Der Schlammbeißer, eine Humoreske (postume redigierte Version)

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Der Schlammbeizger*.

Ach, es ward zu viel des Leidens über mein armes Haupt gebracht. Kein Wunder wäre es gewesen, ich hätte meines Namens Bedeutung in den Gliedern verspürt. Voll des schwärzesten Mißmuths verkroch ich mich in meine Stube, verhing die ohnedies nicht zu großen Fenster mit dem alten Flausrocke, und überließ meine Seele in dieser Dunk|kelheit dumpfem Brüten. Es war doch wahrlich ein zu schwarzer Kessel, in dem der mir von gewaltigen Mächten zugetheilte Schicksals-Brauer meine Lebens-Ingredienzen gebraut und darein mit fast absonderlicher Bosheit so viele tolle Liebeswurzel gemischt hatte, daß die heterogensten Liebeleien Gesetz und Richtschnur meines Lebens geworden zu seyn schienen. Wahrlich, der Kessel der Makbethschen Hexen war nicht schwärzer, als der meinige, und doch sprach es laut in mir im seltsamsten Widerspruche mit meinen Erfahrungen, daß nur holde, liebe, weibliche Wesen um ihn gestanden, und gleich den zwölf Himmelszeichen eine Haupt-Katastrophe bezeichnet hätten; wenn gleich nicht ganz ohne kleine Schadenfreude, manch Kurioses hervorsuchend und beimischend, um zu sehen, wie sich das Alles abgähren und entwickeln werde. Ja, ja, rief ich aus, jener Weber-Geselle hatte wirklich recht, der steif und fest behauptete: es seyen jedem Menschen eine gewisse Anzahl dummer Streiche zugetheilt, die er abarbeiten müsse, weshalb man sich auch immer gar sehr zu erfreuen habe, wenn einer vollbracht sey, als ein Schritt näher zum Ziele. Die Idee ergriff mich, ich sprang fröhlich auf und rief: Nun, Gott sey Dank, da kann mir’s nicht fehlen, denn tolle Streiche habe ich schon | genug gemacht, werde wohl bald wieder einen zu notiren haben, und der Himmel gebe nur, daß die Zahl auch sich mit der der Himmelszeichen glücklich schließe.

Mit der Zukunft war ich also im Voraus sehr zufrieden, mit der Gegenwart sah es aber desto schlechter aus. War das aber auch ein Wunder? welche unsichtbare Macht hielt mich denn in dem unglücksel’gen Göttingen so fest? Es fiel mir wirklich plötzlich stark auf, daß ich nach erhaltenem Repuls, ohne alle Beschäftigung und Aussicht, noch in dem vertrackten Neste sitzen blieb. Fort also, fort, das war gut gesagt. Aber, wohin, und womit, das war die Frage. Der auf Postillions und Gastwirthe einzig einwirkende nervus rerum gerendarum fehlte mir fast gänzlich, denn die Topfberichtigung und Levi Meyers Kleiderhülfe hatten den Kern der Perückenschachtel bis auf Weniges verzehrt. Zu den Fleischtöpfen des Apothekers in die Heimath zu wandern, litt mein Stolz nicht. Anna Mörner, der ich allenfalls die jungen Lappländer dressiren helfen konnte, war gar zu weit weg. Pistorius hatte längst die Universität verlassen, von meinen vorigen Gönnern war gewiß nichts mehr zu erlangen, es hatte ohnedies nur der achte und neunte mir etwas gegeben, und Einige früher | etwas versprochen; – kurz, es war traurig, indem sich an mir alle Symptome der moralischen Krankheit deutlich zeigten, die Deutschland mit so vielen Schauspielern versehen hat, nämlich, ich war zu allem ernst anhaltenden Studium verdorben, hatte nichts zu verlieren, und in meinem Kopfe eine umgestürzte Bibliothek von tausenderlei unausgekochten Dingen, die nur in einer Art von unbegreiflicher Geistes-Erhitzung, wo ein fremdes höheres Prinzip aus uns zu sprechen scheint, mich zu Gedichten wie die Sinnpflanze u.s.w. erheben konnte.

