Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater und Linkesches Bad vom 2. bis 4. Juli 1819

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Am 2. Juli. Auf dem Linkeschen Bade. Der Verräther. Mad. Mayer gab Klärchen als Debüt-Rolle. Ein recht liebes Klärchen, das besonders den Parthieen innigern Gefühls und zärtlicher Verlegenheit ein gar liebliches Colorit zu geben wußte. Hierauf: die Entführung. Lustspiel in 3 Akten, von Jünger. In Wilhelmine von Sachau war Mad. Mayer lebendig und unbefangen, wie dieser kleine Wildfang es seyn soll, doch hätten wir hie und da noch etwas mehr feine Schalkheit gewünscht, die zur Individualisirung solcher Rollen vorzüglich wirkt.

Am 3. Juli. In der Stadt: Gianni di Parigi.

Sonntags, den 4. Juli. Auf dem Theater am Linkeschen Bade: Der Wasserträger, Oper in 3 Akten. Musik von Cherubini.

Ueber die Oper selbst, dieses Meisterwerk Cherubini’s, welches (kaum glaublich) auch ohne den poetisch-ästhetischen Schmuck der majestätischen türkischen und der schalkhaften Soldatentrommel im hohen Verein mit der, lieblich die Lüfte durchschneidenden Querpfeife Herz und Geist eines Jeden, der noch Sinn für wahre Musik hat, erwärmt und belebt, brauche ich nichts mehr zu sagen, da der Werth derselben bereits seit Jahren entschieden und begründet ist; das wahrhaft Schöne steht fest im Wandel der Zeiten und Moden. – Wenn die heutige Darstellung auch wohl vielleicht hier und da noch einiges zu wünschen übrig ließ, so kann und wird dennoch gewiß Jeder, nicht von einseitigem Vorurtheil Befangne, das Gute und zum Theil Treffliche, was in dieser Darstellung im Verein, wie im Einzelnen, geleistet wurde, mit Lob und Dank anerkennen und achten. – Hr. Hellwig bewährte als Micheli seinen längst anerkannten hohen Künstlerwerth vollkommen. Mit Gefühl, Geist und Einsicht hatte er den Charakter und das ganze Wesen des, durch innern Seelenfrieden stets heitern, umsichtigen und kräftigen Micheli, seine Ruhe und Geistesgegenwart in Gefahr, seinen edlen Eifer für die gute That und seine Kraft zum Vollbringen in seinem Innern aufgefaßt, und so brachte er dies schöne Bild aus dem Innern seines Gemüths mit Herzlichkeit, Wahrheit und Kraft zur äußern Anschauung; erfreulich für das Publikum, ehrenvoll für den Künstler. Gleich lobenswerth steht Mad. Sandrini als Constanze ihm zur Seite; besonders wenn man (wie man das billigerweise soll) die Schwierigkeiten berücksichtigt, welche Mad. Sand. sowohl in Hinsicht der Sprache (denn ein andres ist das Sprechen einer fremden Sprache im geselligen Leben, ein Anderes der Vortrag auf der Bühne), wie in Hinsicht der Tondichtungsart Cherubini’s, welche so sehr von der, ihr gewohnten, heimathlichen Gesangweise und Gesangmusik verschieden ist, zu überwinden hatte. Als Künstlerin von Geist, Einsicht und Erfahrung, und frei von dem elenden Dünkel zu Vieler: In Allem Alles leisten zu können, in Allem sich vollendet zu glauben, fühlte Mad. Sandrini wohl selbst die Schwierigkeit dieser Aufgabe, die sie jedoch in Spiel und Gesang sehr wacker gelös’t hat; und die Rücksicht hierauf und auf das Publikum (das zuweilen gar strenge Launen hat) erzeigte eine gewisse Schüchternheit und Befangenheit im Anfange ihrer Darstellung, die ihr aber als Erzeugniß eines bescheidenen Mißtrauens in sich selbst mehr zum Lobe als zum ¦ Tadel gereicht, und sich gewiß immer mehr verlieren wird, je öfterer sie in der deutschen Oper auftreten, und dadurch mit der deutschen Sprache und der deutschen Kunst immer vertrauter und heimischer darin werden wird. Einige Fehler des