Karl Seidel: “Der Brautkampf”, Novelle, Abdruck in der Abend-Zeitung 1819 (Teil 2 von 4)

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Der Brautkampf.

(Fortsetzung.)

Nach Verlauf einer Viertelstunde öffneten sich die Pforten eines schönen Palastes; Don Gaston stieg vom Pferde und wurde sofort in einen geräumigen Salon geführt. Voll gespannter Erwartung der kommenden Ereignisse war er hier einige Male auf- und nieder gegangen, als ein schöner junger Mann herein trat und ihn mit folgenden Worten anredete: „Verzeihet, edler Don Pinto de Fonseca, daß ich, von den Umständen gezwungen, Euch durch eine List hierher gelockt habe. Ihr seid nicht, wie Ihr zu glauben scheint, bei dem alten Don Pantaleon, sondern im Hause des Gomez Freires, den Ihr hier vor Euch seht.“ – Der Hintergangene griff jetzt mit drohender Geberde nach seinem Degen; Don Gomez aber bat freundlich, ihm erst Gehör zu schenken, und fuhr dann ungefähr also fort: „Donna Clarissa ist nach einer wunderlichen Grille* des Vaters Eure Braut; durch die zartesten Bande der Liebe aber ist sie mir vereint. Ich bitte, ich beschwöre Euch, fröhnt nicht den eigensinnigen Lau¦nen des Alten, und tretet von dieser unnatürlichen, Euch fremden Verbindung zurück. Eurem Herzen kann dieser Schritt kein Opfer kosten, und jeden anderen Verlust decke ich, an Glücksgütern reichlich gesegnet, freudig mit der schonenden Hand der Freundschaft. Ja, Don Pinto, werdet mein Freund, mein Retter, und, wenn meine Schwester Laura meine Wünsche theilt, vielleicht noch mehr! – Sollte Euch aber alles dieses nicht bewegen, so seht in mir Euren Todfeind; dann, hier schlug er an den Degen: führt der Weg zu Clarissen nur über meine Leiche.“ – „Der drohende Schluß Eurer Rede – entgegnete gelassen der vermeinte Don Pinto – verlangt vor jeder anderen Antwort, daß ich Euch zuvor eine Probe meiner Fechtkunst ablege; ziehet also, und laßt uns ohne Feindschaft einen Gang mit einander thun.“ – Don Gomez konnte gegen dieses Gebot der Ehre nichts einwenden, und so begann denn ein kurzes Gefecht, in welchem sich Beide als Meister ihrer Kunst bewährten. – „Ihr seht jetzt, sprach Don Gaston darauf, daß ich den Kampf um Clarissens Besitz nicht zu fürchten brauche; doch stehe ich, Eure natürlichen Rechte ehrend, willig zurück, und bin sogar erbötig, Euch in dieser Angelegenheit nach besten Kräften beizustehen.“ –

Welche Wirkung diese Rede auf den edlen Don Gomez hatte, kann man sich leicht denken. – Nachdem die ersten Freundschaftversicherungen vorüber waren, nahm Don Gaston wieder das Wort, und sprach: „Nicht sowohl Clarissens Besitz, als der Wunsch, für ihr bedrohetes Glück zu wirken, hat mich nach Sevilla geführt. Zur rechten Zeit werde ich Euch das Dunkel dieser Rede aufhellen; jetzt sagt mir nur, ob Don Pantaleon Eure Person genau kennt.“ Nachdem Don Gomez dieses verneint hatte, fuhr jener fort, indem er diesem den entwendeten Brief darreichte: „Nun so seid Ihr denn von jetzt an Don Pinto de Fonseca, und eilet als solcher am morgenden Carlstage in die Arme Eures harrenden Schwiegervaters und Eurer geliebten Braut.“

Don Gaston konnte unter diesen Umständen gar nichts gescheuteres thun, als seine entlehnte Rolle weiter übertragen. – Zwar liebte Don Gomez die krummen Wege nicht; doch sah er ein, daß diese List bei dem eigensinnigen Alten am leichtesten und sichersten zum Zweck führte. Die lockende Aussicht, der Geliebten auf einmal so ungestört zu nahen, wirkte ebenfalls nicht wenig, und so willigte er | denn in den Vorschlag. Nur die Bitte fügte er noch hinzu, daß Don Gaston unter dem Namen eines Jugendfreundes aus Badajoz ihn begleiten möchte, um geschickt auszuhelfen bei der Erzählung gewisser Familiennachrichten, welche Don Pantaleon wahrscheinlich zu wissen begehren würde. – Don Gaston freute sich im Stillen, daß sein Abenteuer eine so interessante Wendung genommen hatte. Er sah schon im Geiste so manche komische Scene der kommenden Tage vorher, deßhalb willigte er in das Verlangen seines neuen Freundes und gab, drollig genug, seinen rechten Namen für einen entlehnten, indem er bat, ihn fortan Don Gaston Viratos zu nennen.

