Aufführungsbesprechung Danzig, Theater: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber am 31. März sowie 1. und 2. April 1822

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Sonntag, den 31. März, Montag, den 1sten und Dienstag, den 2. April. Der Freischütz, Oper in 3 Aufzügen, von Fr. Kind, Musik von Carl Maria v. Weber.

Diese Oper die bereits auf den bedeutendsten Bühnen Deutschlands in sehr kurzer Zeit großes Glück gemacht hat, sollte auch uns herrlichen Genuß gewähren, und es verdient die redliche Bemühung der Direktion gerechtes Lob, wenn man sich auch nach den ersten Vorstellungen nicht verhehlen konnte, daß die Aufführung dieses Werks, auf eine des Dichters und Componisten würdige Weise die Kräfte unserer Bühne übersteige. Ref., mit Vergnügen erkennend, wie viel genußreiche Abende im verflossenen Winter durch die höchst gelungene Darstellung mehrerer Lust-, Schau- und Trauerspiele ihm geworden, muß dennoch gestehn, daß unser Opernpersonal, so treffliche Künstler es auch in Hinsicht des Gesanges zählt, dennoch solcher Sänger gänzlich entbehrt, die mit dem Gesange auch ein würdiges, durchdachtes und besonders in die Handlung rasch eingreifendes Spiel verbinden. Wenn er sich hiervon durch alle Vorstellungen denen er bei wohnte genugsam überzeugt hat, so glaubt er schon damit bewiesen zu haben, daß die gelungene Aufführung des Freischützen, bei uns eine unlösbare Aufgabe sey, und muß dieserhalb den Mangel an Theilnahme entschuldigen, der die Darstellung im Allgemeinen begleitete, und der noch durch besondere Umstände herbeigeführt ward. Dennoch hat ihm die dritte Vorstellung im Vergleiche mit beiden frühern (er wohnte Allen bei) die freudige Gewißheit gegeben, daß die redliche Bemühung Aller bei jeder Wiederholung mit glücklicherem Erfolge gekrönt ward, und er sieht demnach den nächstfolgenden mit immer größerer Erwartung entgegen, indem er durchaus nicht mehr zweifelt, daß unser Publikum durch das Mißlingen der ersten Darstellung zwar abgeschreckt, dennoch durch das Gelingen auf’s Neue gelockt, sich zu so herrlichen Kunstgenusse recht zahlreich versammlen werde, weil es selbst am ersten Tage einzelne gelungene Parthien mit lautem Beifall begleitete. –

Der Stoff eine böhmische Sage in jener Gegend im Munde Aller und von Allen geglaubt ist von dem wackern Kind nach Apels trefflicher Erzählung mit einer des Dichters würdigen Freiheit dramatisch behandelt. Wie sehr sich der Gegenstand zu einer romantischen Oper eigne, wird keinem aufmerksamen Leser entgangen seyn, aber Kind that mehr, er arbeitete sie nicht allein, der Sage treu, zu einer Oper um, sondern er leistete den Forderungen selbst des höhern Publikums Genüge, und änderte den tragischen Ausgang in einen beruhigenden, wozu ihm der Eremit, von ihm erdichtet, die beste Gelegenheit bot. Und wer möchte mit ihm darüber rechten, selbst wenn man sich nicht verhehlen darf, daß einige Andeutungen im Stücke, z. B. die Wunde Agathens, und der Totenkranz auf einen tragischen Ausgang hinzuweisen scheinen. Er hat es wohl gefühlt, daß ein solcher tragischer Ausgang in der Oper, die in Hinsicht des dichterischen Werths im Allgemeinen noch immer auf sehr niederer Stufe in unserer Zeit steht, ein zu großer Sprung seyn, und den Zuschauern zu fremdartig erscheinen würde. Ueberdem geht die Handlung so ganz ohne Unterbrechung weiter und nichts bietet sich dar, was in den innern Zusammenhang störend eingriffe, daß man den Dichter dieser Aenderung wegen, nur um so mehr loben muß.

