Franz Weber an Friedrich Wilhelm Jähns in Berlin
London, Dienstag, 21. Juni 1881
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Haverstock Hill
London am 21. Juni 1881.
Sehr geehrter Herr Professor,
Ihr lieber Brief vom 16ten ds gelangt soeben in meinen Besitz und ich danke Ihnen wieder auf’s herzlichste für Ihre freundlichen Bemühungen in meiner Angelegenheit. Es wird mich sehr freuen Chrysander (den ich längst aus seinem Händel kenne) persönlich hier zu sehen und mich mit ihm zu besprechen, was ja, wie Sie sagen, am leichtesten zu rechter Verständigung führt. Die „Musik Welt“ hat vermuthlich schon ihren festen Londoner Correspondenten; das Blatt ist sehr schön ausgestattet. Hoffentlich haben Ihre Münchener und Wiener Bemühungen den gewünschten Erfolg. Ich weiß daß es in Wien um speziell musikal. Fachblätter nicht zum Besten aussieht, doch könnte mich Herr Pohl vielleicht bei einer der größeren Tages- (oder Wochen) Zeitungen einführen, welche meist auch anständig honoriren. Jedenfalls danke ich Ihnen nochmals aufs allerherzlichste für das thätige Interesse welches Sie mir in dieser Sache erzeigen!
Heute lege ich wieder etwas über Freischütz ein welches sich speziell mit dem in Max von Weber’s Biographie darauf bezüglichen beschäftigt und mir nöthig schien da seine Mittheilungen den Meinigen häufig geradezu widersprechen. Für Alles in meinen „Freischütz“ Notizen Gesagte kann ich verbürgen und nöthigenfalls fernere Beweise und Quellen angeben.
Die Drury Lane Aufführung als die tollste der Tollheiten* zu bezeichnen ist doch ein arger Schnitzer, nicht wahr!?
Wie kam es aber, daß Sie in Ihrem „Verzeichniß“ p 317 die erste Freischütz Produktion in London auf den 3ten Juli verlegen, obschon Max v. Weber das richtige Datum hat; freilich giebt es ja unzählige gedruckte Variationen über den englischen Freischütz welche die Sache in einen wahren Mythus verhüllten! Es wundert mich nur daß sich nicht längst einmal Jemand hier zu Lande und mit hies. Verhältnißen vertraut der Arbeit unterzogen hat die wahre Sachlage an’s Licht zu ziehen. Daß mir dieses wenigstens einigermaßen gelungen ist darf ich wohl hoffen.
Mr Bishop wird uns noch in meinen Notizen über Preciosa begegnen.
„Euryanthe“. Darüber habe ich bis jezt nur spärliche Nachrichten. „Oberon “. Sie haben darüber wohl schon Manches gesammelt? „Freischütz“. Noch schulde ich Ihnen die Ausfüllung der Lücken in meiner Fortsetzung I sowie die Feststellung der Wiederaufnahmen bis 1849 u. womöglich noch einige neueren. Die Zahl aller Aufführungen bis jetzt aufzufinden ist mir unmöglich.
Ich besitze einen recht hübschen Bericht, aus einem kleinen Wochen-Blatte v. 1826, über Weber’s erstes Auftreten in London welcher zwar für Ihr Werk keine Bedeutung hat, falls Sie jedoch gerne davon Einsicht nehmen würden will ich mit Vergnügen Ihnen demnächst eine Uebersetzung davon zukommen lassen.
Inzwischen fahre ich mit meinen Untersuchungen fort und schicke Ihnen bald wieder weiteres Material zur Verarbeitung.
Ihr treulichst Ergebener, dankbarer F. Weber
[Quer zum Text Bl. 1r:] Chrysander’s Brief schicke ich Ihnen in meinem nächsten Briefe zurück.
Der Freischütz in London
(Fortsetzung II)
Nach meinen seitherigen Mittheilungen, welche sich auf quellenhafte Forschung zum Theil mühsamer Art stützen, scheint es mir nöthig oder doch zweckdienlich die über denselben Gegenstand in Max v. Weber’s „Lebensbild“ enthaltenen Angaben kurz ins Auge zu fassen. Dabei will ich vorausschicken daß ich dieses Buch sehr werth schätze und ihm viel und nachhaltige Anregung verdanke.
