Franz Weber to Friedrich Wilhelm Jähns in Berlin
London, Friday, June 27, 1884
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Ihr sehr werthes Schreiben vom 17ten dss fand ich um 12 Uhr Nachts hier vor, als ich von einer Vorstellung der „Meistersinger“ zurückkehrte, und habe es sozusagen zum Nachtessen, mit vielem Behagen „verzehrt“. Alles was Sie mir darin mittheilen interessirt mich in hohem Grade und ich will Ihnen meinen Dank dafür am besten durch baldige Beantwortung zu erkennen geben. Das soll denn, nach der besten Methode, seriatim, geschehen.
Daß der Schreib-Krampf sich bei Ihnen gewissermaßen in permanenz erklärt hat höre und sehe ich freilich zu meinem großen Bedauren; vielleicht daß die diesjährigen Bäder den schlimmen Gast vertreiben werden; so hoffe ich von ganzem Herzen! Indessen, auch mit Blei geschrieben, wird Ihr Weber-Supplement, gleich wie sein Vorläufer, ein unvertilgbares Denkmal für den geliebten Meister bleiben; schätzbarer und dauernder, in mancher Hinsicht, wie das in 1886 zu errichtende Erz-Standbild zu Eutin!* Was Letzteres betrifft, so hatte ich mit Freuden schon in vorigem Monat von der Sache gehört und sofort einen passus in meiner „Musical Times“ darüber losgelassen, welchen ich hier im Ausschnitt folgen lasse. Das ist jedoch nur ein Vorgeschmack von dem was da kommen soll! Wenn die Sache etwas mehr vorgerückt ist, werde ich einen speziellen Artikel darüber vom Stapel laufen lassen, mit gesperrtem Druck u. s. w. und überhaupt das Meinige (freilich, im besten Fall, mur Geringe) zum Erfolg der Sache thun. Inzwischen werde ich, soweit thunlich, in jeder Nummer einen Paragraphen über die Angelegenheit und deren Fortgang einschmuggeln (wie ich dies wieder in der Juli-Nummer gethan habe) und bitte ich Sie mich darin durch Ihre Mittheilungen zu unterstützen. Henselt’s Beitrag ist freilich höchst generös* (ich möchte den liebenswürdigen Componisten gerne persönlich kennen lernen!) indessen kann ich (vielleicht weil ich jünger bin und so lange in England lebe) dabei Ihrem, dem Herzen des Schreibers soviel Ehre machenden Enthusiasmus über diese Gabe nicht in seiner ganzen Ausdehnung folgen. Henselt ist in einer ausgezeichnet bezahlten Stellung und verdankt unsrem Weber Viel. Daß er seiner Verehrung für den lieben Meister einen so substanziellen Ausdruck gegeben hat, ist schön und seiner würdig; sollte jedoch in diesem Fall nach dem russischen Geld-Maßstab angerechnet werden. Bedenken Sie doch, lieber Herr Professor, daß in der jetzt noch offen liegenden Subscriptions Liste für das Ehrengeschenk, welches Benedict überreicht werden soll (50jähr. Londoner Jubilaeum) Beträge von M 1000 und sogar M 2000 mehrfach vorkommen, und zwar zum Theil von Seiten deutscher Privat-Leute, und daß der Gesammtbetrag schon jetzt M 30.000 übersteigt! Der Nenn-Werth des Geldes, in manchen Lebensstellungen, ist eben nicht mehr derselbe wie früher, und im Großen und Ganzen sind wir, das heißt Solche bei denen „pecunia fließet“, für dergleichen Zwecke freigebiger geworden – wie es auch wohl jener Verfasser des eben citirten Liedes „Ungeheure Heiterkeit“* u. s. f. gewesen wäre – wenn er’s gekonnt hätte! Die „Geschichte mit den 10.000 fcs von Paganini an Berlioz“ habe ich – im Widerspruch diesmal (und wohl zum Erstenmal!) mit Ihnen, nie bezweifelt*. Nennen Sie mir irgendeine leichtlebige, generöse Künstler-Natur der Gegenwart, mit entsprechenden kolossalen Einkünften, und ich glaube an eine Wiederholung von Seiten Ihres Genannten eines ähnlichen Aktes der Generosität.
