Aufführungsbesprechung Wien: “Euryanthe” von Carl Maria von Weber

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Aus Wien. (Fortsetzung.)

Man kann wohl behaupten, daß seit der ersten Vorstellung der Zelmira* keiner theatralischen Vorstellung mit größerer Erwartung entgegengesehn wurde, als der vorerwähnten Euryanthe.

Wenn auch, wie ein großer Theil meinte, so gespannte Erwartungen für die Sache gefährlich werden können, so ist die Vorliebe, die man für Weber seit dem Freischützen gefaßt hat, von der Art, daß sie sich mit jener Gefahr wieder ausgleicht. Der Empfang beim Erscheinen des Tonsetzers (der die Musik persönlich leitete), die Aufnahme der Ouverture und der Introduktion, des Schlußchors des ersten und zweiten Akts, des Jägerchors, und mehrerer anderer Musikstücke, so wie das dreimalige Vorrufen des Compositeurs, bewiesen das deutlich genug. Im Ganzen sprach die Oper aber viel weniger an, als der Freischütz. Es ist weder für die Zeitschrift, noch für einen theatralischen Bericht überhaupt, passend, durch gründliche musikalische Zergliederung die Frage zu entscheiden, ob dieser geringere Erfolg in der Sache oder in den Zuhörern liege, daher erwähne ich nur die Gründe, welche die Menge angibt. Letztere kann, da sie sonst gezählt wird, auch hier nicht ganz verworfen werden. Ihrem Ausspruch nach entbehre die Musik das wesentliche Erforderniß eines guten Singspiels, Melodie. Weber habe sich bestrebt, durchaus originell zu seyn, allein dieses Bestreben nach Originalität sey zu sichtbar, daraus wäre der Nachtheil entstanden, daß viele Stellen von der Art wären, daß es mit größter Anstrengung nicht möglich sey, den Gedanken des Compositeurs zu folgen und eine klare Ansicht zu erhalten. Opernmusiken sollten nicht blos für die Werth haben, welche den Generalbaß gründlich studirten, sondern auch für jene ungleich größere Zahl, die sich im Opernhaus an dem erfreut, was das Ohr ergetzt. Von dieser Art sey aber doch für drei Stunden, welche die Oper den ersten Abend spielte, zu wenig. (Nach der dritten Vorstellung wurde bedeutend gekürzt.) Zu diesen Ausstellungen gesellte sich das Verdammungsurtheil über das Buch, welches wir jedoch nicht unterschreiben wollenT. Wir glauben auch nicht, daß der Operntext eine so wichtige Rolle spiele, daß er einer übrigens gehaltvollen Musik schaden könne. Sind wir denn an bessere, eigentlicher gesprochen, an Opernbücher von Euryanthens Werth gewohnt? Ich will nicht einmal der italienischen Opernbücher erwähnen, ich bleibe bei den deutschen und den übersetzten (die gewöhnlich die schlechtesten sind, und wobei von einem poetischen Werth durchaus keine Rede ist.) Wenn etwas von dem Gedichte der Euryanthe als nachtheilig für die Musik anzusehen ist, so sind es die langen Recitative, mit deren Vortrag die deutschen Sänger sich ohnehin nicht befreunden können; die wenigsten besitzen die Gabe, die Worte des Gesangs verständlich auszusprechen, geht nun durch Undeutlichkeit des Vortrags im Recitativ auch der übrige Theil des Inhalts verloren, so ist die natürlichste Folge, daß das Ganze für den Zuhörer ein Geheimniß bleibt. Geheimnisse der Art gehören aber nicht zu den erfreulichsten, die Unterhaltung wird nicht erzweckt, und Manchem fällt dabei ein: Tout genre u. s. w. Ob Frau v. Chezy oder Hr. v. Weber diesem Uebelstande hätte abhelfen sollen, wissen wir nicht anzugeben, so viel ist aber gewiß, daß die Recitative der Sache so wenig genützt haben, als die übertriebenen Lobeserhebungen einiger enthusiastischer Beschützer deutscher Musik. Die Letzten sind zum Theil Ursache, daß Euryanthe in der Verdienstesanerkennung unter ¦ ihrem eigentlichen Werth blieb, denn daß in der gegenwärtigen besten Theater-Jahreszeit eine große Oper mit Musik von Weber bei der siebenten Vorstellung (die überdies an einem Sonntage Statt hatte) das Haus nicht füllte, kann bestimmt als ein solches minus der Werthserkennung gerechnet werden, ohne deswegen zu wähnen, daß Rossini’s Musik den guten Geschmack der Wiener verdorben habe. Wäre dieses der Fall, so könnte der große und allgemeine Beifall, mit dem der Freischütz (welcher gleichfals Rossini’s Opern folgte) aufgenommen wurde, für nichts gelten, doch wurde seiner sehr oft erwähnt. (Die Fortsetzung folgt.)

Editorial

Creation

Responsibilities

Übertragung
Bandur, Markus

Tradition

  • Text Source: Zeitung für die elegante Welt, Jg. 23, Nr. 250 (22. Dezember 1823), col. 2007f.

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