Dialekts (an den sich Jeder, der nur die Hauptsache vor Augen hat, leicht gewöhnt) oder hier und da eine Verwechselung, oder nicht ganz richtige Betonung einzelner Wörter oder Sylben mit wichtiger sprachgelehrter Miene rügen zu wollen, wo nur Geist und Gefühl walten soll, wäre lächerlich, abschreckend für die wackere Künstlerin, und würde mir mit Recht dieselbe Indignation und Mißbilligung zuziehen, womit gewiß jeder Rechtliche und Billigdenkende jene inhumane und uncivilisirte – nicht Kritik – sondern Schmähung eines Dresdner Correspondenten gegen unsern wackern Meyer über seine italiänische Darstellung des Herzogs in Camilla in der Leipziger Musik-Zeitung gelesen hat*. Den Fremdling, der sich vertrauenvoll in unsre Reihen mischt, sey er auch unsrer Sitten und Gebräuche noch nicht ganz kundig, soll man nicht zurückscheuchen, sondern freundlich ihm die Hand reichen, mit Nachsicht, daß er heimisch werde in unsrer Heimath. – Hr. Bergmann sang mit seiner wohllautenden Bruststimme als Graf Armand ebenfalls sehr brav, und zeichnete sich besonders in den Ensembles (die überhaupt im Ganzen gut in einandergriffen) durch Klarheit im Gesange und durch rhytmische Festigkeit und Sicherheit aus. Im Spiel, wie in der Haltung des Körpers, vermißte man zuweilen die höhere Würde, die den Grafen, selbst nach der Beschreibung des Hauptmanns, charakterisirt. Auch Herr Wilhelmi als Antonio, Mlle. E. Zucker als Marzelline, die Herren Toussaint und Burmeister als Daniel und Semos, so wie die beiden, in der Handlung bedeutenden Offiziere und die beiden Soldaten wirkten ebenfalls lobenswerth zum Gelingen des Ganzen mit. Nur war die sonst so schätzbare Lebendigkeit Hrn. Wilhelmi’s als Antonio zuweilen etwas zu stürmisch; so wie der etwas schärfere Ton, den Hr. Toussaint als Daniel in seiner Sprache angenommen hatte, einer Verwandtschaft mit dem Tone der Ironie wegen für den ehrwürdigen Greis nicht recht passend. Auch würde ihm weißes Haar ein freundlicheres, sanfteres Ansehn gegeben haben. – Eine Dlle. Müller aus dem Singechore führte die kleine Rolle der Rosette, als ersten Versuch mit ziemlicher Sicherheit und Unbefangenhenheit aus. War sie indeß (obgleich man, wie ich sehr wohl weiß, in Frankreich, wie in allen südlichen Ländern, früher heirathet als in Deutschland) doch wohl nicht an Figur und Stimme noch gar zu jung? – Die Chöre gingen im Ganzen gut. Nur war der erste Chor der Landleute im 3ten Akt etwas schwankend und (besonders von Seiten des weiblichen Personals) nicht durchaus rein. Daß unser ehrenwerthes Orchester den Meister und sein treffliches Werk durch eine eben so treffliche Ausführung voll Feuer, Präcision und Ausdruck würdig ehrte, wird wohl Jedermann, der unsre Kapelle und überdies die begeisternde Gewalt, die das wahre Schöne auf das Gemüth des gebildeten Künstlers hat kennt, von selbst überzeugt seyn. Hoffentlich haben wir recht bald eine zweite Darstellung zu erwarten, um so mehr, da das Publikum die erste Vorstellung mit lautem und gerechten Beifall zu würdigen wußte.

Fr. Uber.

Editorial

Summary

Chronik Dresden, Hoftheater und Linkesches Bad vom 2. bis 4. Juli 1819; dabei besonders über “Der Wasserträger” von Cherubini

Creation

Responsibilities

Übertragung
Fukerider, Andreas

Tradition

  • Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 165 (12. Juli 1819), f 2v

Text Constitution

  • “Unbefangenhenheit”sic!

Commentary

  • “… der Leipziger Musik-Zeitung gelesen hat”Vgl. AmZ, Jg. 21, Nr. 21 (26. März 1819), Sp. 370.

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