Gedanken über die Gestaltung der Euryanthe-Dichtung
Baden (Wien), Mittwoch, 1. März 1826

Back

Show markers in text

[Anfang fehlt] nicht erst bezeichnet worden, doch habe ich die Belege darüber, daß er es gethan, und er hat es meist Alles mit meiner Zustimmung gethan, und sich vorher die Mühe genommen mich zu belehren warum er es nothwendig fand. Von der Novelle* im Allgemeinen mußte abgewichen werden, das Veilchen wäre, nach Ludwig Tiecks eigenem Ausspruch nicht dramatisch-musikalisch, nach meiner Ansicht nicht dezent für die Darstellung; die alte Gundrieht wäre keine höchst willkommene Opernerscheinung gewesen, u hätte in einer ernsten Oper keinen musikalischen Charakter bekommen können, Eglantine, schlangenhaft, treulos, leidenschaftlich, voll Eifersucht, sich selbst den Abgrund höhlend, in dem sie taumelt u zu Grund geht, konnte allein der musikalischen u theatralischen Wirkung genügen, wie Weber mir zugestand. Das Orakel des Geistes konnte für den Zuschauer so wenig als für Euryanthe und Adolar noch für Eglantine verständlich abgefaßt | werden, nur der Ausgang konnte u durfte das Räthsel lösen, sonst hätte die Entwickelung in der Exposition mit Händen gegriffen werden können, u die Zuschauer konnten nach Hause gehn. Die Eröffnung an Eglantine ist übrigens aus wenigstens zehn Entwürfen gewählt worden, u Weber hat sie abgekürzt, weil sie es werden mußte. Seltsam hat mich u. andere in einigen Berichten die Rüge der Namensabkürzung, besonders da befremdet wo sie in burschikosen Ton gegeben worden, die Elision des E. bei Namen ist, wenn auch nichts Anrüchiges, doch nichts Ungewöhnliches. freilich kann man nicht aus Julie z. B. Juli, oder aus Auguste August machen, aber aus Euryanth’ wird kein Sommermonat, u ursprünglich heißt sie so im altfranzösischen Grundtext: Euriant man braucht Adelheid für Adelheide, müssen Agnes für Agnese, u. v. a. ich kenne kein Sprachgesetz nach welchem weibliche Namen mit e oder a schließen müßten. Hedwig für Hedwiga, Hildegard, Irmgart gelten für viele. Aufs strengste genommen könnte man mir blos den Vorwurf machen daß nicht immer Euryanth | gesetzt worden: für den Reim auf anth habe ich wirklich keine Vorliebe, ich sage, mit Goethe:*

Ob sich gleich auf deutsch nichts reimetReimt der Deutsche dennoch fort.

Ein männlicher Schluß aber war nöthig um das erste Finale abzuründen, dieser, wie er ist, steht im ersten Entwurf. Weber wurde so ergriffen von den drei Zeilen:*

Adolar: Ich bau auf Gott u meine Euryanth!Lysiart: Ich bringe dir ein sichres Unterpfand!Chor: Die Unschuld schütz, o Gott, mit starker Hand!

