Carl Maria von Weber an Friedrich Rochlitz in Leipzig
Dresden, Sonntag, 29. Mai 1825
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Wenn ich gleich bei einem so treuliebenden alten Freunde, wie ich Sie mir freudig nennen darf — auf Vorliebe bei Beurtheilung meiner Leistungen rechnen kann, so ist doch auf der andern Seite mein Glaube an Ihre viel erprobte Erfahrung, Geist und Ruhe volle Um- und Ansicht, und Ihr tiefes Eingehen, viel zu fest begründet, als daß ich nicht die Ueberzeugung haben sollte, Ihre Liebe zu mir, ließe sich — gerade um Meinetwillen — durch nichts bestechen, und Ihr Urtheil über mich sey eben so rein um der Kunst willen da, als Ihr ganzes Wirken überhaupt von jeher gewesen ist. Ich rechne daher Ihr wahrhaft großes Lob, mit eben so vollem Herzen an als es gegeben worden, und drükke Sie in Gedanken innigst an meine Brust. War mir Ihr Urtheil von jeher wichtig und theuer, so ist es in dieser meiner jetzigen Stimmung gewiß doppelt entscheidend eingreiffend und einwirkend auf dieselbe. die Leipziger Aufführung*, von der ich alles fürchtete, und nichts hoffte, hat also die wichtigsten Resultate für mich hervorgebracht. Jede meiner größeren Arbeiten bezeichnet unläugbar eine eigne Lebensperiode für mich. Ich werde so ganz eins und daßelbe Wesen mit meiner Arbeit, ich nehme sie eben so vollkommen in mich auf, als ich mich wieder in ihr verliehre, daß, je contrastirender also die einander folgenden Erzeugungen sind, je schärfere einschneidendere Abschnitte müßen sie auch meinem Gemüthe oder Leben, — was ja wohl Einlerley bedeutet, — geben. Mit je mehr Liebe ich mich von dem phantastischen, bunten Freyschützen, zu der einfachen Größe der LeidenschaftsWelt in Euryanthe wandte, je schmerzlicher mußte ich auch jedes Verkennen, jedes MißVerstehen empfinden. Ich wußte das wohl voraus, aber ist damit auch alles Fühlen beschwichtigt?
Sie haben in Ihrem herrlichen Briefe das alles so wahr gezeichnet, daß ich nur wiederholen müßte, wollte ich weiter von der Sache sprechen. doch, sprechen möchte ich gerne, gar zu gerne, mit Ihnen darüber; und vielleicht komme ich im July auf ein paar Tage nach Leipzig, ohne alle äußere Veranlaßung blos um meinen Freunden zu leben. War es nicht beßer so?, daß Euryanthe ohne mich gegeben wurde?* Auch der Welt gegenüber thut es Noth, dem Neide die Gründe des Beifalls in äußerlichen Zufälligkeiten finden zu wollen, die Mittel abzuschneiden
Und somit nochmals Dank, innig, wahr gefühlten Dank, Sie theurer lieber Freund deßen Urtheil mein Stolz ist. |
Auch dem was Sie über geistig und körperliches Leiden sagen, muß ich beypflichten, und verstehe es vollkommen, bis auf die Grundwurzel meines Uebels, wo ich nicht ganz Ihrer Meynung bin, oder Sie doch nicht ganz verstehe. Mein körperliches Leiden geht nehmlich wahrlich nicht von meinen geistigen Arbeiten aus, sondern ist ein reines Resultat der Dienst Qualen durch das ganze Jahr wo ich allein stand. Hier war diese Aufreizung, und zwar wiederwärtige, in der Abspannung, die darnieder wirft. Jene Anstrengung, Dinge die einem ihrer Natur nach zuwieder sind, mit Ernst, ja mit Eifer um des Beispiels willen treiben zu müßen, — das laute Sprechen, mitunter wohl Schreyen, und dabey sich erhitzen, in der kalten Kirche oder Theater Luft die man dabei ein athmet, das trostlose Resultat aller dieser Mühen für die Kunst, der unvermeidliche peinigende Gedanken der unwiederbringlich verlohrnen Zeit — um Nichts! — dieß ist aufreibend, ja, tödtlich.
Auch dieß alles weiß ich anzusehen wie ich soll. Kann aber der Verstand allein alle GemüthsErregung verbieten? Züglen wohl, aber ihr Auftauchen kann er nicht hindern. Nun, — wie Gott will! Von ihm, zu ihm, immer das Beste.
Frau und Kinder sind wohl, und grüßen herzlichst. wir freuen uns sehr Ihre verehrte Gattin zu sehen; aber kann selbst der Koselsche Garten nicht eben bischen mit an Ihnen ziehen helfen? das Grüne winkt so freundlich, und treue Freundesherzen thun daßelbe. — wie ists?
Gott stärke und erfreue Sie, wie Sie mir gethan.
Immer und immer ganz
Ihr
Weber.
Dresden d: 29t May 1825.
Editorial
Summary
über die in Leipzig aufgeführte Euryanthe und die Probleme, die er bei der Komposition derselben erkennen musste; über die Beeinträchtigung durch sein körperliches Leiden bzw. die Dienstlasten
Incipit
“Wenn ich gleich bei einem so treuliebenden”
Responsibilities
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Tradition
-
Text Source: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
Shelf mark: 55 Ep 1924Physical Description
- 1 DBl. (2 b. S.) u. Umschlag m. e. Adr.
- am rechten oberen Rand des Umschlags Vermerk von fremder Hand (Tinte): “96.”
- PSt: DRESDEN | 29 Mai 25
Provenance
- Schenkung Ledderose (2019)
- Stargardt Kat. 605 (1975), Nr. 937
Commentary
-
“… Euryanthe ohne mich gegeben wurde?”K. T. von Küstner hatte Weber ursprünglich nach Leipzig eingeladen, die Premiere zu leiten, Weber sagte allerdings ab; vgl. Webers Briefe an Hinrich Lichtenstein vom 2. Mai und an Küstner vom 6. Mai 1825.