Bewertung der Sängerin Catalani

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Madame Catalani.

Es ist erlaubt, einen Künstler in dreifacher Beziehung zu betrachten und seine Leistungen nach jedem Maßstabe zu beurtheilen: unbekümmert, ob das sich ergebende Resultat mit dem Ausspruche der Menge – die in der Regel bei ihren Entscheidungen selten von Principien auszugehen pflegt – übereinstimme, oder nicht.

Jene drei Gesichtspunkte sind folgende:

1) Was und wie viel hat die Natur für den Künstler gethan?

2) Was that Er, um die erhaltne Gabe kunstgemäß auszubilden? und diejenige Fertigkeit zu erlangen, ohne die keine practische Virtuosität möglich ist?

3) Wie verbindet er Gabe und Studium, um seine Leistungen zum Kunstwerk, und sonach sich selbst vom bloßen Virtuosen zum wahren Künstler zu erheben?

In Hinsicht des ersten Punktes wird es wenig Individuen geben, welche von der Natur so augen¦scheinlich zur großen Sängerin bestimmt wurden, als Madame Catalani. Schon den Anatomen ist der Bau ihres Halses, Kehlkopfes und der fast zirkelrunden Rippen merkwürdig, die eine ganz ungewöhnliche Ausdehnungfähigkeit der Lungen und eine außerordentliche Kraft und Deutlichkeit der Aussprache ankündigen. Eins.[ender] ward von einem der berühmtesten hiesigen Aerzte darauf aufmerksam gemacht, und fand als Musiker jene Voraussetzung vollkommen bestätiget. Madame Catalanis Organ ist daher keine silberne, schmelzende Stimme, wie z. B. Madame Grünbaum, Madame Milder-Hauptmann, und – früher in Dresden – die treffliche Capelletti* sie uns kennen lehrten, sondern eine Castraten-ähnliche Stimme, voller Kraft und Gewalt, oft mehr dröhnend als tönend, dem herrlichen Sänger Sassaroli vergleichbar, ja vielleicht noch stärker, obschon bei weitem nicht so lieblich. Ihr Umfang gegen die Damen: Mara, Allegranti, Häser und mehrere berühmte Sängerinnen gerechnet, ist unbedeutend, denn sie singt nur von Notenbeispiel bis Notenbeispiel Die Töne b, h und c, über diesem a, sind offenbar im Mißverhältniß gegen die übrigen. Sie hat dies allerdings mit mancher großen Sängerin gemein; auch werde es nicht erwähnt, um ihr Ab|bruch zu thun, sondern nur um das Urtheil unkundiger Panegyristen zu berichtigen, die – wie Eins.[ender] selbst hörte – sie auch an Extension für die erste aller Sängerinnen erklärten. Jene vorhergenannten Damen sangen aber bei vollkommenem Wohlseyn von Notenbeispiel bis Notenbeispiel durchaus hell und rein. -

In Hinsicht des zweiten Punktes, die Ausbildung der erhaltenen Gabe betreffend, ist durchaus nicht zu läugnen, daß Madame Catalani eine schöne, sogenannte große Manier, eine zum Bewundern sichre Intonation im Treffen entlegner Intervallen, und eine staunenerregende Beweglichkeit und Biegsamkeit in Passagen und Coloraturen, sowohl hinauf als herunter besitze. Die höchst wichtigen Erfordernisse der ältern Schule, das Hervorbringen, Halten und Beendigen des Tones (formare, fermare, e finire) hat sie vollkommen in der Gewalt. Ihr Triller im Register der Kopfstimme ist rund und angenehm. Der in den Brusttönen dagegen mehr ein rauhes Vibriren desselben Tones (Bockstriller), als ein regelmäßiges Abwechseln des Tones mit seiner Obersecunde. Unter diese regelwidrige Vibration gehört auch die, der Violin angemessene, der Singstimme ganz widersprechende Passage: Notenbeispiel die nichts anders ist, als Notenbeispiel und die kein des wahren Gesanges kundiger Tonsetzer je schreiben wird. – Es verdient noch sehr be¦merkt zu werden, daß, trotz einem beinahe überfüllten Saale und einer fast unerträglichen Hitze, Madame Catalani vom Anfang bis zu Ende vollkommen rein intonirte. Fassen wir die eben aufgestellten zwei Postulate zusammen, so ergiebt sich, daß Madame C. eine von der Natur herrlich organisirte und gründlich gebildete Stimme besitze, mithin den Namen einer großen Sängerin vollkommen verdiene. -

