Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 1. Februar 1817: “Il barbiere di Siviglia” von F. Morlacchi

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Am 1. Februar wurde „Il Barbiere di Siviglia“ vor einem zwar nicht zahlreichen, aber aufmerksamen und theilnehmenden Publikum wiederholt. Aechte Musikfreunde werden stets bei jeder Wiederholung einer so trefflichen Oper höhern Genuß finden, weil es selbst dem geübtesten Kennerohr unmöglich ist, alles Sinnige einer durchdachten Musik sogleich ganz zu verstehen und zu fühlen; zuerst kann man nur von dem Totaleindruck urtheilen, dann entfaltet sich erst der Reichthum der einzelnen Theile. Aber das Aechte ist nie das Zahlreichere! Die Aufführung war fast noch gelungener als vorige Mittwoch; um noch auf einige Details aufmerksam zu machen bemerken wir, mit welchem lebenvollen Vortrag gleich das erste Duett zwischen Rosina und Bartolo gesungen wurde, die Musik desselben ist ganz höhere Sprache, denn nur in Tönen sind ja ohnehin die zartern Nüancen aller Empfindungen auszusprechen, für welche wir vergeblich Worte suchen. Höchst reizend ist diese Tonsprache besonders auch im ersten Duett des zweiten Akts, dessen Schluß heute zarter, wärmer und ausdrucksvoller als je vorgetragen wurde.

Wie treffend aber sinnige Musik nicht allein Gefühle, sondern auch Betrachtungen und Muthmaßungen auszusprechen vermag, dieß beweist Bartolo’s Arie: Veramente hò torto, diese ist für den Kenner gewiß besonders interessant, da sie außer der charakteristischen Wahrheit auch noch so völlig reflectirende Sprache ward, und dies: Mà – il dito è nero etc. meisterhaft behandelt ist. Schöner als je wurde das herrliche Terzett ausgeführt, wo die Blasinstrumente und besonders unsers würdigen Veteranen Prinz wundersüße Flötentöne den seelenvollen Canon so lieblich einleiten.

So wurde auch die treffliche Scene der Singstunde diesmal mit weit mehr Schatten und Licht ausgeführt, als sonst. Bei den Worten, welche Rosina und der Graf sich zuflüstern, während der Alte schläft, schienen die begleitenden Instrumente nur von dem leisesten Hauche des innigsten Gefühls beseelt, alles verstummte um die Liebenden her, und in dem lieblichen Verhallen der in einander schmelzenden Stimmen sprach sich ihr Vergessen der Außenwelt aus, bis Rosina, das Erwachen des Alten bemerkend, mit der reizendsten Laune wieder eifrig in ihre glänzende Bravourarie einfiel.

Recht sehr lebhaft wurde durch diese beiden so gelungenen Aufführungen dieser lieblichen Oper der Wunsch erweckt, daß wir doch bald endlich wieder den Rudolph von Crequy möchten aufführen sehen, da diese ausgezeichnet schöne Oper unsers talentvollen Morlacchi, welche er 1811 für das hiesige Theater schrieb, so lange ruhte, daß sie fast allen Zuhörern neu seyn würde, und da sie mit einem interessanten Inhalt und großer Theaterwirkung eine eben so originelle, als durchdachte Musik vereinet, wo der aufmerksame Kenner es mit Freude bemerkt, welchen tiefen Eindruck der kräftige Zauber des deutschen Musikstyles auf den genialen Künstler machte, der seitdem durch öftere Wiederholung ihrer Meisterwerke für ¦ Theater und Kirche bewies, wie innig er Mozart, Naumann, Hasse, Winter, Weigl &c. ehrt.

Rudolph von Crequy verbindet ächte alte Ritterlichkeit mit glühend tiefem Gefühl und verdient zu den wahrhaft romantischen Opern gerechnet zu werden; ist das Personal gleich etwas verändert seit sie gegeben wurde, so dürfte man doch fast hoffen, daß sie jetzt noch besser besetzt werden könnte. – So stehen Erinnerung und Hoffnung immer als freundliche Gefährtinnen neben jedem Genuß der Gegenwart! –

C.

Editorial

Summary

Aufführungsbesprechung Dresden: “Il barbiere di Siviglia” von Francesco Morlacchi am 1. Februar 1817

Creation

vor 10. Februar 1817

Tradition

  • Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 35 (10. Februar 1817), f 2v

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