Autobiographische Skizze
Ich bin den 18. Decbr.T 1786 zu Eutin im Holsteinschen geboren. Ich genoß der sorgfältigsten Erziehung mit besonderer Vorliebe für die schönen Künste, da mein Vater selbst ausgezeichnet Violine spielte. Die eingezogene Weise, in der meine Familie lebte, der stete Umgang mit erwachsenen | gebildeten Menschen, die ängstliche Vorsicht, mir keine andere verwildernde Jugendgesellschaft zuzulassen, lehrten mich früh, mehr in mir selbst und der Phantasieenwelt zu leben, und in ihr meine Beschäftigung und mein Glück zu suchen. Malerei und Musik theilten sich hauptsächlich in meine Zeit. Von ersterer versuchte ich mit Glück mehrere Zweige zu pflegen, ich malte in Oel, Miniatur, Pastell, und wußte auch die Radirnadel zu führen. Doch unwillkürlich entschlummerte diese Beschäftigung, und die Musik verdrängte, meiner selbst unbewußt, die Schwester endlich gänzlich. Eigenthümliche Neigung bestimmte meinen Vater zuweilen, seinen Aufenthaltsort zu wechseln. Der Nachtheil, den das Wechseln der Lehrer hervorbrachte, ersetzte sich später desto wirksamer durch das Erwecken der eigenen Kraft, und der Nothwendigkeit, aus eigenem Nachdenken und Fleiße zu schöpfen. Den wahren, besten Grund zur kräftigen, deutlichen und charaktervollen Spielart auf dem Clavier, und gleicher Ausbildung beider Hände habe ich dem braven, strengen und eifrigen Hauschkel‡ in Hildburghausen (1796–97) zu verdanken. So wie mein Vater die allmälige Entwickelung meines Talentes sah, sorgte er mit der liebevollsten Aufopferung für dessen Ausbildung. Er brachte mich nach | Salzburg zu Michael Haydn. Der ernste Mann stand dem Kinde noch zu fern, ich lernte wenig bei ihm und mit großer Anstrengung. Hier ließ mein Vater zu meiner Aufmunterung 1798 mein erstes Werk, 6 Fughetten, drucken, die freundlich in der musikalischen Zeitung angezeigt wurden. Ende 1798 kam ich nach München, erhielt Sing-Unterricht bei Vallesi, und in der Komposition bei dem jetzigen Hof-Organisten Kalcher. Dem klaren, stufenweise fortschreitenden, sorgfältigen Unterrichte des Letztern danke ich größtentheils die Herrschaft und Gewandheit im Gebrauch der Kunstmittel, vorzüglich in Bezug auf den reinen vierstimmigen Satz, die dem Tondichter so natürlich werden müssen, soll er rein sich und seine Ideen auch dem Hörer wiedergeben können, wie dem Dichter Rechtschreibekunst und Sylbenmaaß. Mit unermüdetem Fleiße arbeitete ich mein Studium aus. Die Vorliebe zum Dramatischen fing an, sich bestimmt auszusprechen. Ich schrieb unter den Augen des Lehrers eine Oper: Die Macht der Liebe und des Weins, eine große Messe, mehrere Klaviersonaten, Variationen, Violin-Trio’s, Lieder, u.s.w., die später alle ein Raub der Flammen wurden. Der rege jugendliche Geist, der alles Neue und Aufsehen Erregende mit | Hast sich anzueignen suchte, erregte auch in mir die Idee, dem damals von von Sonnenfels‡ neu erfundenen Steindrucke den Rang abzulaufen. Ich glaubte endlich die Erfindung auch gemacht zu haben, und zwar mit einer zweckmäßigern Maschine versehen. Der Wille diese Sache in’s Große zu treiben, bewog uns, nach Freyberg zu ziehen, wo alles Material am bequemsten zur Hand schien. Die Weitläufigkeit und das Mechanische, Geisttödtende des Geschäftes ließen mich aber bald die Sache aufgeben, und mit verdoppelter Lust die Komposition fortsetzen. Ich schrieb die vom Ritter von Steinsberg gedichtete Oper: das Waldmädchen, welche im Novbr. 1800 auch da gegeben wurde, und sich dann später weiter verbreitete, als mir lieb seyn konnte (in Wien 14mal gegeben, in Prag in’s Böhmische übersetzt, und in Petersburg mit Beifall gesehen), da es ein höchst unreifes, nur vielleicht hin und wieder nicht ganz von Erfindung leeres Produkt war, von dem ich namentlich den zweiten Akt in 10 Tagen geschrieben hatte. Eine der vielen unseligen Folgen der auf ein junges Gemüth so lebhaft einwirkenden Wunder-Anekdoten von hochverehrten Meistern, denen man nachstrebt. Auf eben diese Art weckte ein Artikel der Musik.Zeitung die Idee in mir, auf ganz andere Weise | zu schreiben, ältere, vergessene Instrumente wieder in Gebrauch zu bringen u.s.w. – In Familien-Geschäften nach Salzburg gereist, schrieb ich da, meinen neuen Planen‡ gemäß, die Oper: Peter Schmoll und seine Nachbarn (1801), die meinen alten, durch manches Neue darin höchlich erfreuten, Lehrer, Michael Haydn, bewog, mir ein ungemein gütiges Zeugniß darüber zu ertheilen (abgedruckt in Gerbers Tonk. Lerikon‡). Sie wurde in Augsburg aufgeführt ohne sonderlichen Erfolg, wie natürlich*. Die Ouvertüre habe ich später umgearbeitet und stechen lassen bei Gambart‡. 