Gedankenlos las ich die Seitenwände der letzten Tabaksdüte, die ich mein genannt hatte. Es war ein Stück des hamburger unparteiischen Korrespondenten, der einen Artikel aus London enthielt, welcher also lautete: "Die Kunst ist es allein, die, nächst dem Kriegsgotte, noch in unserer Zeit als Leiter zum Glücke dient, und besonders der hochsinnige Britte schätzt und belohnt sie vor allen andern Nationen. Clementi ist steinreich bei uns geworden, und erst jetzt hat wieder die entzückende Catalani in einem Concerte 2000 Pfund eingenommen. Es ist freilich unläugbar, daß die königlich gebietende Stimme, verbunden mit dem hohen Liebreize und Anstande einer so herrlichen Gestalt" – Von hier an verschlang der verklebende Leim des | Krämerkleister das Uebrige. Aber in meine Seele waren die Funken Kunst, Hamburg, Catalani gefallen, die einen Entschluß in mir anzündeten.


Ein älterer Bruder meines Vaters lebte da als Stadt-Musikant, behaglich und gut. Entzweit mit meinem Vater, hatte er sich nie um uns bekümmert, und in unserm Hause wurde seiner höchst selten, und dann mit den Beziehungen des wunderlichsten Wesens erwähnt. Dahin sollte die Fahrt gehen, der Stadt-Musikant die erste Kunststaffel seyn, auf der ich weiter stieg, die Hamburger Mark endlich zu englischen Pfunden wachsen, mit meinem Talent, riesengroß, und dann wollte ich Sie schauen, die als einzig Bewunderte, zu der mich einen unbeschreibliche Sehnsucht zog. Der Ruf wird vor mir herfliegen, vor dem herrlichen Sänger und Komponisten, dessen Werke ihre Kunstfertigkeiten erst ganz werden entfalten lassen, hochverehrend liebend, ich ihr unerkannt eine meiner Arien accompagniren, mich vergessend in herrlichen Phantasieen auflösen, und sie zu dem höchsten Entzücken der Bewunderung mich gesteigert, mich in einer Originalität erkennend, überwunden und hingerissen, in die Arme des Zipperleins sinken. –

Ich hatte mich so exaltirt, daß mir jeder Au|genblick verloren schien, der nicht zur Ausführung dieses Plans diente.

Alle Bücher flogen zum Antiquar, und wurden nach Burschen-Ausdruck verkeilt, die Perrücken-Sammlung fand ihren Mann und Käufer in einem Friseur; der alte treue Koffer und alles wenige Geräthe, Wäsche u.s.w. wurden versilbert, nur die Zither blieb, und, omnia mea mecum porto konnte ich Jedem ehrlich zurufen. Auf einen Tisch legte ich Briefe, an meine geliebten Manichäer, mit Anweisung auf den Hamburger Onkel, und wie der Abendstern funkelte, hing die Zither an einer Seite, die Mütze auf dem einen Ohre, und fort sollte es gehen, ein wahrer Troubadour, ein bescheidenes Blümlein, in sich gebückt und unbekannt; es war ein herzig Veilchen. Als ich mich in der Thüre nochmals umdrehte, und in die leere Stube sehen mußte, die das Futteral so mancher seltsamen Dinge gewesen war, da erblickte ich nicht ohne Rührung auf dem Ofen das Glas mit meinem alten Lieblinge, dem Wetterpropheten. Ein seltsames Abenteuer bei einer literarischen Thee-Gesellschaft, in das ich höchst unschuldig mit verwickelt worden war, hatte ihn in meine Hände gebracht. Er kam auch aus lieben Händen, aus Fräulein Amaliens kunstgewandten, niedlichen, gut|müthigen, gottlosen. Denn – mit einem Worte, den Schlammbeizger durfte ich nicht im Stiche lassen, mochte nun noch daraus werden, was da wolle, und er mir das Leben nicht schlecht sauer machen auf der Reise. Komm, Knurrpietsche, oder Wettergundel u.s.w. sagte ich, du sollst mir das Tagewerk bezeichnen, und in Vielem mein Vorbild werden, wie ich denn überhaupt schon Aehnlichkeit mit Dir verspüre. Dein Leben ist zähe, wahrlich das meine auch, sonst wäre ich gewiß nach dem fünften Kapitel nicht wieder lebendig geworden. Dir fehlt die Schwimmblase, mir nicht weniger, denn bis jetzt bin ich noch immer auf dem Grunde sitzen geblieben. Mein Frühling soll jetzt anbrechen, und ich will mich, wie Du, in dieser Zeit, aus dem Schlamme der Unordnung erheben zur Kunstgröße. Gebe Gott nur, daß mich nicht, wie Dich Deine Hechte, die meinigen, nämlich die Rezensenten, fressen. An die Angel soll mich auch kein Professor mehr kriegen. Wenn ich unruhig werde, wird wohl auch einst die Kunstwelt in Stürmen sich erheben, – und marinirt mich einst der Tod, so will ich, wie Du, Schwan unter den Fischen, auch mit einem Triller oder wenigstens gehaltenem Tone vom Leben scheiden, das mir nur Salz und Asche | auf das Haupt streute, ohne mich dadurch vom Schlamme der Noth zu reinigen.

