Bericht über Ernst Matthäis Büste von Carl Maria von Weber und über englische Aufführungen bzw. Travestierungen des Freischütz

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II.
Maria v. Webers Büste von Ernst Matthäi.

Wir verdanken dem Bildhauer Hrn. Ernst Matthäi (Lehrer in der Kunstschule bei der K. Akademie) die Gewährung eines Wunsches, der von vielen Verehrern unsers berühmten Maria v. Weber schon oft aufs lebhafteste geäußert worden ist. Schwerdtgeburt’s Portrait nach Vogel, so charakteristisch und ähnlich es auch ist, gnügte den Liebhabern nur als eine willkommene Erinnerungtafel. Man wünschte aber seine Aehnlichkeit auch in plastischer Gestaltung zu sehen, man wollte den Zauberer in Tönen auch in einer sprechenden Büste vor sich hinstellen. Diese Aufgabe ist nun von demselben Künstler, dessen wohlgerathenem Pferdemodell für Kunst- und Thierarzneischulen wir in vorigem Jahre in diesen Blättern den Beifall voraussagten, dessen es sich fortwährend erfreuet, mit einem tüchtigen Kunstvermögen gelöset worden. Es ist Seele und charakteristischer Ausdruck in diesem nur etwas weniger über Lebensgröße gebildeten Kopf. Die kleine Vergrößerung thut dem Ganzen sehr wohl, ohne der Aehnlichkeit im geringsten Abbruch zu thun, welches z. B. bei der kolossalen Büste Schiller’s durchaus der Fall ist. Die deutsche Sprache hat ein Wort, um welches sie alle Schwestern beneiden, Liebreiz. Dieser umschwebt hier wirklich die Partie um dem Mund und die Lippen, die sich eben öffnen zu wollen scheinen. Man kann sagen: Wohllaut hat sich hier mit Anmuth gepaaret. Und doch findet sich dabei nicht der fernste Anklang von gefallsüchtiger Freundlichkeit. Ueber das Ganze verbreitet sich vielmehr ein ruhiger Ernst. Sehr fein sind auch die Theile an der Stirn | über den äußern Augenwinkeln angedeutet, in welchen Gall leicht eine Bestätigung seiner Organenlehre finden würde. Weber hat ein sehr schön geformtes Ohr und einen eigenen Haarwurf über der linken Stirne. Auch dieß ist verständig wiedergegeben. Da es ein vollständiges Brustbild ist, so tritt aus der Bekleidung, die darum beibehalten werden mußte, die dem Meister eigenthümliche Haltung des Kopfs und der Schultern hervor. Gewiß die gelungene Arbeit muß Anerkennung finden. Damit aber dem wackern Bildner keine unberufenen Speculationen in dem Weg treten und da erndten wollen, wo sie nicht gesäet haben, ist er entschlossen, Unterzeichnung darauf anzunehmen und nicht eher Abgüsse davon zu verkaufen, als bis er gedeckt ist. Die Unterzeichnenden sollen aber nicht nur in der Ordnung, wie ihre Namen eintreffen, die ersten Abgüsse, sondern diese auch mit einem bedeutenden Vortheil im Ankauf erhalten. *)

