Korrespondenz-Nachrichten aus Dresden (April 1817)

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Theaternachrichten aus Dresden.

Signora Sandrini, hieß es, sollte mit in der deutschen Oper beschäftigt werden; sie ist der deutschen Sprache vollkommen mächtig, und würde in diesem Fache zu sehr angenehmen Erwartungen berechtiget haben; allein ihre schwankende Gesundheit erlaubt es nicht, die Forderungen an sie zu steigern.

Madame Milderhauptmann, auf die das hiesige kunstliebende Publikum sich schon allgemein freute, wird, wie man sagt, nun nicht herkommen. Sie war früher eingeladen worden, hier in der neu errichteten deutschen Oper, Gastrollen zu geben; indessen fühlte man später wohl, daß die große Künstlerin in dem sich erst bildenden Verei¦ne zu hoch und zu isolirt stehen würde, und sie soll daher ersucht worden seyn, ihr Herkommen noch auf einige Zeit zu verschieben.

Der fast allgemeine Wunsch, für die Vorstellungen des kommenden Sommers das Theater auf dem Linkeschen Bade bestimmt zu sehen, geht nicht in Erfüllung. Man wird im gewöhnlichen Stadttheater bleiben. Es ist nicht zu läugnen, daß die Einrichtung jenes Sommerschauspielhauses, mit einer Ausgabe von wenigstens 1500 Thlr. verknüpft war; allein mit dieser Summe wäre auf lange Zeit hinaus, die Gewißheit erkauft worden, für die Theater-Kasse sehr glücklich spekulirt zu haben. Auf dem Bade könnte in den Monaten Mai, Juni, Juli und August, wöchentlich fünfmal, gewiß mit immer vollem Hause gespielt werden; im Stadttheater wöchentlich kaum zweimal. Es wird sich wahrscheinlich bestimmt erweisen, daß in gedachten vier Monaten, jetzt, da in der Stadt gespielt werden soll, die Ausgabe der Theaterkasse, die Einnahme derselben, um ein Beträchtliches übersteige. Man rechnet sehr auf den Besuch der Fremden, der Durchreisenden, welche die Theaterkasse füllen sollen, wie sie die Kassen der Gastwirthe, Kaufleute und Handwerker der ganzen Residenz füllen; allein der liebe Herrgott hat hier und um uns herum, so viel wunderschöne Theater gebaut, und sie alle mit Orchester, Beleuchtung, und Dekorationen so reich und herrlich ausgestattet, daß sie den Fremden in der Regel hundertmal mehr anziehen, als die Darstellungen in dem engen düstern Hause, die dem Fremden, anderer Orten auch eben so gut, und vielleicht noch besser geboten worden. Ward auf dem Bade gespielt, welches selbst der Mittelpunkt eines der reizendsten Amphitheater in Deutschland ist, so verbanden die Fremden, die mehrentheils bloß um der Gegend willen herkommen, den Genuß der schönen Natur, mit dem der immer minder schönen Natur.

Bis jetzt war die Kapelle, auf die Füllung der Zwischenakte mit passenden kurzen Musikalien noch nicht recht eingerichtet, und trug meist solche alte geschmacklose Sachen vor, daß viele sich fragten, ob das wirklich die gerühmte Kapelle sey; auch machte sie es sich ein wenig zu bequem, und ließ, wann sie ihr kurzes Stück gespielt hatte, die Vorbereitungen auf dem Theater aber noch nicht so weit gediehen waren, um den Vorhang wieder aufzuziehen, eine kekke Pause. Die Intendantur aber, die den auffallenden Mißstand bald bemerkte, hat die nöthigen Abänderungen getroffen, so, daß | wie es anderer Orten auch üblich ist, die Regie dem Orchesterdirektor, die Zeit, welche jeder Zwischenakt ungefähr dauern wird, jedesmal angiebt, und letzterer auf Anschaffung hörbarerer Musikalien Bedacht nehmen wird.