daß er ausrief: []das ist herrlich! diese drei Zeilen geben mir ein Musikstück von zehn Minuten, der Ausspruch Adolars soll als Grundton durch das Stück gehn u muß im Schlußchor wiederkehren!“ – wer hat nicht den herrlichen Tonsetzung eben dieses Ausspruchs reiner u starker Liebeszuversicht, der so kraftvoll durch das Finale klingt, bewundert? Mir aber ist gelehrt worden das wäre schlecht gereimt, u mir hat man vorgeworfen ich hätte dem Componisten zu diesem Introduktionsschluß nur drei Zeilen geliefert!!! da sieht man, was die Herrn von der Sache verstehn! Auch zu weitschweifig bin ich nirgend gewesen, wo zu viel Text war | durfte der Componist nur streichen, wie er häufig gethan, u wohlgethan! Ueberdem wäre dem ganzen Jammer leicht abzuhelfen, wenn sich einer der Herrn Referenten, die so getrost ins Blaue hinein tadeln u den Stab brechen, aus Liebe zu dem göttlichen Tondichter u zur Befriedigung des Publikums, der Composition einen, der Critik genügenden Text unterlegen, u ihn Weber überreichen wollte. Vielleicht käm ich dabei am beßten weg. Abgerechnet die Kleinigkeit daß allgeliebte Künstler und Künstlerinnen aller deutschen Städte wo die Kunst blüht u der Geschmak thront, u wo die Euryanthe bis itzt in die Szene gekommen die Rollen mit unendlicher Liebe aufgefaßt, u zum allgemeinen Entzücken dargestellt, (denn es ist dramatischer Weise etwas weniges dafür gethan worden, daß die Rollen dankbar sind) abgesehen daß ein Sturm von Beifall den verehrten Meister u in Ihm die Dichterin lohnt, abgerechnet daß die Referenten selbst das Lob des Tondichters durch Nieder Herabwürdigung der Dichtung noch höher zu schwingen, noch tiefer zu begründen zu wollen – heucheln; ist abgerechnet all diese Unerheblichkeiten, ist ein neuer Text zur Oper u namentlich von irgend einem der Herrn, die diesen nicht leiden können, vielleicht das Erwünschteste von der Welt, u ich hätte eigentlich nichts dagegen, ich befürchte nur daß Weber keinen andern mag.

Helmina von Chezy.

Editorial

Summary

über die Konzeption der Euryanthe-Dichtung (Veilchen) bzw. deren Reimgestaltung; Chézy verteidigt ihre Dichtung gegenüber der Kritik

Creation

1. März 1826

Responsibilities

Übertragung
Veit, Joachim

Tradition

  • Text Source: Berlin (D), Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (D-Bbbaw)
    Shelf mark: NL H. von Chézy 100

    Physical Description

    • 1 DBl. (4 b. S.)

Text Constitution

  • “er”added above
  • “höchst”added above
  • höhlendhöhlend” crossed out and replaced with “höhlend
  • “höhlend”sic!
  • “wenn auch nichts Anrüchiges, doch”added above
  • “müssen”crossed out
  • “gelten für viele”added above
  • “als Grundton”added above
  • Tonsetzung“Satz” crossed out and replaced with “Tonsetzung
  • “Tonsetzung”sic!
  • wie er“u über dem” crossed out and replaced with “wie er
  • der“seine” overwritten with “der
  • “u wo die … die Szene gekommen”added above
  • “verehrten”added above
  • “in Ihm”added above
  • “Nieder”crossed out
  • “zu”crossed out
  • “ist”crossed out
  • mag“verlangt” crossed out and replaced with “mag

Commentary

  • “… nothwendig fand. Von der Novelle”Übersetzung der Novelle (Geschichte der tugendsamen Euryanthe von Savoyen) in: Friedrich von Schlegels herausgegebener Sammlung romantischer Dichtungen des Mittelalters. Aus gedruckten und handschriftlichen Quellen, Bd. 2, Leipzig 1804; Übersetzung und Neuausgabe Euryanthe von Savoyen. Aus dem Manuskript der Königl. Bibliothek zu Paris: „Histoire de Gerard du Nevers et de la belle et vertueuse Euryant de Savoye, sa mie“ mit Vorrede der Chézy, 1823 Berlin (Vereins-Buchhandlung).
  • “… ich sage, mit Goethe :”J. W. v. Goethe, Gedichte (Ausgabe letzter Hand. 1827), Gesellige Lieder: aus der letzten Strophe des Liedes „Musen und Grazien in der Mark“.
  • “… ergriffen von den drei Zeilen:”Szene I/1 (Nr. 4 Terzett mit Chor).

    XML

    If you've spotted some error or inaccurateness please do not hesitate to inform us via bugs [@] weber-gesamtausgabe.de.