1802 machte mein Vater eine musikalische Reise mit mir nach Leipzig, Hamburg, Holstein, wo ich mit dem größten Eifer theoretische Werke sammelte und studirte. Unglücklicherweise stieß ein Doctor Medicinae alle meine schönen Lehrgebäude mit den oft wiederkehrenden Fragen: warum u.s.w. über den Haufen, und stürzte mich in ein Meer von Zweifeln, aus dem mich nur nach und nach das Schaffen eines eigenen, auf natürliche und philosophische Gründe gestützten, Systems rettete, so daß ich das viele Herrliche, das die alten Meister befohlen und festgestellt hatten, nun auch in seinen Grundursachen zu erforschen und in mir zu einem abgeschlossenen Ganzen zu formen suchte. Es drängte mich | nach der Tonwelt Wiens, und zum ersten Male trat ich hinaus in diese Welt. Hier lernte ich nebst dem Umgange der bedeutendsten Künstler, des unvergeßlichen Vaters Haydn etc., den Abt Vogler kennen, der mit der Liebe, die jedem wirklich großen Geiste eigen ist, dem wahrhaft ernstgemeinten Streben freudig zu helfen, und mit der reinsten Hingebung den Schatz seines Wissens vor mir aufschloß.
Wahrlich, nur wer so wie ich, und einige Wenige noch, Gelegenheit hatte, diesen tieffühlenden starken Geist, diesen unerschöpflichen Reichthum an Kenntnissen, und die feurige Anerkennung alles Guten, aber – auch die strenge Wägung desselben – zu beobachten, dem mußte er ehrwürdig und unvergeßlich seyn, und er mußte die durch Erziehung, Stand, Anfeindungen aller Art und Mißverstehen, dem großen Ganzen eingeschobenen, es umgebenden und scheinbar verwirrenden Schlacken und seltsamen Eigenheiten, als an sich minder merkwürdige Erscheinungen hinnehmen, übersehen, und natürlich finden.
Möge es mir einst gelingen, diese seltene psychologische Kunst-Erscheinung der Welt klar vor die Augen zu stellen, seiner würdig und zur Belehrung der Kunstjünger.
Auf Voglers Rath gab ich, nicht ohne schwere Entsagung, das Ausarbeiten größerer Dinge auf, | und widmete beinahe zwei Jahre dem emsigsten Studium der verschiedenartigsten Werke großer Meister, deren Bau, Ideenführung und Mittelbenuzzung wir gemeinschaftlich zergliederte[n], und ich in einzelnen Studien zu erreichen und in mir klar zu machen suchte. Oeffentlich erschien in dieser Zeit nichts von mir, als ein paar Werkchen, Variationen, und der Klavier-Auszug der Voglerschen Oper Samori.
Ein Ruf zur Musikdirektorstelle nach Breslau eröffnete mir ein neues Feld zur Erweiterung der Effektkenntnisse. Ich schuf da ein neues Orchester und Chor, überarbeitete manche frühere Arbeiten, und komponirte die Oper Rübezahl, vom Prof. Rohde‡, größtentheils. Die vielen Dienstgeschäfte ließen mich nicht viel zu eigenen Arbeiten kommen, desto besser konnte ich aber die so vielfach gestalteten, und mit übergroßer Begierde in mich gesogenen verschiedenartigen Kunst-Principe abgähren, und nach und nach das Selbstständige, vom Schöpfer Verliehene, hervortreten lassen.
1806 zog mich der kunstliebende Prinz Eugen von Würtemberg an seinen Hof in Carlsruhe in Schlesien. Hier schrieb ich zwei Symphonieen, mehrere Concerte und Harmoniestücke. Der Krieg zerstörte das niedliche Theater und die brave Kapelle. Ich | trat eine Kunstreise an, von den ungünstigsten Verhältnissen der damaligen Zeit begleitet. Ich entsagte also eine Zeitlang der Kunst als ihr unmittelbarer Diener, und lebte im Hause des Herzogs Louis von Würtemberg in Stuttgart. Hier, von der freundlichen Theilnahme des trefflichen Danzi ermuntert und angeregt, schrieb ich eine Oper: Silvana, nach dem Süjet des frühern Waldmädchens von Hiemer neu bearbeitet, den ersten Ton, Ouvertüre, umgearbeitete Singchöre, wieder Klaviersachen u.s.w., bis ich 1810 mich wieder ganz der Kunst weihte, und abermals eine Kunstreise antrat. Von dieser Zeit an kann ich ziemlich rechnen mit mir abgeschlossen gewesen zu seyn, und Alles, was die Folgezeit gethan hat und thun wird, kann nur Abschleifen der scharfen Ecken, und das dem feststehenden Grunde nothwendige Verleihen von Klarheit und Faßlichkeit seyn.
