Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: 29. April bis 2. Mai 1818
Am 29. April. Zum Erstenmale: Paolo e Virginia. Wird bei der zweiten Vorstellung beurtheilt werden.
Am 30. April. Johanne von Montfaucon. Herr Schulz zweite Debütrolle als Philipp.
Am 2. Mai. Paolo e Virginia. Oper in drei Akten, mit Musik von K. M. Guglielmi.
Die interessante Begebenheit, welche den Inhalt dieser Oper begründet, ist hinlänglich bekannt und bereits in mannigfaltigen Gewändern durch Dichter, Mahler und Tonkünstler dem Andenken aufbewahrt worden. Sie gründe sich nun auf factische Wahrheit oder sey reine Dichtung, so wird sie immer und in jeder Gestalt als ein zartes Gemälde reiner, edler Natur neue Theilnahme erregen. Zur Darstellung derselben ist wohl die dramatische Form, durch den magischen Zauber der Tonkunst belebt, unstreitig die lebendigste und anziehendste. Vor mehrern Jahren schon wählte ein französischer Dichter diesen Gegenstand zum Stoff einer Oper, wozu (wenn Refer. nicht irrt) Kreuzer (der Componist der Lodoiska* u. a.) eine recht artige ausdrucksvolle Musik setzte, und vorliegende italienische Bearbeitung ist (wie schon die ganze scenische Anordnung zeigt) keine Originalschöpfung des italienischen Dichters, sondern wohl nur eine, der herkömmlich nationalen Form der italienischen Oper angepaßte Uebertragung jener französischen Oper. Besser hätte aber der Verf. der italienischen Bearbeitung gethan, wenn er (im Fall er wirklich die französ. Oper zur Grundlage nahm) dem Original durchaus treu geblieben wäre, er würde mehrere Mißgriffe vermieden haben. So hat er z. B. aus dem gutmüthigen, besorgten, treuen Diener Simon, ein unglücklich, aus gefühlvollem Ernst und reizlosen Scherz gemischtes, Unding gemacht, das nur durch das immer rege, lebendige Talent unsers trefflichen Benincasa, zu einem Etwas werden konnte. Der Schiffscapitän erscheint bald als schmachtender Verliebter, bald als rauher Seemann; ein Wertherisirender Bramarbas. Doch, man ist ja nun einmal gewohnt auf dergleichen Dinge in der Oper keine Rücksicht zu nehmen, wenn man nur brav wirbelnde Passagen, Trillerchen, chromatische Läufer und dergl. zu hören bekommt. Recht wacker aber ist Guglielmi’s (vermuthlich ein Sohn des berühmten Pietro Guglielmi) Musik zu dieser Oper. Nicht eben durch hohe Genialität und tiefe Gründlichkeit, aber dennoch nicht ohne Geist und wirksamen Ausdruck, zeichnete sich diese Musik durch angenehmen, anziehenden Gesang, größtentheils richtigen Ausdruck der Empfindung, und reine, nicht durchaus kräftige und ergreifende, aber doch wirksame, bescheidne und unverkünstelte Harmonie, vor mehrern der neusten italienischen Compositionen, Ohr und Gemüth freundlich ¦ ansprechend, vortheilhaft aus. Nur in einzelnen (freilich im Grunde nur dem Sänger zu Gefallen hineingeschobenen) Gesangstücken hat der Componist, wie alle Andre mitunter, zu sehr der herkömmlichen Sitte gefolgt, und das aufgeregte Gemüth durch unmotivirte Passagen, gähnende Ausdehnung und zu häufige Wiederholungen herabgespannt, und den raschen Gang der Handlung gelähmt; wie dies z. B. vorzüglich in der, dem Sänger zwar sehr zusagenden, aber dennoch zwecklosen, viel zu langen und zum Theil (besonders für einen Seemann) wirklich süßlichen Arie: „Và lusingando amore etc. etc.“ der Fall ist; wovon jedoch der Dichter die meiste Schuld trägt. Sehr ausdrucksvoll sind dagegen das erste Duett in der Introduction, das zweite: „qual tremore mi arresta“, im zweiten Akt, von Paul und Virginia, und (besonders im Ausdruck wechselnder, kämpfender Gefühle) die Abschiedsscene der Virginia im Finale des zweiten Akts. Paul und Virginia, als die Hauptfiguren des ganzen Gemäldes, sind vom Componist recht gut gezeichnet, und erregen durch die vollkommne Uebereinstimmung und innige Verschmelzung ihres ganzen Wesens, wodurch sie als Bild der Unzertrennlichkeit vor die Seele treten, ein durchaus ungetheiltes Interesse; und so soll es, meiner Ansicht nach, auch wohl seyn. Die Darstellung im Ganzen war gut. Latour (Signore Sassaroli), Vater der Virginia; (Signora Benelli) Margherita, (Signora E. Zucker) Paul, (Sgnra. Miksch), Mr. de la Bourdornai, Gouverneur, (Signor Decavanti), ein französischer Schiffskapitän (Signor Benelli), Simon, Latours Diener, (Signor Benincasa), Zabi, ein Mohr in des Gouverneurs Diensten (Signor Bassi).
Signora Benelli gab die Virginia sehr brav in Spiel und Gesang, mit viel Natur und lebendigem, innigen Gefühl, besonders in der Abschiedsscene. In ihr zeigt sich eine seltne Vereinigung gleich guter Anlagen zur Sängerin und Schauspielerin. Sehr lobenswerth wetteiferte mit ihr Signora Miksch; nur schien diese das innige, anschmiegende Gefühl, womit jene die Virginia darstellte, nicht mit gleichem Feuer zu erwiedern. Auch Signor Benelli bewährte in der, zwar ohne alle Rücksicht auf Character, aber doch brillant ausgeführten Arie des Schiffcapitäns: „Và lusingando amore etc.“ seine längst anerkannte und geschätzte Kunstfertigkeit und reine Schule. Die Ensembles waren gut. Sollten indeß die wackern Künstler nicht selbst fühlen, welcher harmonische und rhythmische Uebelstand (besonders zwischen Sänger und Ochester) durch ein zu häufiges und zu willkürliches Rubato, (welches Refer. schon so oft bemerkt hat) vorzüglich in Ensemblestücken verursacht wird? – Im Ganzen fand die Oper Beifall und kann wohl mehrern Wiederholungen entgegen sehen.
F.Editorial
Summary
Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: 29. April bis 2. Mai 1818, dabei besonders über “Paolo e Virginia” von Guglielmi
Creation
–
Responsibilities
- Übertragung
- Albrecht, Christoph; Fukerider, Andreas
Tradition
-
Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 2, Nr. 121 (22. Mai 1818), f 2v