Es bleibt nun noch der dritte Punkt zu erörtern, nämlich: Was leistet die Sängerin als Künstlerin? Oder mit andern Worten: Was hat sie als geistig und künstlerisch gebildetes Wesen vor einer Maschine – z. B. den herrlichen englischen Flötenuhren – die es ihr an Ton und Geschwindigkeit gleich thun kann, voraus? Wodurch erhebt sie Gabe und Geschicklichkeit zur Seelensprache der Kunst? Nach unsrer Ueberzeugung fällt die Antwort auf diese Fragen verneinend aus, und wir glauben diesen Ausspruch gerechtfertgt, wenn man sich erinnert, daß der Vortrag jedes Virtuosen ein Kunstwerk, d. h. eine aus Idee und Form zusammengeschmolzene Leistung seyn soll. Madame C. ist es aber so wenig um Darlegung irgend einer Idee, um Schilderung irgend eines Affekts, so ganz ausschließend um Darlegung ihrer machanischen Fertigkeit – also blos allein der Form – zu thun, daß sie auf Wahl und tonkünstlerischen Werth der zu executirenden Stücke nicht die geringste Rücksicht nimmt. Daher kömmt es, daß sie vor einem Publiko, das eines Raumann’s und Schuster’s, Paer’s und v. Weber’s, theils liebliche, theils kräftige Compositionen zu genießen verstand, mit dem elendesten musikalischen Gemengsel auftrat, was die Geistlosigkeit der neuern Italiener, an deren Spitze Hr. Pucita steht, hervorbrachte – ohne im geringsten von der nichtssagenden musikalischen Phrasenkrämerei, und der oft ganz sinnwidrigen Declamation verletzt zu werden. Daher kömmt es, daß ihre Coloraturen meistens ganz veraltet sind, wie z. B.: Notenbeispiel und sie bisweilen harmonisch-unrichtige Cadenzen sich erlaubt. Daher endlich kömmt es, daß sie – Triumph des Ungeschmacks! – Violinvariationen singt. Abgesehen davon, daß es mit dieser Seiltänzerei nur halb Ernst ist, indem sie gerade die Variationen wegläßt, oder weglassen muß, in ¦ denen sich der Charakter der Violin am stärksten ausspricht, nämlich die Notenbeispiel und Notenbeispiel | so wird doch wohl kein wahrer Musikliebhaber, der jene Variationen nur einmal von Rode spielen hörte, einen Augenblick in Zweifel seyn, welche Production er vorzuziehen habe? Wozu denn aber nun diese Variationen singen, wenn sie weder für die Singstimme geschrieben sind, noch von ihr herausgebracht werden können? „Wäre es nicht Narrheit“ – sagt der geistvolle Jakobi im Woldemar – (Th. I. S. 60)* „von einer Sopranstimme, sich mit einer Trompete in einen Wettstreit einzulassen? Beide würden sich verderben, und mit ihrer Kunst zu Schanden werden!“ Man setze anstatt Trompete, Violin, und man hat das unpartheiischste vor 20 Jahren gefällte Urtheil über dieses Kunststück.

Einsender weiß zum Schluß seine Ansicht über Madame C. Leistung nicht besser zu concentriren, als indem er eine bekannte und verbürgte Anekdote aus Tartini’s – dieses größesten aller Violinspieler – Leben anführt. Täglich fast kamen reisende Künstler zu dem berühmten Manne, um sich vor ihm hören zu lassen, und ermangelten nicht, mit Bogen und Fingern die halsbrechendsten Kunststückchen zu produciren. Tartini ließ sie endigen, ohne sie auch nur mit einem Laut zu unterbrechen; dann sagte er ruhig: „Das ist schwer, das ist sehr schwer, aber,“ – indem er auf das Herz deutete – „dies hier hat nichts dazu gesagt!“ -

– 3. –

[Original Footnotes]

  • Die Redaktion hält es für ihre Pflicht, diese ihr zugesendete Beurtheilung eines der gründlichsten Musikkenner den Lesern der Abendzeitung mitzutheilen, ohne deshalb irgend einer andern Ansicht in den Weg treten zu wollen.

Editorial

Summary

Rezensent bescheinigt der Sängerin Catalani zwar eine sehr gute natürliche Stimmanlage und ihre gute Ausbildung sowie hohe Virtuosität, beklagt jedoch die mangelnde Emotionalität der Künstlerin in ihren Darbietungen

General Remark

Am 18. und 21. September 1818 fanden zwei Konzerte mit der Catalani statt; das erste bei Hofe in Pillnitz und das zweite, das Weber dirigierte, im Hôtel de Pologne in Dresden, vgl. TB und ThemenkommentarT

Creation

21. September 1818

Responsibilities

Übertragung
Albrecht, Christoph; Fukerider, Andreas

Tradition

  • Text Source: Madame Catalani, in: Abend-Zeitung, Jg. 2, Nr. 234 (1. Oktober 1818), f 1r

    Commentary

    • “… Dresden – die treffliche Capelletti”Teresa Poggi-Cappelletti (geb. 1764 in Mailand), Ehefrau von Petronio Cappelletti, war von 1794 bis 1802 in Dresden engagiert und lebte nach ihrem Abgang von der Bühne ab 1806 wieder in Mailand.
    • “… – (Th. I. S. 60)”1779 veröffentlicht (Kortensche Buchhandlung, Flensburg und Leipzig), ein Teil des Romans bereits 1777 unter dem Titel „Liebe und Freundschaft“ im Teutschen Merkur publiziert, mehrfach umgearbeitet und erweitert, endgültige Fassung 1794; Zitat wurde leicht abgewandelt und gekürzt, in der Ausgabe Königsberg 1794, S. 61!

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