Unbekannt (möglicherweise Friedrich Rochlitz?) an Carl Maria von Weber in Dresden
um den Jahreswechsel 1816/17
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Schreiben
an Karl Maria von Weber,
da er sein Amt als königlicher Kapellmeister in Dresden antrat.*)
So ist es gelungen? und Ihr Hauptzweck bey der Uebernahme dieses ehrenvollen Amtes, so wie eine der Hauptforderungen der Behörde an Sie, die Errichtung einer deutschen Oper? Nun denn: meinen fröhlichen Glückwunsch dazu! Gewiss: in diesem neuerlangten Amte werden Sie erst recht an Ihrem Platze seyn; und da kann es auch kaum fehlen, Sie werden fortan ein beruhigteres, glücklicheres Leben führen. Verlangt dies Amt ja doch nach allem Wesentlichen nichts von Ihnen, als dass Sie fortfahren in dem, was Sie selbst früher aus Bewusstseyn Ihrer Fähigkeiten, aus Neigung und freyem Entschluss sich erwählt, was Sie bisher, meist unter schwierigern, ungünstigern Verhältnissen, versucht, gethan, erprobt haben. Dies Nämliche sollen Sie nur jetzt zunächst einem bestimmten Orte und Publicum zuwenden; es in der Ausführung, so weit die Gegenstände selbst es zulassen, diesem Orte und diesem Publicum anbequemen; wofür Ihnen nun auch noch die Freude wird, sich in Ihrer Thätigkeit sicherer und freyer bewegen und den Eindruck Ihrer Wirksamkeit – einen nicht blos augenblicklichen, sondern bleibenden – weit mehr bemerken zu können, als das bisher auf Ihren vielen Reisen oder in einer Lage, wo alle Ihre Leistungen blos einer zufällig zusammenlaufenden Volksmasse und deren oft so verkehrten Anforderungen oder Launen hingegeben werden mussten, möglich war. Was begründet denn aber die Zufriedenheit und das Lebensglück eines Mannes, der nicht gedankenlos und wüst in den Tag hinein es treibt, wenn nicht eben das es thut? Jaja: Sie müssen durch diese Veränderung auch glücklicher werden; und ich brauche für meine Behauptung nicht einmal geltend zu machen, was mehr das materielle Leben betrifft, darum aber doch wahrlich keine Kleinigkeit ist: eine in jeder Hinsicht gesicherte Existenz, eine sorgenfreye Lage, eine wahre und am Ende jedem Besonnenen erwünschte Heimath u. dgl.; Güter, deren Erreichung dem Musiker, besonders dem Virtuosen, in unsern Tagen ohne Vergleich mit ehedem schwieriger gemacht wird, theils durch die überaus hoch gestiegene Ausbildung vieler vorzüglichen Dilettanten, theils durch noch nie erhörte Verbreitung einiges Musiktreibens niedrer Art unter der gesammten Volksmasse, die aber dadurch eben für solche Musik niedrer Art ein Uebergewicht hervorgerufen, die Handhabung des öffentlichen Urtheils über die Productionen grossentheils an sich gerissen hat, u. dgl. m.