Ich durchzog Deutschland nach verschiedenen Richtungen, und die Liebe, mit der ich im Ganzen meine Leistungen als ausübender und dichtender Künstler aufgenommen sah, der Ernst, der ihnen bei oft heftigem Widerspruche und Anfällen doch stets geweiht wurde, ließ auch mich alle die Kraft, und alle die Reinheit des festen Willens aufbieten, die allein den Menschen zum wahren Priester seiner | Kunst heiligt. In Frankfurt, München, Berlin, Wien u.s.w. wurden meine Opern gegeben, meine Concerte besucht. Noch einmal sah ich den trefflichen Abt Vogler, wenige Zeitspannen vor seinem Hingehen, wie er sich hingab, zweien mit herrlichen Gottesgaben beschenkten Kunstjüngern, Meyerbeer und Gensbacher. Im Vereine mit diesen genoß ich, gereifter und selbst zum Sichten fähiger, noch seine tiefen Erfahrungen, und schrieb eine Oper: Abu-Hassan (Darmstadt 1810). Nur später noch einmal in Wien sahe ich ihn, im freudigsten Antheile an meinem Streben. Friede seiner Asche!
Von 1813–1816 leitete ich die Oper in Prag, nachdem ich sie ganz neu organisirt hatte. Ganz nur meiner Kunst lebend, in der Ueberzeugung, nur zu ihrer Beförderung und Pflege geschaffen zu seyn, legte ich die Direktion in Prag nieder, da mein Zweck erreicht, und das, was bei dem beschränkenden Verhältnisse einer Privat-Direktion geschehen konnte, aufgebaut war, und nur eines rechtlichen Wärters zum Weiterbestehen bedurfte.
Frei zog ich abermals in die Welt, ruhig den Wirkungskreis erwartend, den mir das Schicksal zuführen würde. Viele und schöne Erbietungen kamen mir von allen Seiten entgegen; der Ruf | zur Gründung einer deutschen Oper in Dresden konnte allein mich auf’s Neue festhalten. Und so bin ich denn mit Fleiß und Sorgsamkeit an dem mir übertragenen Werke – und wenn sie einmal einen Stein über meine Hülle legen, so werden sie mit Wahrheit darauf schreiben können: „Hier liegt einer, der es wahrhaft redlich und rein mit Menschen und Kunst meinte.“
Editorial
Summary
kurzer Abriss der Jugendzeit Webers, geht kurz auf den Unterricht bei seinem Vater, Michael Haydn, Heuschkel, Valesi und Kalcher ein; nennt erste komponierte Werke, u.a. Waldmädchen und Schmoll, Unterrichtsjahre bei Vogler; die Breslauer und Prager Zeit wird nur kurz angedeutet; Entstehung der Skizze ein Jahr nach Antritt seiner Stelle in Dresden
General Remark
Hell schreibt dazu S. V, es habe sich in Webers Nachlass “ein Aufsatz vorgefunden, der schon dadurch, daß er von seiner eigenen Hand sich herschreibt, wohl der schätzbarste für einen künftigen Biographen […] seyn dürfte.” Webers Aufsatz war Vorlage für den Artikel über Weber von Amadeus Wendt in “Zeitgenossen. Biographien und Charakteristiken”. 3. Bd., 3. Abt. (Heft XI), Leipzig (Brockhaus) 1818, S. 189–196; vgl. dazu Frank Ziegler, Nochmals zu Webers autobriographischer Skizze, in: Weberiana 23 (2013), S. 175f.; nochmals veröffentlicht im Conservations-Lexicon von Brockhaus, Bd. 10 der 2.(-4.) Auflage, Leipzig 1819, S. 495–499; vgl. dazu Frank Ziegler, Autobiographie und Künstlerleben. Neue Erkenntnisse zu Schriften Webers, in: Weberiana 18 (2008), S. 69–76.
Creation
14. März und 26. März 1818 (laut TB); 30. März 1818 (Versand lt. TB)
Responsibilities
- Übertragung
- Schreiter, Solveig
Tradition
Thematic Commentaries
Text Constitution
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“Planen”sic!
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“Rohde”sic!
Commentary
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“Hauschkel”recte “Heuschkel”.
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“von Sonnenfels”recte “Senefelder”.
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“Lerikon”recte “Lexikon”.
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“… ohne sonderlichen Erfolg, wie natürlich”Vgl. unter Rubrik „Aktuelles“ den Kommentar Rätsel um die Uraufführung des Peter Schmoll.
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“Gambart”recte “Gombart”.
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“… Dresden d. 26. März 1818”Vgl. auch TB unter 29. und 30. März 1818.