Aufführungsbesprechung Halle: “Der Freischütz” von Carl Maria von Weber, mit Bemerkungen zur Schauspieltruppe der Madame Walther, Sommer 1822 (Teil 1 von 2)
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Halle. Es haben sich in mehreren Blättern Aeußerungen über die Schauspieler-Gesellschaft der Frau Direktrice Walther ausgesprochen, die – zur Steuer der Wahrheit – einiger Berichtigungen bedürfen. Fern sey von mir die Absicht, irgend Jemand den Fehde-Handschuh hinwerfen zu wollen. Der Wahrheit nur will Referent das Wort reden und er hegt den friedlichen Wunsch, daß Widersacher sich beschwichtigen lassen, daß alle sich in Eintracht verständigen, Keiner den Andern und Keiner die Kunst in ihren oft schwierigen Darstellungen ferner anfeinden möchte. – Göthe hat ohnlängst ein triftiges Wort zu seinen Zeitgenossen gesprochen, ein Wort, das auf jedes Verhältniß des gesellschaftlichen Verkehrs anwendbar seyn dürfte: „In der jetzigen Zeit“, sagt dieser tiefe Denker, „soll Niemand schweigen, oder nachgeben; man muß reden und sich rühren, nicht um zu überwinden, sondern, um sich auf seinem Posten zu erhalten, ob bei der Majorität oder der Minorität ist ganz gleichgültig“. – So laßt uns denn sprechen, der Wahrheit und dem Recht zu Ehren, so wie es die Wahrheit und das Recht erheischen! Die aus achtbaren, in der Bühnenwelt nicht unrühmlich bekannten Mitgliedern bestehende Schauspieler-Gesellschaft der Frau Direktrice S. Walther, welche man hoffentlich doch nur in einem Augenblick leidenschaftlicher Animosität mit dem ungebührlichen Namen einer „wandernden Truppe“ bezeichnen wollte, hat längst aufgehört, zur theatralischen Hefe ähnlicher Kunstfahrer zu gehören, da dieser, mancher stehenden Bühne gleich kommender Künstler-Verein ausschließlich nur die beiden Städte Halle und Magdeburg bereist. – Während ihres diesjährigen Aufenthalts in Halle hat diese wackere Schauspieler- und Opern-Gesellschaft sich nicht nur die allgemeine Zufriedenheit, sondern den Dank der hiesigen Theater-Freunde für die, alle billigen Anforderungen völlig befriedigenden Darstellungen erworben, und wer da weiß, welche schwierige Aufgabe es ist, in einer Universitäts-Stadt – wo die Ansichten, Urtheile und Anforderungen sich eben so sehr widersprechen, als letztere oft schwer zu befriedigen sind – den allgemeinen Beifall zu erringen, es – wie man zu sagen pflegt – Allen recht zu machen! der wird das sowohl von Seiten der Schauspieler, als der Direktion Geleistete nach Verdienst anerkennen wollen. – Zur Bewährung obiger Angabe, daß nämlich die Hallesche und Magdeburgsche Schauspieler-Gesellschaft aus nicht unrühmlich bekannten Mitgliedern bestehe, bedarf es nur, einiger derselben namentlich zu erwähnen: Die Gebrüder Hartmann, beide als sehr brauchbare Schauspieler bekannt, der ältere seit Jahren schon Mitglied und Regisseur des Waltherschen Theaters, früher bei dem Königlichen Hoftheater zu Stutgart angestellt. Herr und Frau Spengler, ein wackres, in sittlicher und in artistischer Hinsicht achtbares Künstler-Paar. Herr und Frau Urspruch, ersterer als Tenorist und letztere als Sängerin sehr schätzenswerth. Die beiden Frauen Hartmann, Gat¦tinnen der Brüder, beide in ihren Fächern brav (die Frau des ältern Bruders war als Demois. Gaus eine vorzügliche Künstlerin und in Stutgart sehr beliebt). Frau Henne, bisher der Liebling des hiesigen Publikums, obschon ihr Darstellungs-Talent in Spiel und Vortrag Manches zu wünschen übrig läßt. Herr Toussaint, als Bassist vortheilhaft bekannt, vordem Mitglied der Königlichen Hofbühne zu Dresden; und Herr Duprè, ein für das Fach der Chevaliers sehr wackerer Schauspieler. Diese und ähnliche Mitglieder verdienen doch wohl Anerkennung? – Nebst manchem Guten und Schönen im Gebiete der dramatischen und lyrischen Kunst, verdanken wir auch der Direktrice Walther, die stets beflissen ist, den Wünschen des Publikums möglichst zu entsprechen, den hohen Kunstgenuß der classischen National-Musik von Weber, zu Kind’s gedichtetem „Freischütz“. Acht Mal wurde diese herrliche Oper bei überfülltem Hause gegeben, mit allem Kunst-Aufwande, den Orts- und Mittels-Verhältnisse irgend gestatteten. Nur müßte man nicht unpassender Weise den Maaßstab einer Vergleichung anlegen wollen, die schon aus dem Grunde nicht statt finden kann, da der Direktion des hiesigen Theaters weder in finanzieller, noch in artistischer Hinsicht die Hülfsmittel anderer benachbarten Bühnen zu Gebot stehen. Gleichwohl wurde bei der Darstellung des „Freischütz“ von der Direkton nichts gespart, um seine Erscheinung auf der hiesigen Bühne mit möglichster Vollkommenheit zu bewerkstelligen, ein Bestreben, das in der That um so mehr Lob verdient, da die Direktion fast unüberwindlich scheinende Hindernisse zu bekämpfen hatte. Ein, theils durch die freundliche Mithülfe des hiesigen Musik-Vereins, theils durch berufene auswärtige Musici vollständig gewordenes Orchester, trug vieles zur lobenswerthen Darstellung bei. Neue Dekorationen und Garderobe, erstere von dem Leipziger Dekorateur, Hrn. Gerwitz, verfertigt, der auch die Scenerei der ersten Vorstellungen leitete, wurden angeschafft und es gereicht der Direktion zur Ehre, daß unbefangene Zuschauer, die diese Oper in Leipzig und in Braunschweig sahen, auf der hiesigen Bühne Manches, wo nicht besser, doch eben so gut als auf jenen gefunden haben. (Der Schluß in der Beilage).
[Karl Philipp Bonafont]*
Editorial
Summary
Bemerkungen über die Schauspieltruppe der Madame Walther und deren Aufführung des “Freischütz” von Carl Maria von Weber (Teil 1 von 2)
Creation
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Responsibilities
- Übertragung
- Fukerider, Andreas
Tradition
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Text Source: Der Gesellschafter, Jg. 6, Nr. 161 (9. Oktober 1822), pp. 764
Commentary
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“… Karl Philipp Bonafont”In Hallisches patriotisches Wochenblatt zur Beförderung gemeinnütziger Kenntnisse und wohlthätiger Zwecke, Jg. 23, Nr. 52 (28. Dezember 1822), S. 1140 verweist Bonafont auf seine eigene Autorschaft des vorliegenden Artikels.