Eben so erfreulich ist die Aufmerksamkeit, welche von jetzt an, auf die Statistenpartie genommen werden soll. Sehr oft und noch neulich im Egmont, ereignete sich der Fall, daß diese Helfershelfer, welche nicht gehörig eingeübt sind, und von dem, was sie leisten sollen, gar keinen Sinn haben, durch ihre hölzerne Ungeschicklichkeit, durch ihr Queerfeldeinfahren, und durch ihren gewöhnlichen Mangel an Anstand und Gefühl für das Schickliche, die ganze Darstellung in das lächerliche Hinüberziehen, und so die Theilnahme des Publikums, welche der Künstler durch den Aufwand seiner Talente zu erwerben und zu erwärmen wußte, mit einem Bocksstreiche todtschlagen. Da es der mit Arbeit ohnehin überhäuften Regie unmöglich ist, alle solche Details zu leiten, werden aus der Mitte der Schauspieler selbst, Wöchner angestellt werden, welchen die Einübung der Statisten und die Specialaufsicht über dieselben, unter Oberleitung der Regie, wechselweise übertragen werden soll. Hoffentlich wird denn auch der Mißbrauch wegfallen, daß bei der Vorstellung selbst andere Statisten auftreten, als bei den Proben eingeübt worden.

Ein wesentlicher Schritt zur Verbesserung liegt ferner auch in der Einrichtung, daß bei den Leseproben ein Censor, vielleicht gleichfalls aus der Mitte des Schauspiel-Personale, abwechselnd bestellt werden soll, der auf richtige Deklamation und reine Aussprache sehen wird, damit wir nicht, statt Logis, Lurschi, statt ein, en, statt Post, Bust, und dergleichen Dresdeneriaden gemeinen Schlages, zu hören bekommen. Unsere gebildeteren – ich sage absichtlich nicht, unsere höhern, Stände sprechen ein recht gutes, ungemein wohlklingendes Deutsch Der Schauspieler soll ja zu den gebildeteren gehören, er soll ja selbst bilden. Ein Schauspieler aber, der ein so gar gemeines Deutsch in den Kreis seines gebildeten Pa[r]terre hineinspricht, kömmt mir immer vor, wie eine höchst elegant geputzte Dame, die mit einem Loche im schmutzigen Strumpfe, in eine glänzende Gesellschaft tritt.

Gestern (20 Februar) ward Pflicht um Pflicht von Wolf zum erstenmale gegeben. ¦ Herr Julius als Herrmann, leistete in der langen und schweren Erzählung „Wohlan; weit überm Meer, im grauen Norden liegt“ &c. Großes, Meisterhaftes. Er hob mit weiser Eintheilung, seine Kraft bis dahin auf, und stieg nun fort und fort, und riß zum Schauder, zum Entsetzen hin. Noch tönt das Metall seiner Stimme bei der ergreifenden Stelle des Gedichts: in unserm Herzen wieder.

„Zerrissen flattern rings um uns die Seegel,Der Donner brüllt, in Flammen steht der Himmel,Die Wolken bersten, Ströme prasseln wieder, –In dieser Raserei der ElementeUmklammert Rosamunde fester mich,Ein Schrei des Schmerzes dringt aus ihrer Brust,Und schluchzend ruft sie mir: leb wohl auf ewig!“–*

Bis zu dreizehnten Auftritte fesselte das Stück, das Interesse der Zuschauer ungemein Hier wollte nicht gefallen, daß sich Herrmann und Rosamunde, hinter den Kulissen wiederfinden Auch verlor der Wettstreit in dem vierzehnten Auftritt nun die Theilnahme jedes Dritten; denn wir alle wußten jetzt bestimmt, daß weder Achmet noch Hassan, in Zuleimas Besitz bleiben würde, daß beide sich in edeln Aufopferungen eines Gegenstandes einander überboten, der keinem von ihnen beiden mehr gehörte, und überhaupt erhielt der Türken Selbstverläugnung nicht das vom Dichter vielleicht beabsichtigte Gewicht, denn Sinnenlust ist keine Liebe, und sobald sie Tomans hatten, konnten sie auch wieder eine Zuleima bekommen: also war das Aufgeben, oder der Verlust einer solchen künstlichen Schönheit weiter keine edle That, kein Unglück zu nennen. Pflicht um Pflicht? – auf deutschen Bühnen wüßten wir wohl andere dem deutschen Gemüthe zusagendere Forderungen der Pflicht an die Pflicht, in die Darstellung zu verflechten.

