Plastisch-mimische Darstellung von Herrn Flor in Dresden, Dezember 1817

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Korrespondenz und Notizen.

Aus Dresden, im Januar.

Noch kurz vor Beschluß der vorweihnachtlichen theatralischen Darstellungen gab Hr. Flor, ein hier studirender junger Maler, plastisch-mimische Darstellungen auf unserer Bühne. Dieser Art von lebendigen Gemälden wird man kaum bei richtiger Fassung des Begriffes eines Kunstwerkes, die dazu erforderlichen Eigenschaften absprechen können. Kunstwerk nämlich – und dadurch allein unterscheidet sich das ästhetische von dem mechanischen Kunstwerke – ist jede menschliche Schöpfung, welche die Bedingung des Schönen, Wahren und Guten absolut in sich enthält, so daß das Werk nicht erst durch seine Anwendung eine dieser Eigenschaften, oder alle drei | zugleich erhalte. Die längere oder kürzere Dauer des durch ein Kunstwerk erhaltenen Eindrucks kann dabei höchstens seinen relativen, keineswegs aber den absoluten Werth erhöhen oder vermindern. Die plastisch-mimischen Darstellungen sind Schöpfungen der plastischen wie der zeichnenden Kunst zugleich, und machen den ersten Schritt zur Annäherung dieser beiden zu der Schauspielkunst. Daß diesen Darstellungen keine idealen, sondern nur die in der Realität vorkommenden Gestalten als Mittel zu Gebote stehen, haben sie mit jener Kunst und mit der menschlichen Beschränktheit überhaupt gemein, die aus dem Geiste selbst nur höchst selten wahrhaft ideale Formen hervortreten läßt. – Dies, um den Standpunkt ähnlicher Kunstleistungen festzusetzen! – Die Eintheilung, die Hr. Flor seinen plastisch-mimischen Bildern in solche des hohen und des griechischen Styls gegeben hatte, schien philosophisch und ästhetisch unrichtig; so wenig nämlich diese beiden Rubriken an und für sich einen charakteristischen Unterschied angeben, eben so wenig ist es abzusehen, warum ein Amazonenkampf mit mehrerem Rechte dem höheren Style angehören solle, als ein Raub der Cassandra, oder ein Ajax mit dem Leichname des Patroklus. Doch! in verbis simus faciles: wenn auch des Künstlers Eintheilungsrubriken wenig logischen Werth und Bestimmtheit hatten, so waren seine Darstellungen doch keineswegs ohne Verdienst. – Von den drei Bildern des Amazonenkampfes waren die beiden letztern noch etwas eckig, und das dritte namentlich nicht frei genug gruppirt. – Unter den allegorischen Gemälden zeichnete sich ganz vorzüglich das aus, welches den vom Glauben, der Zeit und der Hoffnung unterstützten gesunkenen Mann (beiläufig eine contradictio in adjecto) vorstellte. Gruppirung, so wie Farbenhaltung und Zusammenstellung war trefflich, und erhob dieses Bild zu dem besten des diesmaligen Cyclus. – Fast ganz unverständlich und ausdruckslos blieben die beiden Bilder: der Triumph der Helena über den Zorn des Menelaus, und Koriolan, von seiner Mutter bewogen, von Rom abzuziehen (unmöglich, wie die Ankündigung besagte, nach Rom zurückzukehren). Ueberhaupt ist es eine gar mißliche Sache um historische, so wie um allegorische Gemälde, daß ihnen gewöhnlich zugemuthet wird, mehr auszudrücken, als sie vermögen. Die Kunst will absoluten Ausdruck, der historische ist nur relativ. Der Abschied Hektors, der den Leichnam des Patroklus beweinende Achilles sind Scenen, die sich absolut aussprechen, und denen durch den historischen Bezug nur vielleicht in wissenschaftlicher Rücksicht einiges Interesse mehr ertheilt wird. Hektor zieht zum Kampfe und verläßt die weinende Gattin, Achilles trauert bei dem Leichname seines Freundes, das ist sichtbar. Zugleich mit den geschilderten Empfindungen und Gefühlen ist hier auch die Ursache derselben dargestellt: was aber ist die Ursache jenes Zorns des Menelaus, über den Helena triumphirt; was sind die Gründe, um deren Willen Koriolans