Der mir übersandte Ausschnitt aus dem „Fremdenblatt“* hat mich allerdings belustigt und zwar um so mehr als ich selbst, als kritisch angelegter Zuhörer, eigentlich fast Nichts gegen den Wortlaut jener Nachricht einwenden könnte; nur die schlaue Art, in welcher Abrisse der maßgebenden Londoner critique angebracht worden sind, um ein günstiges Ganzes für Frau Biro zu Stande zu bringen, ist geradezu herausfordernd – doch, habeant sibi! Die echte Kunst geht deshalb doch ihren Weg. Ich will nur hinzufügen, daß meine Ihnen mitgetheilte Beurtheilung über jene „Freischütz“ Aufführung vollständig von den besten hiesigen Blättern bestätigt worden ist.
Nicht wahr, mein Freischütz Zettel hat Sie animirt?* Ich hatte mich ordentlich darauf gefreut! Natürlich finden dergleichen Auseinandersetzungen pro bono publico heutzutage nicht mehr statt. Es ist ein Bild jener Zeit, und kultur-historisch höchst interessant. –
Eine Idee zum Schluß. Eine Idee, sofern sie originell, ist immer etwas werth! Nun denn, wie wäre es wenn wir die Verabredung träfen uns „nächstes Jahr übers Jahr“, bei Gelegenheit der Enthüllung des Weber Standbildes einander zu begegnen in persona? Welch eine Freude würde das sein für mich; im Anblick, noch dazu, der Erfüllung unsrer beiderseitigen Wünsche und Bestrebungen! Denn, obschon nur ein Schüler von F. W. Jähns, bin ich doch vermuthlich der beste Weber-Kenner Hier in England, und werde diese Kenntniße im Sinne des Meisters und seiner Werke zu verwerthen suchen so lange ich lebe. Also, topp, schlagen Sie ein!? Theilen Sie mir Ihren Sommer-Aufenthalt mit, dann will ich Ihnen „zur Kur“ die erbetene „Censur“ Ihrer Musikwerke zutheil werden lassen!
Ihr ganz ergebener F. Weber
Editorial
Summary
relativiert die generöse Spende Adolf Henselts für das Eutiner Weber-Denkmal und vergleicht sie mit Paganinis 10.000 frcs-Spende für Berlioz. Auch für das 50-jährige Jubiläum von Benedict sind leicht über 30.000 M zusammengekommen, er meint, dass bei reichen Leuten das Geld auch leichter fließt. Legt einen Ausschnitt aus der Musical Times vom Juni 1884 bei, in dem er auf die Denkmal-Aktion in Eutin für 1886 hinweist und ist auch bereit, den Fortgang der Sache immer wieder zu kommentieren. Schlägt vor, dass sie sich bei der Enthüllungsfeier zum Denkmal in Eutin persönlich kennenlernen sollten
Incipit
“Ihr sehr werthes Schreiben vom 17ten dss fand ich”
Responsibilities
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Tradition
-
Text Source: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
Shelf mark: Weberiana Cl. X, Nr. 669Physical Description
- 1 DBl., 1 Bl. (6 b. S. o. Adr.)
- nebst Ausschnitt aus Musical Times, Juni 1884
- Am linken oberen Rand Bl. 1r Briefnumerierung (Rötel) von Jähns: “19.”
Corresponding sources
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Tv in: Weberiana 18 (2008), S. 124, 144 (Auszüge)
Commentary
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“… Beitrag ist freilich höchst generös”Adolph Henselt hatte für das zu errichtende Denkmal 1000 Mark gespendet; vgl. die Briefe von Franz Bader vom 20. Juni 1884 und von F. W. Jähns an Moritz Fürstenau vom 24. Mai 1885.
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“… eben citirten Liedes Ungeheure Heiterkeit”Bezogen auf das Studentenlied „Ungeheure Heiterkeit ist meine Lebensregel“ aus dem Schwank Der reisende Student von Louis Schneider (unterlegt der Melodie des Liedes „C’est le galop qui fait le bonheur de ma vie“ von Amédée de Beauplan) mit der Zeile „Zahl erst, wenn auf’s Neu’ Pecunia bei mir fließet“.
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“… Erstenmal!) mit Ihnen, nie bezweifelt”Paganini zahlte Berlioz nach einer Aufführung des Harold en Italie am 18. Dezember 1838 20.000 Francs.
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“… übersandte Ausschnitt aus dem Fremdenblatt”Berliner Fremdenblatt, Jg. 25, Nr. 139 (17. Juni 1884), 3. Blatt, S. 2; darin übernommen eine Passage aus einer Kritik der Zeitung Royal Standard Theatre mit einem sehr günstigen Urteil über Marie Biro de Marion als Agathe; vgl. dazu auch den Brief vom 9. Juni 1884.