Es handelt sich für unsere Zwecke hier nur um Seite 660 Bd II. M. M. Von Weber Der Freischütz in London p. 660 Zeile von oben‡
Das Datum der ersten Aufführung so wie das betreffende Theater sind richtig an[ge]geben, doch befand sich dieses letztere nicht in Fleet Street, sondern in the Strand, wie die öffentlichen Anzeigen stets hinzufügten. Der Tenorist Braham hatte allerdings, dem allgemeinen usus folgend, die „Geschmacklosigkeit“ ein Lied einzulegen als Rodolph (nicht Rudolf), doch ist seine Einlage „Now good night“ bei weitem die beste und am wenigsten störende von all’ den eingeschobenen Sachen, und die Thatsache daß er sich um die Einstudirung der Oper, der Chöre u. s. w. sehr verdient gemacht hat, hätte nicht, zugleich mit obiger Rüge, unerwähnt bleiben sollen. Von der „englischen Polacca“ habe ich nichts verspürt, bezweifle auch deren Existenz in dieser Freischütz Vorstellung sehr, da Hawes dafür Sorge trug daß alle Einlagen mindestens auf ein deutsches Original begründet waren. Daß die Stephens nicht schon bei der 2ten sondern erst bei der 21ten Vorst. (am 14 Aug) die Rolle der Agathe übernahm habe ich bereits erwähnt, doch war es nicht sie, sondern Miss Povey welche als Anne (Aennchen) das „War’s vielleicht um eins“ als Duett mit Braham sang (im 2ten Akt) näml. als „Then today drive care away“. Was die Stephens wirklich einlegte, habe ich speziell erwähnt. Dann heißt es weiter „Auch das Duett zwischen Agathe und Max wurde nach einer anderen Composition gesungen.“ Was ist denn das für ein Duett zwischen den Beiden im echten „Freischütz“? Allerdings sangen im Hawes’schen, von Miss Stephens eingeschaltet, Letztere und Braham ein Duett (nach einer recht dürftigen Composition) im 3ten Akt: „O Fortune we hail thee“, doch war dies nicht stellvertretend für ein W’sches Duett, welches in der Oper nicht existirt. In Betreff der Drury Lane Vorstellung finde ich mich im aller entschiedensten Widerspruch mit den hier gemachten Behauptungen. Ob Bishop eine Hand in der „Bearbeitung“ der Oper gehabt hat ist zwar möglich, sogar wahrscheinlich, doch fehlen mir dafür die Beweise. Gewiß ist, daß der Musik-Veteran Mountain (der schon bei Haydn’s Londoner Besuchen in Quartetten und Symphonien tüchtig als erste Violine mitwirkte und später die Leitung der Oper in Coventgarden übernahm) die Musik dirigirte, und schon aus der naiven Anzeige in den Blättern, daß „jede der handelnden Personen die vom Componisten vorgeschriebene Musik singen werde“ bezeugt daß es sich hier zum erstenmale um den eigentlichen „Freischütz“ wenigstens der Musik und dem guten Willen nach gehandelt hat. Dazu kommt bestätigend und erweiternd die (von mir angeführte) Tagespresse, sowie das Harmonicon dessen Berichterstatter den Schlesingerschen Freisch. zur Hand hatte* und im Gegensatz zu den seitherigen (E. O. House u. Coventgarden) Aufführungen, die Drury Lane Vorstellungen als nur Weber’sche Musik bringend und dabei u. A. das ganze letzte Finale, speziell freudig begrüßt. Allerdings waren die Namen der Personen (wie überall) verändert, die Fabel jedoch nur wenig, und nach all den obwaltenden inneren und äußeren Gründen (von mir in meinen seitherigen Notizen ausführlich erwähnt) kann man die Drury Lane Aufführung als die dem W’schen Werke bei Weitem Würdigste nicht anders bezeichnen und die Ungenauigkeit der M. M. v. W’schen Angabe in dieser Richtung nur bedauern. Das Datum der ersten Vorstell. in Drury Lane (10 Nov) ist wieder richtig.
Coventgarden am 14 Oct ist ebenfalls richtig. Die „Nixe“ habe ich nicht entdecken können, gebe sie aber gern preis. Daß man jedoch den Jungfernkranz jemals gesprochen habe (es sei denn daß bei einer speziellen Vorstellung die Mitwirkenden heißer‡ geworden seien!) Das kann ich nicht glauben. Dasselbe gilt von dem Duett der beiden Mädchen. Und wo soll diese Ungeheuerlichkeit stattgefunden haben?
Im Lyceum. Offenbar ist damit eine, von den seither auf p. 660 erwähnten, verschiedenen Bühne[n] welche Freischütz brachten gemeint und als eine spezielle Absurdität derselben erwähnt.