Endlich war der für diese Geschichte so bedeutsame Carlstag herangekommen. Den ganzen Morgen hindurch mußte Don Gaston den allerneuesten Don Pinto belehren über die Familienverhältnisse des Fonseca, von denen er selbst beinahe nicht eine Sylbe wußte. Nachdem nun sein eifriger Zuhörer genugsam darüber unterrichtet zu seyn glaubte, warfen sich die Herren in anständige Reisekleider, und zogen darauf mit sehr verschiedenen Empfindungen zum bräutlichen Palast.

Da kein Entschuldigungschreiben von Badajoz eingelaufen war, so mußte Don Pantaleon natürlich die theuren Gäste am bestimmten Tage erwarten; deßhalb befand sich bei ihm schon von früh an alles in prunkender Gala. Die Dienerschaft war in nagelneuen Staatskleidern, Don Pantaleon Roiz de Pachecco selbst hatte seinen starken untersetzten Körper in Sammet und Goldstoff gehüllt; sogar Clarissa erschien im Festschmuck. Ein lichtweißes Gewand umfloß ätherisch den zarten Gliederbau, und eine aufblühende Rose zierte einfach die dunklen Locken. Don Gomez hatte ihr nämlich auf bekanntem Wege von den Vorgängen des gestrigen Tages Nachricht ertheilt, theils um sie von ihrer tödtlichen Angst zu befreien, theils um dieselbe auf die eben beginnende Comödie vorzubereiten.

Kaum hatten die beiden Herren den alten Palast betreten, so geschah gleich eine lustige Verwechselung. Don Gaston war nämlich dem zögernden Bräutigam auf der Treppe vorangeschritten, und empfing so von dem freudigen Don Pantaleon die erste Umarmung. In schuldiger Erwiederung schlang der erste seine Arme so fest um den kleinen wohlbeleibten Herrn, daß dieser vernehmbar zu stöhnen begann. Einige Secunden hielt er ihn auf diese ¦ Weise, bevor er sich als befreundeteer Begleiter des Brautritters zu erkennen gab, und nun erst sank Pinto der dritte an die Brust seines entzückten Schwiegervaters. – Kaum war man eingetreten, so führte Don Pantaleon seinen erkohrnen Sohn der freudezitternden Clarissa entgegen und legte sprachlos ihre bebenden Hände in einander. Gewaltsam mußten in dieser wichtigen Minute die Liebenden kämpfen, sich durch den Sturm ihrer Gefühle nicht zu verrathen. – Nachdem die ersten Momente des Entzückens vorüber waren, nahm Don Gomez Freires das Wort und sagte: „Wirklich also, edler Don Pantaleon, gehört die holde Clarissa von diesem seligen Augenblick nur mir, den ihr hier vor Euch seht? Kein Anderer, wer es auch seyn möge, hat mehr ein Recht auf sie?“ – Don Pantaleon Roiz de Pachecco erwiederte darauf, indem er das Gesicht in ernste Falten zog: „Es findet sich nirgend verzeichnet, daß ein Pacchecco seinen einmal ertheilten Segen zurückgenommen hätte; genießet also Eures Glückes sonder Zweifel und Furcht.“

(Die Fortsetzung folgt.)

Editorial

Summary

Abdruck des zweiten Teils der Novelle “Der Brautkampf” von Karl Seidel, die als Vorlage für das Libretto von Karl Theodor Winkler zu Webers Oper “Die Drei Pintos” dient.

Creation

Responsibilities

Übertragung
Fukerider, Andreas

Tradition

  • Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 300 (16. Dezember 1819), f 1v–2r

    Commentary

    • “… ist nach einer wunderlichen Grille”bedeutet seltsamer, schrulliger Einfall.

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