Theaterbericht Dresden “Johanna von Monfaucon” (Januar 1817)
[Theater-Nachrichten] Aus Dresden.
Am 2ten Januar: Johanna von Monfaucon, Schauspiel in 5 Aufzügen, von Kotzebue.
¦Am 2ten Januar ward die hiesige Bühne wieder eröffnet, nachdem sie seit beihnahe der Mitte des vorigen Monats geschlossen war.
Das Publikum machte eine sehr erfreuliche Bemerkung. Statt der oft mündlich und in verschiedenen öffentlichen Blättern gerügten Fiedlergesellschaft saß die Königl. Kapelle im Orchester. Nach dem ersten Vortrage derselben hätte die sorgsame und gefällige Intendantur, für diese willkommene Einrichtung, die ihr gewiß manche Mühe und Verdrüßlichkeit verursacht haben mag, wohl ein öffentliches Anerkenntnis von Seiten des Parterre verdient. Allein unser Parterre ist nun einmal ein wenig zu sehr bedenklich, und die uns früher eingeprägte, an sich aber durchaus falsche Idee, daß des Königs Majestät alle laute Beifallsbezeugungen der Art nicht liebe, hat bei einem Jeden eine zu tiefe Wurzel gefaßt, als daß dies Vorurtheil sogleich könnte beseitiget werden, und wir halten uns daher verpflichtet, den Dank des Publikums, den jeder Einzelne recht herzlich fühlte, hier öffentlich auszusprechen.
Die Vorstellungen der deutschen Gesellschaft sind zwar in der Regel immer sehr besucht; diesmal aber war das Haus vorzüglich gefüllt. Neugierde und Parteilichkeit drängte die Mehresten hinein. Die neu engagirte Madame Kupfer be¦trat, als Johanna von Montfaucon, im Stücke dieses Namens, zum ersten Male die Bühne.
Wer den ganzen Zusammenhang dieses Engagements kannte, fand in der Beobachtung des Publikums, eine ungemein interessante Unterhaltung. Man konnte die Regsamkeit desselben für einen leisen Paroxismus und Parteienwuth ansehen.
Mad. Kupfer war auf das bloße Wort eines Staabsofficiers von höherem Range, der ein großer Liebhaber der Kunst ist, der in seinem eigenen Hause ein Familientheater errichtet hat, und der die Künstlerin in Achen kennen gelernt hatte, mit 1300 Rthlr. jährlichen Gehalts, für Anstands-Rollen, bei der hiesigen Bühne engagirt. Der große Haufe ist sich überall gleich. – „Gebt das Geld doch lieber den armen Erzgebirgern!“ schriee der Eine. „Was,“ fragte der Andere, „unere‡ Schirmer, von der selbst Ausländer gestehen, sie fehle auf ihren Bühnen, hat nur 900 Rthlr., und diese Fremde, die noch kein Mensch kennt, die von einer kleinen Gesellschaft, welche bald in Achen, bald in Cölln, bald in Amsterdam ihre Bude aufschlägt, daher geschneit kömmt, soll mehr haben als die, welche zu den ersten Künstlerinnen Deutschlands gehört?“
„Was hat unsere Hartwig verbrochen,“ rief der Dritte, „daß man ihr die Rollen nimmt, die sie noch mit Beifall giebt? Der Neuen Künstlerwerth kenne ich nicht; aber ist sie denn jünger, hübscher?“ – „Laßt den Militair,“ fiel der Vierte ein, „seine Musterung über Soldaten halten; aber was auf den Brettern gut oder nicht gut ist, das müssen wir besser wissen. Warum wird die Frau nicht erst herberufen, um Gastrollen zu geben und abzuwarten, ob sie gefalle oder nicht?“ – „Muß nicht,“ meinte ein Fünfter, „der armen Frau, wenn sie nicht eine catalanische Einbildung von sich selbst hat, vor ihrem hiesigen Verhältniß selbst bangen. Außer dem Regisseur hat kein Mitglied der Gesellschaft eine gleiche Gage. Viele darunter verdienten um ihrer Talente, andere um der langen Zeit willen, die sie gedient, wohl in Hinsicht des Gehalts, neben ihr, viel leicht noch über ihr, zu stehen. Selbst der beste Mensch hat nicht immer die Gewalt über sich, den, der ihm, vielleicht wider Verdienst, vorgezo|gen wird, die ihm dadurch werdende Zurücksetzung nicht entgelten zu lassen; die Eingeschneiete wird daher hier nie auf Rosen schlafen, sondern immer ein Gegenstand der allgemeinen Abneigung bleiben.“
So und noch vieles ward gesprochen, und dem stillen Zuhörer trat es recht deutlich vor die Seele, wie schwierig es sey, Theaterintendant zu seyn und es allen Leuten recht zu machen. Zugleich ward es aber auch klar, daß diesmal der gute Wille der Intendantur, dem hiesigen Publikum eine recht vorzügliche Künstlerin vorzuführen, wohl gar zu weit oder vielmehr zu rasch gegangen seyn mögte; denn gegen manche dieser schnöden Stichelreden, und besonders gegen die Ansicht des Mannes Nummer vier, daß die Fremde erst einige Gastrollen hätte geben sollen, ließ sich von Seiten ihrer wenigen Vertheidiger nicht viel Erhebliches einwenden. – Die Vorstellung begann, und was vorauszusehen war, Mad. Kupfer gefiel nicht.