Mutter den Sohn von den Thoren Roms abzuziehen bittet? Wäre auch der Ausdruck des Gefühls in einem solchen Bilde getroffen, so theilten wir dieses Gefühl doch nicht, weil wir durch das Bild selbst nicht in Bekanntschaft desselben gesetzt werden. Eben dies gilt auch von der Allegorie. Das erste Alterthum, wo die Kunst dem Leben noch näher angehörte, kannte nur mythische, keine allegorische Personen, und gab ihren Göttern, Halbgöttern und Heroen selbst in der Bildung, in der Stellung und in allen Details, wie z. B. des Haarwuchses, einen bestimmten; bezeichnenden und streng zu beobachtenden Charakter. Die neuere Welt hingegen hat die in späteren Zeiten den mythischen Gottheiten beigegebenen Attribute bei den Schaaren ihrer Heiligen nachgeahmt. Im Gefühle einer nothwendig bestimmten Bezeichnung, hat sie zu Beiwerken ihre Zuflucht genommen, und gibt der heiligen Cäcilia die Lilie und die Orgelflöte, oder fesselt den heiligen Sebastian mit ewig blutenden Wunden an den Baumstamm, oder bezeichnet wohl gar die heilige Maria so wie den roman¦tischen Werther durch die Färbung ihrer Kleider. – Die beiden vorbenannten plastischen Bilder Hrn. Flor’s gehörten nun zu jenen unbefriedigenden historischen Gemälden. – Im zweiten Theile gab der Künstler zwei pantomimische Scenen: Pygmalion und Galatea, und dann das Erwachen des Orest. Die Pantomime steht der Schauspielkunst schon um einen bedeutenden Schritt näher, als die vorhin beurtheilten Darstellungen, und muß also ganz anders betrachtet werden. Hier tritt Leben ein, während dort nur ein erstarrter Moment aufgefaßt wurde. Die Scene von Pygmalion und Galatea sprach wenig. Hrn. Flor’s Pantomime war zu allgemein und unbestimmt. Mad. Schirmer, die jungfräuliche, deutsche Hausfrau, eignet sich zu nichts weniger als die ideale griechische Gestalt darzustellen, die eines Pygmalion’s Meißel das Leben verdankt. Die hohe Röthe ihrer Wangen, verbunden mit der röthlichen Färbung ihres Gewandes, ließ ahnen, daß die holde Galatea schon früher und deutloser zur Erkenntniß des Ich und nicht Ich gekommen sey, als sie es durch ihre Pantomime ausdrückte. – Zur Darstellung von Orests Erwachen hatte Hrn. Flor’s Pantomime, welcher das Ebenmaß der Bewegungen keineswegs abging, zu wenig Kraft. – Den Beschluß machte eine Stufenfolge von Gemüthszuständen, Skizzen, denen die Rundung und die Vollendung eigentlicher Kunstwerke abgehen. Die Individualität steigert den Ausdruck der verschiedenen Gemüthszustände so sehr, daß ihre Darstellung selten, und fast nur da, wo sie in Leidenschaft übergehn, allgemein verständlich wird. Da sich außerdem die physische Bildung jedes Einzelnen immer nur dem Ausdrucke einiger derselben willig bietet, so können nothwendig die übrigen nur karikirt vorgestellt werden. Hrn. Flor’s Bemühungen blieben demnach auch in diesem Theile lobenswerth, und zeigten, daß er seinen Gegenstand wohl durchdacht habe. Fast möchten wir doch vorziehen, auch diese Skizzen lieber einzeln als Bilder, als mit sichtbaren Uebergängen anzuschauen. – – Die Beleuchtung des zu diesen Darstellungen eingerichteten Raumes schien noch nicht die möglichst zweckmäßige Vollendung erreicht zu haben, und war insbesondere an der Pantomime von Pygmalion und Galatea sichtbar mangelhaft: das Licht nämlich ging theils nicht vom rechten Punkte aus, und wirkte andern Theils auch zu expansiv, so daß die Erleuchtung sich nicht hinlänglich koncentrirte. – – Der Hrn. Flor laut gezollte Beifall wird ihm hoffentlich zur billigen Aufmunterung dienen, auf dem begonnenen Wege fortzuschreiten.

[…]

K.

Editorial

Creation

Responsibilities

Übertragung
Jakob, Charlene

Tradition

  • Text Source: Zeitung für die elegante Welt, Jg. 18 (1818), Nr. 22, col. 174–175

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