Tonkünstlers Leben. Fragment II (Entwurf)
Nachdem ich die Scala descendendo mit den Füßen abgesungen hatte, begegnete ich auf der Straße einem Haufen Chorschüler die eben sich anschikten einen‡ G‡ Lied abzusingen. ich stand still‡ = O du, Erstes! vom Schöpfer uns gegebenes verliehenes‡ Instrument, Göttliche Kehle, du nachdem sich alle andern bilden, du allein der größten und wahrsten Rührung fähig, wie ehrwürdig erscheinst du mir im Chorgesang, und selbst mittelmäßig benuzt, ergreifst und durchglühst du mich. ich gebot also meinen Füßen halt, und erwartete einen sich der Volksnatur so innig anschließenden, erhebenden Choral, aber verdammt heute gefoltert zu werden, stimmten die Herren zu meinem grösten Erstaunen eine der neusten vortrefflichen Opernarien aus der Fanchon an, die sie so falsch und undeutlich wie möglich hervorquiksten, daß ich mir gar kein Gewißen daraus machte einen mir zunächst stehenden Himmellangen Baßisten, der die vorkomenden Pausen vortrefflich durch ein Milchbrod zu benuzen wuste und mir daher am ersten störbar schien um die Wohnung des H: Stadtmusikus zu fragen. der H: Prinzipal wohnen dort rechts, Sie können nicht fehlen, hören gleich Musik, probirt eben die Rusische Hörner Musik, aber es ist jezt keine Condition offen, ich versicherte ihn daß ich selbst sehr wohl conditionirt seye, und steuerte auf das Haus los, welch ein höllischer Spektakel braußte mir schon an der Treppe entgegen, und wieviel mehr war ich für mein Trommelfell besorgt, als ich in‡ sein Zimmer tratt, in einem Kreiß von 8 – 10 Jungen die alle Horn bliesen, oder wenigstens sie so hielten als wollten sie blasen, stand der H: StadtMus. mit einem mächtigen Taktprügel bewaffnet, stampfte mit den Füßen‡ und schlug den Takt mit beyden Händen‡ auf einen vor ihm stehenden Flügel und auch wohl mit unter auf die Köpfe seiner Schüler, die durchaus eine von ihm comp: Overture auf die Art der Rußischen Horn Musik wo immer ein Horn einen Ton hat, exekutiren | sollten. links und rechts spielten andere Violine, Klarinett, Fagott pp alles untereinander, jeder sein Stükchen und Fortißimmo, welches alles mit einzelnen Exclamationen des Direktors vermischt war, als, Falsch! du Himmelhund! zu hoch!, zu tief, zu schnell, gieb acht pp:
Die Jungen die mich zuerst bemerkten ermangelten nicht mich mehr als ihre Noten anzusehen, und der Direktor der nicht meiner achtend in der Hize der Direktion um das Ganze ins Gleis zu bringen, auf einmal so stark er konnte, und welche Tasten er erwischte auf den Kielflügel schlug, daß die vor ihm liegende Partitur, die auf dem Brettchen über den Doken, lag, und welches durch die entsezliche Erschütterung loßgegangen war, herunter fiel, und alle Doken des Kielflügels wie Raketen in die Luft segelten, und ein so allgemeines Lachen unisono einfiel, daß an keine Musik mehr zu denken war und erst nach einiger Zeit ich meine werthe Person bemerkbar machen und des H: StadtM: habhaft werden konnte.
d: 25 Xbr.
1809.
Editorial
Summary
ironisch angelegter Reiseerfahrungsbericht eines jungen Künstlers (Musiker und Komponist) aus der Ich-Perspektive Teil 2: Begegnung des Protagonisten mit Chorschülern, Besuch beim Stadtmusikus, wo gerade eine Probe der Jugend-Blaskapelle stattfindet
Creation
25. Dezember 1809 (laut A)
Tradition
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Text Source: Draft: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
Shelf mark: Mus. ms. autogr. theor. C. M. v. Weber WFN 6 (I), Bl. 4r–4vPhysical Description
- 1 Bl. (2 b. S.)
- WZ: bekröntes, an beiden Seiten von Greifen gehaltenes Wappen; Gegenmarke: stilisiertes, herzförmiges Blatt
- durchgehende Niederschrift mit vereinzelten Korrekturen
- beide Seiten nachträglich mit Rötel durchkreuzt; auf 4r oben links mit Rötel von fremder Hand: “v 29. B. m. 31”.
Corresponding sources
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HellS I, S. 28–30 (Zweites Kapitel.)
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MMW III, S. 249f.
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Kaiser (Schriften), S. 453–455 (Nr. 160)
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Jaiser, S. 170