So viel im Allgemeinen: ich komme nun im Besondern auf das, was Sie bey der Nachricht von dieser Entscheidung Ihres Geschicks Näheres äussern; ich meyne vorzüglich Ihre Bedenklichkeiten und Besorgnisse. Sie machen Ihnen Ehre und mir Freude: doch geben Sie ihnen, wie es scheint, zu vielen Raum. Thun Sie das nicht! es würde sonst jetzt Ihre Freude trüben und wohl gar in Ihre Zukunft hineinklingen. Eine Art Wagnis bleibt ja jedes Bedeutende, was wir unternehmen. Ist die Sache recht, gut, und dem angemessen, wie wir sind und was wir vermögen: so müssen wir auch ihr selbst, dem Geschick und den Menschen, mit denen wir es zu thun haben, Etwas zutrauen. Und mit wem haben Sie es denn hier zu thun? Zuvörderst mit einem hochbejahrten Fürsten, dessen Gerechtigkeit liebender, streng gewissenhafter und fest beharrender Charakter von aller Welt anerkannt ist. Was Musik betrifft, so war er aufgewachsen und wurde dann gründlich unterrichtet, hernach vertraut, in und mit dem, was von den spätern Meistern der neapolitanischen Schule ausgegangen, und was von deutschen, wie Hasse und Naumann, für Kirchenmusik und Oratorium, von italienischen, wie Cimarosa und Paisiello, für Opernmusik, aufgenommen und durch jeden dieser trefflichen Männer in seiner Art mehr oder weniger umgebildet worden ist. Dass der König diesem mit entschiedener Vorliebe zugethan geblieben ist und zu alle dem, was durch und seit Joseph Haydn für Emporbringen der Instrumentalmusik geschehen, dann von dieser auch in die Gesangsmusik übergegangen, keine Neigung gezeigt: das ist wahr und eben für Sie, den durchaus neuen und in dieser fünften Hauptperiode der Tonkunst mit allen Fasern eingewachsenen Meister, vielleicht ein Hauptgrund Ihrer Besorglichkeit. Aber erstens ist ja noch die Frage, ob dieser Mangel an Antheil nicht grossentheils aus Mangel an Bekanntschaft herrührt, indem man bisher, jener bekannten Vorliebe wegen, gar nicht gewagt hat, Neueres dem verehrten Könige zu Gehör zu bringen, und ob er nicht, würde dies, allerdings mit verständiger Wahl, versucht, nach und nach ein wahres Wohlgefallen daran finden würde. Dies wäre, dünkt mich, um so mehr zu hoffen, da zweytens jene begünstigten Werke in sich selbst würdig und schön sind, und wahre Liebe zu dem Einen, in sich Würdigen und Schönen, für gerechte Aufnahme jedes Andern, das es gleichfalls ist, fähiger und geneigter macht; da überdies jene Werke den ersten und eigentlichen Erfindern der fünften Musik-Periode (namentlich Haydn, und noch mehr Mozart) grossentheils zur Vorschule dieneten, und so doch wohl hierzu auch dem von ihnen gebildeten Dilettanten dienen könnten. Endlich drittens: Stehe und werde es mit diesen beyden Punkten, wie es wolle: dieser gerechte und edelgesinnete Fürst, wie er überhaupt nichts, gar nichts stört oder hindert, was, wenn auch ihm nicht zusagend, doch nicht offenbar vom Uebel ist, – so wird er zuverlässig auch in dem verfahren, wovon wir hier sprechen; er wird Sie schon, um Ihrer so freudigen und eifrigen Thätigkeit selbst willen, wohin sie sich auch richte, hochschätzen und frey walten lassen und, dass er dies thue, offen und mit Absicht bemerklich machen, sogar schon darum, weil Sie nun in seinen Diensten sind. Und eines Weiteren bedarf es in solchen Dingen doch eigentlich nicht: ja gar manches Weitere, wo es ist, wenn es von der einen Seite hebend und erfreulich seyn kann, wird gar leicht von der andern lastend und niederschlagend.
Zweytens haben Sie es zu thun mit der Kapelle. Da ich zu einem, auch für die Welt gebildeten und in ähnlichen Verhältnissen erfahrnen Manne spreche, so lasse ich gänzlich unberührt, was aus dem einen Worte hervorgeht: die Kapelle ist Ihnen untergeben; und setze blos hinzu: sie wird gar bald Ihnen auch ergeben seyn. Im Besondern zu berücksichtigen scheint mir hier zunächst Folgendes zu seyn. Diese Kapelle hat von Alters her einen aufgezeichneten Ruf und entschiedenen Credit genossen, weit weniger um einzelner Virtuositäten, als um eines vortrefflichen Ensemble willen; sie geniesst Beydes noch: aber freylich in Hinsicht auf jene Gattungen Musik, die fast allein auszuführen sie Gelegenheit gehabt, und zu welchen nur in letzter Zeit, was die italienische Oper betrifft, einiges Spätere hinzugekommen ist. Hier ist allerdings eine Lücke und besoaders‡ in dem, was seit Emancipation der Orchestermusik, vornehmlich der Symphonie, durch und seit Haydn hervorgegangen und auch in die übrigen Musikgattungen eingedrungen ist: eine Lücke aber, die ausgefüllt zu sehen, gewiss nicht wenige der ausgezeichnetern, besonders jüngern Mitglieder des Institus schon längst wünschen, gewiss nicht leicht ein Anderer auszufüllen so geneigt und so befähigt ist, als Sie, bey Ihrer Vertrautheit mit alle diesen, bey Ihrem Leben in alle dem, und bey der, Ihnen durch Natur, Ausbildung und Erfahrung gewordenen, herrlichen Directionsgabe, mit welcher Sie, ohne alles Verletzende oder sonst zur Opposition Reizende, die Ihnen Zugegebenen, ohne dass sie im Moment wissen, wie ihnen geschieht, zu beleben, zu erheben, zu erwärmen, wo es gilt, mitfort zu reissen vermögen, so dass Jeder zum Ganzen beyträgt, was er nur irgend vermag und wovon bisher er vielleicht selbst nicht wusste, dass er es vermöge. Wahrhaftig: wenn ich dort beym ersten Punkte nur gute Hoffnung zu erregen versuchen konnte, so glaube ich, hier beym zweyten zu voller Zuversicht und frischem, fröhlichem Muthe Sie aufrufen zu müssen. Unter gewissen Umständen (wovon hernach) und etwa in Jahr und Tag: da sollen Sie mir’s in’s Gesicht sagen, ob ich Recht oder Unrecht gehabt habe.