„Das ist nicht unsere Hartwig!“ schrieen die einen; „nicht dreihundert Thaler ist sie werth, geschweige denn dreizehnhundert!“ die andern; „mit der Grenadierstimme commandire ich ein Bataillon!“ die dritten; „im stummen Geberdenspiel hat sie sich wie der Lindwurm, wie ein abstehender Karpfen auf dem Sande,“ die vierten; und so hatten fast alle an ihr zu tadeln, und viele thaten ihr zu viel. Sie kann und wird auf manchen andern Theatern gefallen. Sie kann und wird, wenn sie gute Muster vor sich, und wohlmeinende, verständige Freunde um sich hat, manches an sich verbessern und das Gute, das ihr nicht abzusprechen ist, vervollkommnen; aber hier wird es ihr sehr schwer werden, das Vorurtheil, was ohne ihr Verschulden gegen sie rege geworden war, ehe man sie noch gesehen, zu bekämpfen. Daß man hart, daß man zu streng gegen die Künstlerin verfuhr, ist nicht zu läugnen; so versprach sie sich z.B. einmal; – und es giebt nichts menschlicheres, nichts verzeihlicheres, als sich einmal zu versprechen – gleichwohl wurde dies von einigen im Parterre scharf aufgestochen und ein hörbares Mißfallen darüber geäußert. Wir haben in unserer Gesellschaft eine geschätzte Frau, die sich, seit Kurzem, manchen Abend zehnmal verspricht; unsere Gutmüthigkeit schweigt vielleicht aus übergroßer Billigkeit dazu; warum wollen ¦ wir nicht gegen jene gerecht seyn, wenn wir gegen diese fast mehr als billig sind? Daß Mad. Kupfer aber in den Zirkel unserer Hofgesellschaft sich nicht recht zu passen scheine und daß ihre Manier uns allen, die wir nun einmal gewohnt sind, Rollen der Art ganz anders genommen zu sehen, nicht gefallen könne, ist auf der andern Seite auch nicht in Abrede zu stellen. Aber die Schuld, fällt diesmal nicht auf die Frau, sondern – mit Freimüthigkeit und ehrlicher Wahrheitsliebe zu sprechen, werden wir, der Welt gegenüber, uns immer verpflichtet halten – sondern diesmal einzig und allein auf die Intendantur. Und wenn die Schauspielerin so durchaus mißfallen sollte, daß man nicht gesonnen seyn sollte, sie zu behalten, so hat sie doch ein volles Recht, darauf zu dringen, daß ihr das zugesicherte Gehalt auf die bedungene Zeit ohne den geringsten Abzug gezahlt werde. Sie Hat sich nicht angetragen; sie ist aufgefordert worden; man hat ihr die Gehaltssumme nicht unter dem Beding angeboten, daß sie hier gefalle; und daß sie, wie sie ist, nicht gefallen, ist nicht ihre Schuld. Sie wird auf vielen anderen Theatern bestimmt Glück machen. In wie weit die Intendantur ihren Regreß an den Empfehlenden nehmen könne, ist eine hieher nicht gehörige Frage.
Wenn alle die Künstler und Künstlerinnen, denen von den Direktionen ihres Orts, nach ihrer Meinung, nicht genug Weihrauch gestreut wird; welche darüber klagen, daß ihren täglich höher gespannten Forderungen nicht immer gleich auf dem Fleck genügt werde, und die, barsch und kurz, wie dergleichen Leutchen wohl zuweilen zu seyn pflegen, den Entschluß fassen, auf andern Bühnen ihr Licht leuchten zu lassen, in der kecken Idee, daß in der Fremde der Nimbus ihrer Verdienste werde besser anerkannt, und statt zu Hause mit Silber, dort mit Golde werde aufgewogen werden – wenn diese Künstler und Künstlerinnen aus vorliegendem Vorfalle sich die Wahrheit abstrahieren, daß mancher, den zu Hause die allmächtige Gewalt der Gewohnheit erhält, in der Fremde schonungslos, nach seinem wirklichen Verdienst, gewürdigt wird; so sind diese Zeilen nicht ohne praktischen Erfolg geschrieben.
Uebrigens müssen wir zur Ehre der Gesellschaft bemerken, daß sie das Spiel der Fremden überall sichtbar unterstützte; eigentlich konnte sie | ihr ja auch nicht gram seyn; denn das die Künstlerin das, was man ihr an Gehalt freiwillig angeboten, freiwillig genommen hatte; – war denn das ein Verbrechen? und weiter hatte die arme Frau ja nichts gethan! Das fühlte auch jeder in der Gesellschaft, und darum reichte ihr auch jeder im Spiele selbst recht freundlich die Hand; besonders müssen wir dies von den Herren Müller, Schirmer, Haffner, Sommerfeld und Drewitz und Dem. Zucker dankbar rühmen.
Der Burgvoigt Wenzel v. Montenach aber wird recht ernstlich gebeten, künftig nicht den Besoffenen, sondern allerhöchstens den Trunkenen zu ¦ spielen. Am besten thäte die Regie diese Rolle anderweit zu besetzen; denn sie scheint von dem Manne, in dessen Händen sie sich jetzt befindet, vom Grunde aus falsch genommen zu werden.
Wie es heißt, werden die Gänge hinter den Logen, zur Vermeidung des unausstehlichen Getrampels, und das ganze Parterre und Parquet, zum Besten der Zuschauer, mit Fries belegt werden. Auch haben die Logenschließer den geschärften Befehl erhalten, das starke Auftreten auf den Logengängen, während des Spiels, durchaus nicht zu leiden.
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Editorial
Summary
Aufführungsbericht Dresden: “Johanna von Montfaucon” von August von Kotzebue am 2. 1. 1817; speziell zu Elise Kupfer
Creation
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Tradition
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Text Source: Dramaturgisches Wochenblatt in nächster Beziehung auf die königlichen Schauspiele zu Berlin, vol. 2, issue 29 (18. Januar 1817), pp. 230–232