Kein Leser meiner Schicksale wird sich wundern, wenn ich sage, daß meine Stimmung eine hochaufgereizte war, der das alltägliche Leben anekelte, und mich die Einsamkeit suchen ließ, meinen Kunst-Phantasieen ungestörten Raum zu verschaffen. Städte und ihre Bewohner mied ich, zu des Landmanns stiller Hütte zog es mich, und im Gezwitscher der Vögel hoffte ich dem wahren Naturgesange auf die Spur zu kommen. Wie sehr bedauerte ich, mein anatomisches Studium nicht auf die genaueste Kenntniß des Kehlkopfes und der übrigen Singwerkzeuge geleitet zu haben, oder statt meiner Versekunst, Mitglied eines Dilettanten-Concerts geworden zu seyn. Doch auch das Letztere wäre meiner jetzt so zart sich wendenden Natur zuwider gewesen, ich wollte nichts von Instrumental-Musik, harmonischen Combinationen und dergleichen wissen. Die Stimme, die Stimme war das Einzige, was mich anzog, ach! und ich hatte leider keine, aber doch den unbegreiflich festen Glauben auf irgend ein großes Natur-Ereigniß, welches mir gelegentlich eine verschaffen würde, so wie denn überhaupt meine ganze Sentimentalitäts-Krämerei in dem seltsamsten Widerspruche mit den oft sehr | erschöpfenden Anstrengungen meiner Kunst-Wanderung und den damit verbundenen Abenteuern, St[r]ohlagern und sonstigen frugalen Begebenheiten stand, die offenbar mich in die prosaischste Prosa hätten versetzen sollen. Aber nein, es scheint mir überhaupt ein Hauptzug meines Charakters von jeher gewesen zu seyn, immer zu andern Dingen gezogen zu werden, als zu denjenigen, die mir die eigentliche Nothwendigkeit und Wahrscheinlichkeit gebot. So mußte es allerdings ein eigenes Schauspiel oder vielmehr Singspiel für die Vorübergehenden seyn, wenn ich voll von dem Gedanken an meine göttliche Catalani ihr Lob in Gesangs-Hymnen ausströmte, wobei ich mich aber des unbequemen Textes durchaus nicht bediente, sondern, gleich meinem Vorbilde, das nächste beste wohlklingende italienische Wort meinen Ton-Tiraden unterlegte. Dabei hatte natürlich meine Phantasie den kühnsten Spielraum, und Alles wogte für mich in einem Ton-Meere. Alleen waren mir doppelte Skalen, jeder Bach eine Passage, jeder rauchende Schornstein eine hochwirbelnde Kadenz, und die Blumen, ach, was sage ich von den Blumen, alle Tonarten roch ich, alle Gerüche hörte ich, dazu kam das meiner Natur so tief eingeschmolzene Bedürfniß, mich liebend an ein Wesen anzuschließen, und was war daher natürlicher, | als daß ich neben der täglich glühender wachsenden Anbetung meiner Catalani, auch endlich meine Zärtlichkeit mit meinem Schlammbeizger theilte.