Nun aber drittens – und das scheint, auch nicht mit Unrecht, der wichtigste Punkt Ihrer Bedenklichkeiten zu seyn. – Sie haben zu thun mit dem örtlichen Publicum, wie dies nun eben ist. Da fragt sichs nun zuvörderst: wie ist dies denn? Es ist so, wie es unter den schon angegebenen Verhältnissen seyn kann. Viel Antheil an Musik überhaupt, dort, wie jetzt überall; mehr Bekanntschaft, ja Vertrautheit mit ausgezeichneten Werken der Tonkunst, wahre Achtung und Liebe zu ihnen: aber eben zu jenen Werken und denen, ihrer Art. Ich setze hinzu: Es ist das Publicum einer Residenz, und, wie überhaupt, so auch in Hinsicht auf Musik, mehr als vielleicht jetzt noch irgend eins in Deutschland, residenzialisch gesinnt, gestimmt, gewöhnt. Hiernach will es, was es hat. Gut! denn was es hat, war selbst gut, und ist es noch, wird es, bleibt man gerecht, für immer bleiben: aber gut in seiner Art. Nun aber das Andere, das viele Andere, aus älterer und neuerer Zeit, das gleichfalls gut und in gewissen Richtungen ohne allen Zweifel besser ist! Dies kennt Ihr örtliches Publicum nicht. Dass es dies nicht kennt, muss man bedauern, kann es ihm aber nicht vorwerfen; denn es hat ihm an Gelegenheit gefehlt, es kennen zu lernen. So verhelfe man ihm zu dieser Kenntnis. Aber es ist ihm nicht geneigt, zum Theil wohl auch abhold! Das ist freylich nicht gut. Doch kann denn nicht werden, was noch nicht ist? Es kann und wird; denn Einseitigkeit und Beschränktheit aus dieser Ursache ist ja kein Beweis, und nicht einmal ein Zeugnis für Unfähigkeit oder Unempfänglichkeit für Anderes, wenn man dies nur erst kennen lernt. Auch finden Sie diese gänzliche Unbekanntschaft nur bey einem Theile Ihres jetzigen Publicums, welcher der zahlreichere seyn mag, aber für die Sache im Ganzen nicht der bedeutendere ist: dem andern ist es weder so ganz unbekannt, noch ist er darauf unvorbereitet. Wie könnte das auch anders seyn? er müsste ja nicht mitten in Deutschland, sondern auf einer entlegenen Insel gelebt haben! Auch Sie, mein Freund, waren schon vor Ihrer Ankunft nicht Wenigen in Dresden einigermassen bekannt, wenigsten nach Ihrem Rufe; und nun ist man gespannt auf Ihre Compositionen, wenn auch meist unbesehens und mit einer Art von Scheu, als vor Excentrischem und Ultra-Neologischem. Gerade diese Scheu – glauben Sie mir – wenn Sie auch Anfangs etwas zweydeutig sich zeigt und lauersam macht, nützt Ihnen; denn sie führt Ihnen aufmerksamere und schon angeregte Zuhörer herbey: was ja, wenn man Gutes zu bringen hat, diesem und dem, der es bringt, nur vortheilhaft seyn kann; doppelt vortheilhaft in einer Kunst, deren Werke, ihrer Natur nach, bey der Darstellung vor den äussern Sinnen so schnell vorüberfliegen. Demnach möchte ich sogar am meisten rechnen auf das, was Sie am bedenklichsten macht: auf Ihr Publicum nämlich. Geben Sie ihm nur (ich meyne: überhaupt; nicht blos von eigenen Arbeiten) das Beste: dies aber nach allen Hauptrichtungen der Tonkunst, den gewohnten, wie den ungewohnten. Geben Sie es ihm auf’s Beste. Das Beste, auf’s Beste dargestellt, verfehlt seine Wirkung nirgends gänzlich, wenigstens nicht auf die Dauer. Um des Letzern willen: Beharrlichkeit! um des Erstern willen: Geduld! Ohne Beyde erreicht man an einer Menge und von ihr nun einmal nichts von Bedeutung, was es auch sey; wenigstens nichts in Dingen, wo ein Neptunisches Quos ego – ! nicht statthaben oder man nicht Napoleonisch Kanonen anfahren lassen kann.