Dies „Lyceum“ hat mich lange Zeit, als ein Mysterium der Londoner Theater von damals beschäftigt und mit mir förmlich Versteckens gespielt. Endlich, nach langem Vermuthen und noch längerem Forschen, finde ich heraus daß es damals ein Gebäude, genannt „Lyceum“, gab welches Mr Arnold gemiethet hatte um daselbst, im Verein mit W. Hawes, Oper in englischer Sprache aufzuführen. So wurde dieses Unternehmen English Opera House, in the Strand, getauft u. in den Blättern unter diesem Namen angezeigt. Nun ist es natürlich daß in die verschiedenen Kritiken, Berichte u. s. w. der damaligen Zeitungen häufig der altgewohnte Name des Gebäudes „Lyceum“ mit einläuft und somit auch ein u. das andere Blatt vom „Lyceum“ als desjenigen Theater’s spricht wo der Freischütz zuerst gegeben wurde; geradeso wie man z. B. in Berlin noch auf Jahre hin vom Friedr. Wilhelmstadt’schen Theater reden würde wenn etwa Herr Meyer oder Schulze dasselbe längst gepachtet und „Deutsches Opernhaus“ getauft hätte. Die Feststellung dieser Thatsache war um so schwerer da es in London schon seit vielen Jahren jedoch erst, glaube ich, seit dem Jahre 1840 oder noch etwas später‡ ein „Lyceum“ Theater giebt, welches mit dem alten desselben Namens, unserem E. O. House, gar nichts zu thun hat. Wie steht es nun um M. M. v. Weber’s Behauptung daß der Jungfernkranz und das Duett im Lyceum gesprochen wurden. Wir wissen daß im Engl. Op. House in the Strand (dem ehemaligen Lyceum) beide Nummern gesungen wurden (wie in meiner Angabe der einzelnen Nummern und deren Besetzung erwähnt) ein anderes Lyceum aber gab es damals nicht u. somit erscheint jene Behauptung als unrichtig.
[Beilage] Fragen an Fr. Weber nach Brief N. 11*
Keine Nachricht von München u. Wien
Max Weber nicht immer zuverlässig. Ich traue nur Ihnen. Werde Max v. W. wegen des Schlechtmachens der Drury Lane=Aufführungen rectificiren.
Irrthum mit dem 3. Juli 1824 als erste Aufführ. Weiß nicht mehr woher ich dies Datum hatte.
Was sind das für Notizen über Preciosa von Bishop?
Auch mir sind bisher über Preciosa [u.] Euryanthe selbst Oberon ziemlich spärliche Nachrichten zugekommen.
Feststellung der Wiederaufnahme des Freisch. 1849 willkommen!
Über W’s Aufnahme habe ich sehr spezielles. Bitte keine Übersetzung.
Über Fortsetzung N. II
Leider habe ich jetzt Max v. W. Buch nicht.
Ein Duett zwischen Agathe u. Max giebts nicht. Habe ich davon gesprochen?
Lyceum also gleich mit „English Opera House in the Strand“ mit der 1. Auff. Des Freisch.,
danke für die schwierige Entwicklung
Wird der Freisch. noch gegeben. Wann wohl zuletzt.
Royal Strand Th. Ist dies gleich mit Theatre Royal English Opera House in the Strand?
The Fleetstreet gab die Travestie des Freisch. Von Globus
27. Juni 81 abgesandt.
Editorial
Summary
schickt ihm weitere Untersuchungen zum Freischütz, diesmal hat er sich mit Korrekturen zu Darstellungen bei Max Maria von Weber beschäftigt
Incipit
“Ihr lieber Brief vom 16ten ds gelangt soeben”
Responsibilities
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Tradition
-
Text Source: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
Shelf mark: Weberiana Cl. X, Nr. 661Physical Description
- 1 DBl. (4 b. S. o. Adr.)
- nebst Beil. 2 Dbl. (4 b. S.) von F. Weber und 1 Bl., 2 b. S. (Blei) von Jähns mit Notizen zur Antwort
- am oberen linken Rand Bl. 1r Briefnumerierung (rote Tinte): No. 11. von Jähns.
Corresponding sources
-
Tv in: Weberiana 18 (2008), S. 121f., 128f., 131f., 134 (Auszüge)
Text Constitution
-
“M. M. Von … Zeile von oben”added above
-
“jedoch erst, glaube … noch etwas später”added above
Commentary
-
“… als die tollste der Tollheiten”Vgl. MMW, Bd. 2, S. 660.
-
“… Freisch . zur Hand hatte”Franz Weber spielt vermutlich auf die Freischütz-Besprechung im Harmonicon, vol. 2, Nr. 21 (September 1824), S. 169–172 an.
-
“heißer”recte “heiser”.