Lache nicht, Leser oder Hörer, bemitleide vielmehr meine krankhafte Reizbarkeit, die sich mit einer Art von Dankbarkeit an das einzige lebende Wesen kettete, das ihr nahe war. Wie oft warnte er mich vor Stürmen, wie freundlich blitzten mich seine schwarzen Augen an, so mußte auch Catalani blicken. Auch ist es nur zu wahr, daß man die am meisten liebt, für die man leidet, es war wahrlich kein Spaß, oft in der größten Hitze, und auf beschwerlichem Wege das glatte Glas unterm Arme zu tragen, und nur bei einigen Bauern hatte ich Dienste von meinem Mißgrun erhalten, die mir meine Wetterprophezeihung mit ein paar nahrhaften Gerichten vergalten. Dadurch bekam ich eine Art von festem Zutrauen zu meinem Fische, und traute viel auf ihn bei dem Onkel Garten-Freunde in Hamburg. Da schob das verruchte geprägte Metall, das wir Geld nennen, einen Riegel dicht vor die Thüre des Paradieses, denn als ich in einem Weinhause in Haarburg mich zur Ueberfahrt nach Hamburg stärken wollte, war das letzte Geldstück aus einer verrätherischen Versenkung in der Tasche entwischt, und ich saß in größter Verlegen|heit und Hülfslosigkeit da, gerade vor mich hinstierend.

Das oft wiederholte Aufstehen, an’s Fenster Gehen, nach dem Himmel Blicken des einzigen Gastes außer mir im Zimmer würde mir nicht aufgefallen seyn in meiner Stimmung, wenn nicht auf einmal die lieblichsten Mägdlein-Laute zur halbgeöffneten Thüre herein erklungen wären. "Es ist ganz hell die Elbe hinauf, Vater, Ihr könnt es sicher anschlagen lassen." "Ja, wer Teufel kann das gewiß wissen," fuhr er auf, "bin hier so unbekannt in dem Fahrwasser" – ich sah in die Höhe, und erblickte einen langen hagern Menschen, dessen widerlichen, verzogenen, rohen und doch verschmitzten Gesichtszüge ein ächtes Allerweltsleben bezeichneten, und der seinem übrigen Aeußern nach ein Mittelding von Soldat und Seemann zu seyn schien. "Wer mir" fuhr er mit einem kräftigen Fluche fort, "gewiß sagen könnte, was es morgen für Wetter seyn würde, dem wollte ich 20 Mark Banco schuldig seyn." – „Topp!“ ruf’ ich, er wandte sich verwundert zu mir, und die Herrin der lieblichen Stimme kam freundlich neugierig zur Thüre herein. Wie traf der Blick mich! so mußte Catalani freundlich seyn. „Topp!“ wiederholte ich, "ich will mich selbst hier als Pfand einsetzen, | daß es morgen stürmt, und dann auch wieder das gute Wetter voraussagen, wenn Ihr mich so lange zechfrei halten, und dann nach Hamburg zu meinen Verwandten führen wollt, denn Ihr seyd doch wohl ein Schiffer?" "Nicht so ganz, junger Herr, ein Feuerwerker, der seine Kunst hier sehen lassen will, und dann eben so in Hamburg, wozu er freilich gutes Wetter braucht, und dem, der ihm es mit Gewißheit nur ein paar Tage voraussagen könnte, gewiß zufrieden stellen, ja, mit ihm in Compagnie treten wollte. Aber was könnt Ihr zur Sicherheit entgegenstellen? die Equipage ist nicht schwer fortzuschaffen, und der lustige Herr Student machte sich wahrscheinlich nach ein paar verschmaußten Tagen still weiter." Erhitzt, beleidigt, und meinem Schlammbeizger vertrauend, wiederholte ich es, mich selbst zum Pfande setzen zu wollen, bis mich mein Onkel auslöse, wenn ich nicht wahr prophezeihte. Höhnisch schmunzelnd bemerkte der Feuerwerker: "nun, die Figur ist nicht übel, kräftig, gesund" – riß eine Nebenthüre auf, rief ein paar Tabakkauende Gesellen gleichen Schlages zu Zeugen, um den Handel abzuschließen, und mit widerlich freundlich aufgezogener Oberlippe wies er mir dann die holde Maid zur Gesellschaft an, und meinte: erprobe sich meine Kunst, so wär’ das | Ding so übel nicht, und verlöre ich die Wette, so würde das Seewesen auch nicht darüber böse seyn. Leider verstand ich der kurzen Rede langen Sinn nicht, und war heitern Muthes der augenblicklich dringendsten Noth so leicht entgangen zu seyn, zumal den schönen Augen Katharinens gegenüber, die ich auf der Stelle bat, in ihrem Namen eine Buchstabenversetzung vornehmen zu dürfen, um sie auch dadurch meinem Ideale zu nähern: und die lose Braune ließ es sich lachend gefallen, Catharani zu heißen.