Nun glauben Sie aber auch noch besonderer Hülfsmittel zu bedürfen, um Ihr Publicum für sich und Ihre Leistungen zu gewinnen. Ich glaube das nicht: doch mögen Sie Recht haben, wenn Sie damit früher zum Ziel zu gelangen hoffen. Darum widerspreche ich nicht, sondern theile meine Gedanken mit über das, was Sie zunächst im Sinne tragen.
Sie wollen über die Hauptgegenstände, die Sie einzurichten Willens oder öffentlich auszustellen im Begriff sind, schreiben und in periodischen Blättern drucken lassen. Sie vermögen das sehr gut zu machen: Sie werden es sehr gut machen. Aber versprechen Sie sich nicht zu viel von der Wirkung. Sie kennen die Musiker und ihr Lesen; Sie wissen auch, wie bey weitem die Meisten im Publicum jetzt ansehen, was über Musik geschrieben wird. Selbst die wahren, ja enthusiastischen Freunde dieser Kunst wollen jetzt weit lieber über sie reden, als hören; weit lieber schreiben, als lesen. Und was die übergrosse Anzahl sogenannter Liebhaber betrifft, so will ich nur an das Allgemeinste erinnern; an das, was überall anzuwenden ist, zwiefach aber bey dieser Kunst, die über das Alltagsleben, wie die schön gefärbte Abendwolke über die Erde, hinschwebt vor Allen, aber, wie fern sie Kunst ist, wahrlich nicht für Alle. Was vom Blatte in den Geist, den innern Sinn, und vollends in den Willen eindringen, dort nachhaltig bleiben und wirken soll, das setzt im Geiste, Sinne und Willen schon Verwandtes voraus, woran es sich knüpfen kann; und wo dies noch fehlt und doch Etwas werden soll, da ist ein noch ganz unangebauter Boden besser, als ein von Lolch überwachsener und ausgesogener. Indessen: Sollten Sie es dennoch mit der Feder versuchen, so würde ich wenigstens rathen: Lassen Sie alles aus der höhern Kunstwissenschaft, ja vor der Hand alles blos Lehrende bey Seite. Bey weitem die Meisten ihrer Leute verständen das nicht; die Wenigen, die es verständen, meynten es längst und wohl besser zu wissen; und Beyden machte es jetzt, wo ganz andere Dinge das allgemeine Interesse an sich reissen und festhalten, nur Langweile oder erregte eine gewisse unmuthige Stimmung. So, dächte ich, liessen Sie auch bis auf Weiteres die eigentliche Kunst-Kritik abseits liegen. Wie gründlich, und auch wie behutsam Sie mit ihr hervorträten: es lieset (wie es dort heisst) ein Jeder nur sich selbst heraus*. Sprechen Sie deutlich aus, und begründen Sie, was bisher dunkel in der Empfindung des Lesers gelegen, so sagt er – wie nun die jetzige Weise ist: Das versteht sich von selbst! das hab’ ich lange gewusst! und kömmt der da her, kocht einen gelehrten Brey daraus, und denkt Wunder, was er gethan hat! Widerspricht seiner dunklen Ahnung, was Sie behaupten, so ruft er: Schulfüchserey und kein Ende! doctrinaires Zeuch! wer fühlt und wer will das nicht ganz anders? Und liefe Ihr Widersprechendes gar gegen seine oder seiner Brüder und Gevattern persönliches Interesse: so hätten Sie ihn und diese, mit Allem, was sie vermögen, auf dem Halse. – Sonach bliebe Ihnen kaum Etwas, ausser Historisches. Nun ja: dies, hübsch erzählt, lässt man sich gefallen, und es bringt wohl auch wirklich den Einen und den Andern dahin, dass er auf einen Meister oder ein Werk, von denen er nichts gewusst, aufmerksamer und so dem Vorgetragenen der Eingang erleichtert wird, was allerdings schon Etwas sagen will.