Das Verhältniß des christlichen Paares zu den mohamedanischen Glaubensgenossen, und leider zu dem Juden, konnte, – wir erwarteten es – ganz herrliche Situationen herbeiführen; wir mußten sie bis zum Schlusse vermissen, und konnten uns nur an der schönen melodischen Sprache ergötzen, die dem Stücke einen bleibenden Werth giebt.

Mad. Schirmer ergänzte durch ihr vortreffliches stummes Spiel, die Lücke, die der Dichter | absichtlich gelassen zu haben scheint; die größere Hälfte des Stücks über spricht Zuleima kein Wort; endlich allein, erzählt sie in 30 – 40 Versen, ihre Geschichte, die wir schon wissen, und stürzt dann der nahen See zu, wo sie – leider von uns nicht gesehen, – den Gatten findet. Ihr Kostüm war sehr geschmackvoll; desto entgegengesetzter erschienen die Anzüge, in denen Achmet und Hassan (Hr. Kanow und Hr. Wilhelmi) auftraten.

Im darauf folgenden Schauspiel Tony, gab Dem. Lindner vom Kasseler Hoftheater, als Tony, ihre erste Gastrolle. Ihr rasches, lebendiges Spiel gefiel; ihre Stimme aber hat etwas scharfes, und ihre Kraft reichte nicht immer so weit aus, als ihr guter Wille; Zuweilen auch ging die junge Künstlerin aus sich selbst heraus, und dann ward sie unzart, unweiblich.

An dem See, wo das französische Häuflein genächtiget hatte, mußte ein böser Wind geweht haben; denn er hatte dem Obersten Strömly seine Rolle so total weggeblasen, daß der Mann sie lediglich nach dem Souffleur spielen mußte. Die Statisten, die auf dem Theater gelagert waren, ¦ hatten die alte Regel, dem Zuschauer die Sohlen nicht zu zeigen, auch vergessen; und der Requisitenmeister hatte einen so alten schlechten Donnerwagen losgelassen, daß uns die Versicherung, bald von der Anschaffung einer zweckmäßigeren Donnermaschine zu hören, recht erfreulich war.

Von den mit C bezeichneten Beurtheilungen der italienischen Oper in der Abendzeitung, lassen Sie sich ja nicht irre führen. Die darin befindlichen Lobeserhebungen, welche von einer sehr talentvollen Person herrühren, die zuviel praktische Kenntnisse im Fache der Musik und Malerei besitzt, als solche Sänger und Sängerinnen (Signora, Sandrini und Biedenfeldt, und dem Signor Beninkasa ausgenommen) und solche vertragene geschmacklose Kostüms im Ernste loben zu können, sind nichts als bitterer Spott. – Künstlers Erdenwallen ist in gedachter Zeitschrift, von Böttiger hart mitgenommen; der alte Freimüthige lobt das Stück. Wer hat nun recht?

Editorial

Summary

Bericht über die Theatersituation in Dresden mit Vorausschau auf den Sommer 1817 mit Bemerkungen zu Organisation, Personal u. a.

Creation

Responsibilities

Übertragung
Deborah Hafenstein; Frank Ziegler; Joachim Veit

Tradition

  • Text Source: Dramaturgisches Wochenblatt in nächster Beziehung auf die königlichen Schauspiele zu Berlin, vol. 2, issue 40 (5. April 1817), pp. 318–320

Text Constitution

  • “dem”sic!

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