Bei der Celebrität des Freischützen, – wir möchten sie eine europäische nennen, wenn uns nicht in der letzten Messe versichert worden wäre, daß er bereits auch auf der Schaubühne in Neu-York und Boston gegeben worden, – war der Gedanke, welchen ein Liebhaber in Frankfurt a. M. auszuführen sucht, eine eigene Freischützgallerie zu errichten, weder ungereimt noch unausführbar. Die Schulzischen Freischütz-Lichtschirme mit dem sich ab- und aufwickelnden Transparens, der wir früher Erwähnung thaten, haben eben jetzt einen Decorationsmaler unter uns auf die Idee gebracht, aus der berüchtichten Wolfschlucht ein sogenanntes Diorama mit siebenfachen Szenenwechsel zu versuchen. Wir hoffen davon bald ausführlicher sprechen zu können. Heute berichten wir nur, daß uns aus England ein travestirter Freischütz mit radirten Lach- und Zerrbildern zugekommen ist, der, da sich nicht nur das kleinere, nur im Sommer geöffnete, englische Operntheater, (dessen Unternehmer Arnold, Musikdirector Hawes ist) sondern auch die andern Schauplätze, wie das Coburg-Theater und Astley’s sind, dieses Stück angeeignet hatten*, und nach dem Wohlgefallen, den John Bull nicht nur ¦ an den Teufeleien, sondern auch an den hinreisenden Melodieen desselben fand, gar nicht ausbleiben konnte.*) Die Sache ist auf wirkliche Gestaltung auf den kleinen Volksbühnen berechnet und sprudelt von derben Einfällen, wie sie da beklatscht werden (broad humour), z. B. die Rolle der weißen Rose, die allen Zauber löset, vertritt hier ein – geflickter Schuh, welche die etwas manntolle Agnes, – so heißt dort die Agathe – dem zur Wolfschlucht eilenden Rudolph (Max) nachwirft und der im kritischen Moment, wo der Schuß auf die Taube gerichtet wird, dem lauernden Samiel an den Fuß fliegt, so daß dieser die verhängnißvolle Kugel auf dem hinter Rudolph aufpassenden Caspar schleudern und dem Bösewicht seinen Lohn geben muß. Das Hin- und Herfliegen des Schuhs, der in Größe und Gestalt völlig das Gegentheil von dem ist, der in Aschenbrödel so viel Verwirrung anrichtet, hat Meister Cruikshanck gar erbaulich abgebildet. Doch alles wird durch die Travestirung des Samiels, der unter andern auf einem Blatte dem Max die Organe am Kopfe umtastend vorgestellt ist, und der Wolfschlucht selbst überboten. Bei jedem Kugelguß, wozu unterirdisch ein Doppelchor von höllischen Geistern und Feuerwerkern aufbrüllt, erscheint statt des Hexensabbats neben der Hexenmama, Mutter Rothkäppchen, die um den Mond zu verdunkeln einen ungeheuren Küchentiegel vor die Mondscheibe hält, alles was John Bull haßt, in wildem Getümmel, unter andern ein Proceß vor dem Lord Kanzler (a Chancery suit), berühmt durch seine lange Dauer, als eine lange Schlange, die den verwundeten Schwanz nachschleppt, alle neuerlich gehangene Spitzbuben, umgeworfene und brennende Postkutschen; und bei der 7. Freikugel, wo ein Feuerballon aufsteigt und kleine Feuerkugeln ausspeit, stürzen alle Feuerwächter und Feuerspritzen auf die Szene, alles ist in Feuer, die Glocke schlägt eins und der Nachtwächter ruft ab, womit der Vorhang fällt. Den dritten Akt eröffnen Agnes und Rudolph mit zwei Drehorgeln, | die sie zärtlichst gegen einander spielen; Herzbrechend ist der Gesang eines Schwarms von Kindern, die hier die Stelle der Brautjungfern vertreten, und welchen Agnes selbst ihr Lied einprobirt. Ein Londner Fleischermarsch mit zusammengeschlagenen Hackebeilen und Markknochen (cleavers and marrow bones), den das Königstädter Theater in Berlin zu seiner gepriesenen Ochsenmenuet wohl kaum entbehren könnte, gehört auch zu diesem Bühnenjubel. Doch genug dieses fantastischen Unsinns!

B.

[Original Footnotes]

  • *) Eine besondere Ankündigung des Künstlers im nächsten Blatte dieser Notizen wird das Nähere bestimmen. Vorläufig kann ich die möglichste Billigung zusichern.
  • *) Der Freischütz, travestie, by Septimus Globus, Esq. (die 7te Freikugel ist also witzig geworden) With twelve etchings by George Cruikshank, London, Baldwyn 63 S. in gr. 8. Preis 5 Sch. 6 Pence. Angehängt ist die Apelsche Erzählung aus dem Gespensterbuch, vollständig unter dem Titel: the fatal marksman, übersetzt.

Editorial

Creation

Responsibilities

Übertragung
Amiryan-Stein, Aida

Tradition

  • Text Source: Artistisches Notizenblatt, Beilage zu Abend-Zeitung, Jg. 8, Nr. 20 (Oktober 1824), pp. 78–80

Text Constitution

  • “dem”sic!
  • “dem”sic!
  • “berüchtichten”sic!
  • Londnersic!

Commentary

  • “… sind, dieses Stück angeeignet hatten”Englische Erstaufführung des Freischütz in der englischen Textfassung von Walter McGregor Logan und der musikalischen Bearbeitung von W. Hawes im English Opera House am 22. Juli 1824 unter dem Titel Der Freischutz, or The seventh Bullet. Aufführungen in Davis’s (bzw. Astley’s) Royal Amphitheatre ab 30. August 1824. Im Royal Coburg Theatre wurde bereits ab 23. Februar 1824 The fatal Marksman, or The Demon of the Black Forest gespielt, eine englische Dramatisierung desselben Stoffes wohl ohne Webers Musik.

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