Für ein sichreres, tiefer ein- und viel weiter ausgreifendes Hülfsmittel zu jenem Zweck halte ich aber ein anderes Unternehmen, dessen Sie nicht gedacht haben; ein Unternehmen, wo Sie alles Gute und Schöne, das Sie wollen, freyer, nach eigener Einsicht, Ueberzeugung und Neigung herstellen, zunächst es geltend machen, ohne Anstoss Achtung und Liebe dafür erwecken, leichter auch die Wirkungen beobachten und daraus für sich und Ihre treuen Bemühungen nützliche Maximen ziehen können: nämlich die Stiftung eines feststehenden, im Winterhalbjahr, wenn irgend möglich, jede Woche an ein- für allemal bestimmtem Tage zu haltenden öffentlichen Concerts für höhere Gesangs- und Instrumentalmusik*; für Beyde ohngefähr zu gleichen Theilen, aber für das Höhere in Beydem ausschliesslich. Ein solches Institut, wie es, unter rechter Anordnung und Verwaltung, überall die zweckmässigste und erfolgreichste Hochschule für die Musiker, für die wahren Mitfreunde, und nach und nach, in gewissem Grade, selbst für das gemischte Publicum ist, wird sich wahrlich bey Ihnen nicht anders bewähren; wobey ich noch nicht einmal geltend zu machen brauche, dass Sie damit Ihrem jetzigen Publicum, und Ihren Musikern ebenfalls, etwas Neues darbrächten, indem man in Dresden seit langen Jahren, kaum mit einzelnen Ausnahmen, nur Virtuosenconcerte zu hören bekommen hat. Hier können und hier werden Sie Musik zu Gehör bringen aus allen Gattungen und Arten, Nationen und Zeitaltern, am meisten aus und von denen, die man jetzt noch wenig oder gar nicht kennt, ausser allenfalls vom Hörensagen: nur immerdar, wie gesagt, das Beste, und auf’s Beste! Immerhin möge die Menge diesen Versammlungen Anfangs fast blos aus Neugierde, mancher alte, steife Stock-Musicus und mancher junge, flache Raisonneur auch wohl aus üblerer Ursache zulaufen: solche armselige Einzelne thun einer wahrhaft achtbaren Gesammtheit keinen Schaden. Neugierde erregt, macht aufmerksam. Dann frage ich Sie: Können Sie sich denken, dass die Blüthe des Geistes und Gefühls der grössten Tonkünstler dreyer Jahrhunderte, in angemessenem Lichte Erregten und Aufmerksamen vorgehalten, ohne Wirkung bleibe? oder dass die Wirkung eine andere sey, als eine (wenn auch Anfangs nur sinnliche) angenehme? oder dass, die solch eine angenehme Wirkung empfunden, sie sich nicht würden öfter verschaffen wollen und darum wiederkämen? und dass, wenn sie wiederkämen, ihnen nicht nach und nach für das Vernommene auch das Herz aufginge? den Fähigern aber, den an ein Leben mit Bewusstseyn und Besonnenheit Gewöhntern, allmählig auch der Verstand und die Vernunft? Können Sie sich das denken? Ich kann’s nicht. Dergleichen Institute sollte es für die Tonkunst in allen Residenzen gerade so und in derselben Absicht geben, wie es öffentlich zugängliche Galerieen für die Malerey und Bibliotheken für die Wissenschaft giebt. Ehemals war es auch so, und was ist damals hierdurch gewirkt worden! Dass es jetzt, und eben jetzt bey so grosser, durch alle Stände verbreiteter Liebe zu jener Kunst, dergleichen Institute nicht mehr giebt, ist eine der Hauptursachen, warum die niedern blos für den augenblicklichen Sinnenreiz bestimmten Musikgattungen – die wir, wenn sie nicht geistlos sind, nicht verwerfen wollen – eine solche ungebührliche Uebermacht, man dürfte sagen: eine Allein-Herrschaft, erlangt haben. „Aber die Schwierigkeiten und Mühen, welche die Einrichtung und Führung solch eines Institus macht! die vielen und wahrhaft bedeutenden Schwierigkeiten und Mühen!“ Mein Freund: Sie wollen ja auch Vieles und wahrhaft Bedeutendes thun! Sie sind der Mann dazu; die Einsichtigen und Wohlwollenden Ihres Publicums erwarten, heischen es auch von Ihnen! – Kurz: Sie werden mich nicht los mit diesem meinem Vorschlage, bis Sie ihn ein Winterhalbjahr hindurch beharrlich durchgeführt haben. Haben Sie diess gethan und erweislich ohne Erfolg: dann habe ich verloren, nicht aber Sie; denn Sie haben zwar das Verhoffte und treulich Angestrebte nicht erreicht, aber an Hochachtung und würdigem Antheil überhaupt haben Sie gewonnen, überall, wo Männer von Ihrem Thun und Schicksal erfahren: Männer, deren Hochachtung und Antheil wahrhaft ehrt, stärkt, freut und lohnt.
