesinger
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- 1843-01-01: to Jähns
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- 1843-03-28: to Jähns
- 1844-11-14: from Jähns
Meine lieben Kinder!
Wenn diesmal meine kleine Weihnachtsgabe so spät erscheint, wenn sie, gegen unsere Verabredung, keine Arbeit meiner Hände ist, so zürnt desshalb der armen Mutter nicht, deren Schuld es ja nicht ist, und nehmt das „Wenig[e] mit Liebe“ freundlich an. Mit meinem Auge geht es besser, nur dass es noch ununterbrochen thränt, besonders wenn ich in die Luft komme, auch hatte sich in der letzten Zeit der Kopfschmerz wieder eingefunden. Nun, einen kleinen Tribut muss ja Jeder geben, warum sollte ich eine Ausnahme machen wollen? Die Weihnachts, und Neujahrs Tage sind mir trüb und einsam vergangen, und wenn vollens ich gewusst hätte dass auch mein armer Alex in Altenburg krank war, hätte ich mich halb todt geängstigt, oder ich wäre trotz aller Augenentzündung hingereist und hätte mich villeicht blind machen können. Die bösen Jungen hatten aber auch höchst dumme Streiche gemacht, und Alexens Krankheit war eine ganz natürliche Folge solches Unsinns Max hat nehmlich im Maschinenhaus in Altenberg‡ grosse Reservoirs mit warmen Wasser für alle Maschinen. In diesen Behältniss nun, in dem man schwimmen kann, haben sie über eine Stunde gebadet, und sind dann, nur halb bekleidet, durch eiskalte Gänge wieder in Maxens Zimmer gelaufen. Alex bekam gleich solche Kopfweh dass er kaum noch stehen konnte, und musste die ganzen 3 Wochen seines Aufenthalts dort, das Zimmer hüthen. Noch jetzt hat ihm der Artzt eine strenge Dia[e]t verordnet, und besonderst wird es diesen Winter mit den Bällen schlecht aussehen.
Seit gestern ist er wieder hier, und ich danke nur Gott dass es noch so abgelaufen ist. Ihr seht meine lieben Kinder, jeder hat sein Kreuzchen zu tragen, aber leider ist bey Euch Ihr Armen, ein Kreuz ein schweres Kreuz daraus geworden* — Nun gebe nur Gott dass mit den neuen Jahr alles Böse schwindet, und nach dem Regen ein ordentlicher Sonnenschein kömt. Mit meiner Ida aber muss ich ein bischen zanken dass sie sich so gar trüben Gedanken hingiebt. Wo ist den meine starke muthige Ida? wo ist Deine gleichmässige Heiterkeit? Gutes Kind ich bitte Dich, stemme Dich gegen den Kleinmuth, denn damit wird Uibel nur schlimmer. Freilich ist es bey Euch armen Leuten auch trübselig gegangen, und es ist kein Wunder wenn man die Gedult verliert, aber meine Ida ist stärker wie Viele denen man den Kleinmuth verzeihen muss, darum nimm Dich doch nur recht zusammen, und alles wird wieder besser werden. Der Geist wirkt ja so sehr auf den Körper dass er viel Uibel bekämpfen und überwinden kann, besonders bey uns Frauen, und wenn man recht will so muss es schon noch komen wenn man geworfen werden kann. Der nächste Brief wird schon heiterer sein, nicht wahr meine Ida? Keine Todesgedanken mehr, die pasieren die Zensur nicht, und wenn auch Alex dies Frühjahr noch nicht kommen könnte, so wird er darum seine gnädige Herrin noch sehen, und „in Fülle der Gesundheit“, aber nicht uns allen zum Verderben, sondern zur Freude.
Mein klein Gartenhaus im Lämchen* habe ich mir wieder gemiethet, denn in dem Garten an unsern Hause wird mir der Kindertrubel zu gross werden. Es existieren solch ganz kleine Wesen nicht mehr als 9 in unsern Hause, welche im Somer, natürlich, alle da spielen wollen. Dann wird auch noch obendrein für all die Lieben die Kinderwäsche darin getrocknet, kurz, meines Bleibens ist daselbst, trotz Ehrhardts Bitten* nicht. Der kleine Ehrhardts Max ist aber ein lieber Kerl und macht mir viel Spass. Er schreit fast gar nicht, und unterscheidet sich darin sehr von seinem Pathchen welcher immer brüllte — Jetzt brüllt er zwar nicht, aber oft, recht oft jammert er dass er so geschieden von uns leben muss. Wohl ist das betrübt, aber doch auch gewiss wieder gut, denn nur so kann er ganz zum Manne heran reifen und selbstständig werden.
Alex kann mir gar nicht erzählen genug, wie er sich schon zu seinem Vortheil geändert, wie fest und ernst er in seinem Dienst, mit seinen Untergebenen ist. Und doch lieben sie ihn alle sehr. Seine Stellung in Altenburg ist höchst angenehm, er ist ganz sein eigner Herr und hat nicht übermässig viel zu thun. Im Ganzen steht er sich auf 500 Thaler, er kann also recht bequem und angenehm von seinem Gehalt leben. In kleinen Städten, wie Altenburg, ist man auch gesellig, und vermisst er auch einen geistreichen Umgang, so kann er sich doch ziemlich gut amüsieren. Freilich wenn er hier war, und in Gesellschaft von Bendeman, Hebner‡, und Ehrhardt, dann wollen die lieben Altenburger nicht schmeken, aber man kann nicht Alles haben, und wir müssen Gott danken dass seine Stellung im ganzen so angenehm ist.