Ich wurde erträglich genug einquartiert. Der folgende stürmische Tag galt für meinen Triumph, und wurde Abends mit einem Punsch-Bankett gefeiert, bei dem mir nur die einzige kleine Fatalität begegnete, das letzte Kleinod von Werth, meine Uhr, in einem freundschaftlichen Spiele zu verlieren. Doch kümmerte mich das wenig, Katharani’s Catalani-Stimme, und die Hoffnung auf Schlammbeizger und Onkel hielten mich aufrecht. Der Ehrgeizteufel hieß mich den ersten und sein Talent verläugnen, um allein den Ruhm der Wetter-Sybillen-Kunst zu genießen, und so hatte Katharani Schelm meinen magern Mantelsack und den Fisch in Obhut genommen. Doch hatte ich mein Augenmerk heimlich desto fester auf Knurrpietschens | Bewegungen, und da seine außerordentliche Ruhe mir das beständige herrlichste Wetter versprach, so bestimmte ich in größter Zuversicht den Tag des Feuerwerkes.

Die Erfüllung meiner ersten Prophezeihung hatte Glauben erweckt; es ging mit Macht an Anstalten aller Art, und im Kreise verdächtig aussehender Gesichter wurde im Voraus auf die hoffende Einnahme gezecht, und das Verzechte angekreidet. In dieser widerlichen Kompagnie mich zu sehen, war mir manche Stunde sehr beschwerlich, und nur Katharani’s Augen und Stimme konnten es mich erträglich finden lassen, zumal da ich erfuhr, daß sie die Catalani gehört habe, welches sie mir zwar freilich nicht eben in den kunstgerechtesten Ausdrücken erzählte.

Endlich brach der verhängnißvolle Feuertag an. Schon am Morgen trübte sich der Himmel etwas, und eben so die Stirnen meiner Feuermänner, nur ich blieb guten Muths trotz ihrer verfänglichen Reden, denn so oft ich nach meiner Knurrpietsche hinschielen konnte, lag sie still und unbeweglich, und ich ermunterte pochend darauf zur Fortsetzung der Feuerwerks-Anstalten; da schwärzte es sich mehr und mehr. Die Zuschauer versammelten sich; die Plätze waren besetzt, als | auf einmal der wüthendste Sturm und Regen das schöne Werk zertrümmerte, das Publikum durchnäßte, welches ungestüm sein Geld zurück verlangte. Die Casse hatte aber schon früher, den Regen scheuend, ihren Abgang genommen, man tobte, lärmte, schrie, mißhandelte die Unternehmer, und diese ermangelten nicht, die Last ihres ganzen Zorns mit Zinsen auf mich zu übertragen. Ich ward zu Boden geworfen, mit Schimpfworten und Schlägen bedeckt, endlich schnell hinweggeführt, und von der Dunkelheit begünstigt in ein elendes Nest, ein Haus an der Elbe, geschleppt, und in eine Art Keller gestoßen, dessen Thüre ich wohl verriegeln hörte.