[Original Footnotes]
- *) Der Einsender, – wie wir versichern können, einer der ausgezeichnetsten Schriftsteller über Musik, der aber, zu unserem grössten Bedauern, hier nicht genannt werden will, – glaubt dies Schreiben hier bekannt machen zu dürfen, da es manches enthält, was auch andern achtungswerthen Tonkünstlern in mehr oder weniger ähnlichen Fällen zur Beherzigung zu empfehlen seyn möchte. Anm. d. Redact.
Editorial
Summary
Gratulation zur Berufung Webers als Hofkapellmeister nach Dresden und Argumentation gegen mögliche Einwände seinerseits bezüglich der dort zu erwartenden Schwierigkeiten, besonders hinsichtlich der musikalischen Vorlieben des Hofes und des städtischen Publikums; eindringliches Plädoyer für die Einrichtung der in Dresden noch fehlenden, periodisch wiederkehrenden Abonnementskonzerte als Mittel der Geschmacksbildung
Incipit
“So ist es gelungen? und Ihr Hauptzweck bey der Uebernahme”
General Remark
Die Publikation in der von Gottfried Weber herausgegebenen Caecilia deutet zunächst auf eine gewisse Authentizität des Brieftextes hin, allerdings lassen die Umstände der Veröffentlichung (Verschweigen des Brief-Verfassers wie auch des Einsenders der Druckvorlage) Zweifel an der Echtheit des Dokuments in der vorliegenden Form aufkommen. Bei dem in der Originalanmerkung genannten Einsender, einem der “ausgezeichnetsten Schriftsteller über Musik”, handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um Friedrich Rochlitz, der aus inhaltlichen Gründen auch als Verfasser des Briefes infrage käme. So entspricht die musikhistorische Einteilung, nach welcher Haydn und Mozart die wichtigsten Repräsentanten der “fünften Hauptperiode der Tonkunst” wären, wie sie im zweiten Absatz des Briefes Verwendung findet, den Ausführungen von Rochlitz im Bd. 4 seiner Sammlung Für Freunde der Tonkunst (1832, darin S. 210ff.). Auch die genaue Kenntnis der Dresdner Verhältnisse wäre, nimmt man Rochlitz als Schreiber an, nicht verwunderlich, beobachtete dieser als langjähriger Redakteur der Leipziger AmZ das Musikleben in der sächsischen Haupt- und Residenzstadt doch über eine große Zeitspanne, kannte die dortigen musikalischen Vorlieben, wusste um die besondere Bedeutung der Hofkapelle und um das Fehlen von Abonnementskonzerten, wie sie sich in Leipzig längst etabliert hatten. Zudem entspricht die Beurteilung des Dresdner Publikums als ausgesprochen “residenzialisch gesinnt” der Leipziger Perspektive, denn die Konkurrenz zwischen der Bürgerstadt Leipzig und dem bezüglich des kulturellen Lebens weit stärker durch den Hof geprägten Dresden bestimmte über lange Zeit die Presseberichterstattung über die beiden sächsischen Metropolen.