Seit kurzen macht hier ein junger Componist Richard Wagner, grosse Sensation. Die erste Oper „Rienzi“ welche gegeben wurde, hat ungeheuren Beyfall gehabt. Mir war der Specktakel zu gross darin, und es kam mir nicht wie Musik, sondern wie ein musikalischer Lärm vor. Ich habe die Oper jedoch nur einmal gehört, und will kein Urtheil fällen, denn Viele finden grosse Schönheiten darin. Vorgestern wurde seine zweite Oper „der Fliegende Holländer[“], auch wieder mit Beyfall gegeben. Der erste Act ist jedoch sehr langweilig, was auch mit von der schlechten Besetzung herkommen magte*, im zweiten hingegen sind prächtige Sachen. Nun, ihr werdet die Oper bald in Berlin zu sehen bekomen*. Herr Wagner wird wahrscheinlich an Kastrollis‡ stelle, Kapellmeister werden, was natürlich Herrn Reisiger gar nicht recht ist und wogegen er sich mit Händen und Füssen sträubt. Es wird ihm aber alles nichts helfen, denn Lüttigau fühlt endlich dass ein junger feuriger Mann hier Noth thut um die Leute im Orchester ein wenig aus dem Schlaf zu rüttlen. Mich sollte es sehr freuen wenn Wagner bliebe, denn es ist ein geistreicher lieber Mann, der der Kunst mit Leidenschaft ergeben ist. Als Probe, wird er nächste Woche die Euryanthe dirigieren* worauf ich mich herzlich freue. Sollten Sie lieber Jähns einmal den Meyerbeer sehen, so sagen Sie ihm doch von mir, wenn Jemand das Buch zu den Pintos machen könnte so wäre es einzig Wagner (er macht nehmlich seine Opernbücher selbst) der würde ganz in seine Ideen eingehen, und ko[e]nnte den Text der Musik anpassen. Kann der’s nicht, kann es auch keiner, denn ich glaube nur er, mit seiner lebendigen Phantasie kann Meyerbeer genügen. Bitte sagen Sie ihm das von mir ich wäre sehr froh wenn Meyerbeer darauf einginge. Auch unser[n] guten Lichtenstein grüssen Sie mir herzlich guter Jähns, und bringen ihm meine[n] Glückwunsch zu seinen Geburtstag (den 10) Gern hätte ich ihm heute noch geschrieben aber meine Augen wollen nun nicht mehr. Darum muss nun auch die lange Epistel geschlossen sein. Der kleine Termometer ist für meinen jetzt in immer heissen Klima lebenden Freund, damit er des Guten nicht zu fiel thut. Der Sieglak aber gehört Euch beiden damit Ihr die Briefe an die Mutter Weber sieglen könnt. Für die Jungen habe ich diesmal nichts — sie sollen mir verzeihen. Alex dankt innig für den schönen Faullenzer, sein krankes Haupt ruht sanft darauf. Max hat den Seinen noch nicht und Mutter benutzt ihn indessen. Das Tuch ist wunderschön und findet grossen Beyfall.
Doch nun Ade Ihr Lieben Gott schütze und behüthe Euch.
Die Mutter umarmt Euch herzlich
Editorial
Summary
berichtet von Alex’ Krankheit, die er sich durch Leichtsinn in Altenburg zugezogen hat, hat ihr Quartier im “Lämmchen” wieder gemietet; berichtet ausführlich über Wagner und dessen Opern “Rienzi” und “Der fliegende Holländer”, die große Sensation gemacht hätten; bittet Jähns, falls er Meyerbeer sieht, ihm zu sagen, dass einzig Wagner das Textbuch zu den Pintos machen könnte, in der folgenden Woche wird er die Euryanthe zur Probe dirigieren, worauf sie sich freut; bittet, Lichtenstein zum Geburtstag zu gratulieren
Incipit
“Wenn diesmal meine kleine Weihnachtsgabe”
Responsibilities
- Übertragung
- Frank Ziegler Eveline Bartlitz
Tradition
-
Text Source: Dresden (D), Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek (D-Dl)
Shelf mark: Mscr. Dresd. App. 2097, 80Physical Description
- masch. Übertragung nach dem verschollenen Original (Nr. 80 des Konvoluts)
- 6 S.
- am Kopf die Notiz: “Empfangen d. 9. Januar. 1843”
Corresponding sources
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MJ S. 202 (Auszug)
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Weberiana 12 (2002), S. 26f. (Auszug)
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Weberiana 27 (2017), S. 76 (Auszug)
Text Constitution
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“Altenberg”sic!
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“Hebner”sic!
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“Kastrollis”sic!
Commentary
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“… ein schweres Kreuz daraus geworden”Zur Krankheit von F. W. Jähns (Ablösung der Fingernägel, so dass seine berufliche Existenz als Musiklehrer gefährdet war) vgl. Max Jähns, Familiengemälde, S. 198.
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“… ist daselbst, trotz Ehrhardts Bitten”Im Haus Dippoldiswaldaer Gasse Nr. 5 wohnte Caroline von Weber im Parterre, Adolf Ehrhardt 2 Treppen; vgl. Dresdner Adress-Handbuch auf das Jahr 1843, S. 299 bzw. 48.
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“… der schlechten Besetzung herkommen magte”Im I. Akt waren besetzt: J. M. Wächter (Holländer), C. G. Risse (Daland) und Wenzel Bielczizky (Steuermann).
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“… in Berlin zu sehen bekomen”Die Berliner Erstaufführung fand erst am 7. Januar 1844 statt.
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“… nächste Woche die Euryanthe dirigieren”Aufführung am 10. Januar 1843.