Hier lag ich eine Zeit lang bewußtlos. Endlich mich erholend, konnte ich nicht begreifen, mit welchem Rechte man mich so behandle, und was daraus werden solle. Ueber mir schien es zu jubeln und zu tanzen. Die Nässe meiner Kleider und mein Aufenthalt wurde mir von Minute zu Minute unerträglicher, da hörte ich Katharinens Stimmchen mitleidig vor der Thüre flöten. Sie dauern mich, junger Herr, aber ich kann Ihnen nicht helfen, man hatte es seit der ersten Stunde auf Sie abgesehen, und Sie gaben sich ganz in die Hände der Seelenverkäufer durch Ihre unbesonnene | Wette, die Sie vor Zeugen wiederholten; nun kann Sie nichts mehr retten, und Sie reisen mit dem ersten Schiffe nach den Kolonien. Nun, es hat schon Mancher sein Glück dort gemacht, und geht es Ihnen einst gut, so vergessen Sie nicht meine Theilnahme." "O Schlammbeizger, verdammter Fisch," rief ich verzweifelt aus, "Dir verdank’ ich diese schreckliche Wendung meines Schicksals." – "Wie so?" fragte Katharina, "der Fisch ist ja todt." – „Todt?“ schrie ich; "nun ja," fiel sie ein, "und ich hatte ihn doch so gut gepflegt, und sogleich den Tag nach Ihrer Ankunft mit dem reinsten, besten Brunnenwasser versehen." – „Ach!“ rief ich aus, "Du hast ihn dadurch getödtet, und ich fand ihn natürlich als Leiche so ruhig." – "Ha, ha," lachte die Sirene vor der Kellerthüre, "das war wohl ein Wetterfisch? wie kann man denn auch einem solchen Thiere trauen?" – "Ja, ich traute ihm auch nie recht," erwiederte ich, – "aber er ward mir anvertraut, und ich kann wenigstens behaupten, für ihn Alles gethan zu haben, was in meinen Kräften stand, aber Undank ist der Welt Lohn, und wer weiß, ob Alles, was ich für ihn gethan habe, nicht die Verwünschung meines künftigen Gönners auf mich zieht, der mich nun aus dieser | verzweiflungsvollen Lage retten muß; wie aber, weiß ich nicht. O, Schlammbeizger, Du schwebst als ein schweres Schicksal über mir, und jetzt liege ich, feucht wie Du, im Schlamme, gefangen im Netze meiner Catalani-Verblendung. O!

"Doppelte Nacht umgab mich, ich hörte das entfernte Kichern der falschen Catharani, und betäubt mich willenlos meinem fernern Schicksale überlassend, seufzte ich resigniert: Der Tod löst alle Bande, Schlammbeizger fahre wohl!"

Editorial

Summary

Erzählung über einen Musiker-Komponisten, der sich von Göttingen nach Hamburg zu seinem Onkel aufmacht und auf die Reise seinen “Schlammbeißer”, einen Wetterfisch, mitnimmt; die Verehrung der Sängerin Angelica Catalani ist Antrieb für seine Reise; aufgrund der ungünstigen Verkettung von skurrilen Begebenheiten gerät der Musiker schließlich ins Gefängnis und muss dort im feuchten Kellerloch enden wie sein inzwischen eingegangener Wetterfisch

General Remark

vgl. den in Details stark abweichenden überlieferten Entwurf Webers

Creation

12. April und 1. Mai 1818 (laut A und TB); vgl. auch TB-Notiz vom 2. Mai 1818

Tradition

  • Text Source: HellS I (1828), pp. L–LXVI

    Corresponding sources

    • MMW III, S. 180–189
    • Kaiser (Schriften), S. 426–436 (Nr. 130)

Thematic Commentaries

    Commentary

    • “… Der Schlammbeizger”Schlammbeitzger, Schlammbeißer, Wetterfisch (Misgurnus fossilis): Bodenfisch, überwiegend nachtaktiv, lebt in stehenden warmen Gewässern mit schlammigem Grund, kann im Schlamm eingegraben Trockenzeiten überleben .

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