Allerdings scheint die Dokumentation des Briefwechsels zwischen Weber und Rochlitz in Webers Tagebuchnotizen und Briefen gegen Rochlitz’ Autorschaft zu sprechen: Am 30. November 1816 erhielt Weber von Rochlitz “einen ausführlichen, lieben Brief”, über den er seiner Braut Caroline Brandt schrieb, Rochlitz habe ihm Dresden angepriesen, “und zwar mit recht klaren, ächten Gründen”, wie er sie sich “längst selbst vorgelegt habe”. Zu diesem Zeitpunkt stand Webers Berufung nach Dresden, zu der der Briefschreiber am Beginn seinen “Glückwunsch” ausspricht, allerdings noch keineswegs fest. Vielmehr hatte Weber dem befreundeten Rochlitz am 22. November mitgeteilt, dass ihm die diesbezüglichen Verhandlungen noch sehr “weitläufig” schienen. Erst der Brief an Rochlitz vom 28. Dezember 1816 enthielt die Mitteilung über die erfolgte Berufung. Den nächsten Brief von Rochlitz erhielt Weber erst am 6. Februar 1817, der dürfte aber nicht mit dem hier genannten identisch sein, denn er enthielt eine Einladung, in Leipzig zu konzertieren (vgl. die Hinweise in den Briefen an Caroline Brandt vom 5./7. Februar und an Rochlitz vom 15. Februar).
Freilich ist zum einen denkbar, dass Weber in den ersten, sicherlich äußerst turbulenten Tagen in Dresden vergaß, einen Brief von Rochlitz im Tagebuch festzuhalten, in dem dieser direkt auf die Erfolgsmeldung Webers vom 28. Dezember 1816 reagierte. Das Tagebuch ermöglicht auch sonst keine hundertprozentige Übersicht über Webers Korrespondenz; so sind mehrfach Briefe von oder an Weber überliefert, die im Tagebuch nicht erwähnt werden. Zum anderen ist auch vorstellbar, dass die erst über zehn Jahre nach Webers Tod erfolgte Publikation den Text nicht unverändert präsentierte, sondern dass Auszüge der Rochlitz-Briefe von Ende November 1816 und Anfang Februar 1817 hier miteinander verbunden und in Details verändert wurden. Solche Veränderungen (möglicherweise auch Ausschmückungen) sind insofern anzunehmen, als in Webers Briefen an Rochlitz jene “Bedenklichkeiten”, auf die hier so ausführlich eingegangen wird, bestenfalls angedeutet werden. Auch Webers Vorsatz, in Dresden (wie bereits zuvor in Prag) sein eigenes Wirken beim Aufbau der deutschen Oper mit entsprechenden Presseartikeln zu begleiten, die der Briefschreiber im letzten Drittel seines Schreibens anspricht, spielt in Webers Briefen an Rochlitz erstmals im Februar 1817 eine Rolle (vgl. den Brief vom 15. Februar), passt also nicht recht zur Datierung um den Jahreswechsel 1816/17. Für solche möglichen Verfälschungen des ursprünglichen Textes wäre sogar eine Begründung geliefert: In der Anmerkung der Redaktion ist davon die Rede, dass der Text Manches enthalte, “was auch andern achtungswerthen Tonkünstlern in mehr oder weniger ähnlichen Fällen zur Beherzigung zu empfehlen seyn möchte” — der Einsender wollte mit dem Abdruck des Textes also nicht nur ein historisches Zeugnis präsentieren, sondern verfolgte eine bestimmte Absicht; in diesem Fall speziell die Mahnung, dass die Einrichtung einer festen Konzertreihe in Dresden mehr als überfällig sei (sie gelang nach kurzlebigen Versuchen 1821/22 sowie 1848/49 erst im Jahr 1858).
Insofern bleiben nicht nur hinsichtlich der Zuordnung von Rochlitz als Briefschreiber, sondern ebenso bezüglich der Authentizität des Textes als Ganzes etliche offene Fragen.
Responsibilities
- Übertragung
- Joachim Veit; Frank Ziegler
Tradition
-
Text Source: Der neue Kapellmeister. Schreiben an Karl Maria von Weber, da er sein Amt als königlicher Kapellmeister in Dresden antrat, in: Caecilia, vol. 19 (1837), issue 73, pp. 1–13 ,
Thematic Commentaries
Text Constitution
-
“besoaders”sic!
Commentary
-
“… Jeder nur sich selbst heraus”In Goethes Epistel (in: Die Horen. Eine Monatsschrift, Bd. 1, 1795, 1. Stück) heißt das Zitat (S. 2f.): „es liest nur ein jeder | Aus dem Buch sich heraus“.