Aber besonders erfreulich war es Ref. einmal eine Oper zu sehen, in der selbst abgesehen von der Musik, eine lobenswerthe Anordnung, ein das Ganze leitender Plan, dichterische Ausführung und besonders richtige und genau gehaltene Characterzeichnung der einzelnen Personen in so hohem Grade statt findet, daß er glaube, sie würde auch bedeutendes Glück als Drama machen, selbst wenn der geniale Tonsetzer nicht in sie den ganzen Reichthum seiner schöpferischen Phantasie niedergelegt hätte. Freilich läßt sich’s nicht läugnen, daß Weber die einzelnen, wiewohl scharfen Umrisse der Chracterzeichnung tief auffassend, sie durch die Musik noch besonders zu heben, und dadurch den Reiz des Ganzen um Vieles zu erhöhen gewußt.

Wie schön stehen die beiden weiblichen Charactere Agathe und Aennchen neben einander. Jede für sich rein abgeschlossen, und einen höchst glücklichen Contrast bildend, machen sie innig mit einanderverbunden die Licht- und Schattenseite zu einem Bilde, aus. Die sanfte, weiblich zarte, jedoch sehr schwermüthige Agathe, die mit kindlicher Ergebung dem Lenker der Welt, ihr gan|zes Schicksal anheim stellt, selbst da, wo ungünstige Zeichen ihr Herz durch die Ahndung eines frühen Todes, noch vor der Vermählung bewegen, würde, wie wohlthätig sie auch die Seele der Zuschauer ergreift, dennoch ermüden, stände nicht ihr zur Seite das heitere, lebensfrohe Aennchen, munter, frei von Sorgen, mit wahrer Liebe um die Freundin besorgt, doch immer bemüht ihre trübe Stimmung durch drollige Heiterkeit und selbst muthwilligen Frohsinn zu verscheuchen. Wahrlich ein tiefer Blick des Dichters in das Wesen des Drama’s und seines Effekts, der ihn diese beiden Charaktere so neben einander stellen ließ! Und findet nicht ein gleiches zwischen Max und Caspar statt? Beide Jägerpurschen, rüstig und kräftig, aber der eine fromm, unschuldig, sehnsüchtig und durch das häufige Mißlingen seiner Schüße seit kurzem in ängstlicher Besorgniß wegen des nahen Probeschußes. Der andere rauh, woll zügelloser Kraft, wild und gottlos; bekannt mit den Künsten der Hölle, und bemüht, der Unterwelt seinen reinen Kameraden anstatt seiner zum Opfer zu weihen, aus Rache, weil Agathe jenem vor ihm den Vorzug gegeben. Man glaubt die Hölle rede aus ihm, wenn er mit teuflischer Ironie, und einem herzzerschneidenden, satanischen Frohsinn im ersten Akte das Trinklied singt: „Hier im irdischen Jammerthal“ u. s. w. Es ist dieser Caspar eine höchst glückliche Schöpfung des Dichters, die bis jetzt einzig in ihrer Art dasteht, und wie viel der wackere Componist dazu beigetragen, sie in das wahre Licht zu stellen, wird Jedem besonders einleuchten, der das Stück eher gelesen als gesehen hat. Aber hier darf zugleich nicht übergangen werden, wie schwierig dieser Character für jeden Schauspieler ist, der nicht auf den Namen eines wirklichen Künstlers Anspruch machen kann. Hier genügt nicht das, was man gewöhnlich in der Oper unter dem Spiel eines Bassisten versteht; der Sänger, der den Caspar giebt, muß zugleich der denkendste, und tief in den Geist der Rolle eindringende Schauspieler seyn, er muß den Character in seinen feinsten Nüancen aufzufassen und wiederzugeben wissen, und besonders mehr durch sein Mienenspiel als durch wilde und grelle Aktion zu wirken bemüht seyn. – Und nun die Nebenpersonen. Von welcher Wichtigkeit sind Alle! Wie ist Jeder ein integrirender Theil des Ganzen! Heiterer Frohsinn und Lebenslust spricht sich in dem Chor der Landleute aus, an deren Spitze der höchst komische Kilian steht; sinnige Zartheit und Gemüthlichkeit durchdringt die Brautjungfern, wenn sie schüchtern und doch heiter nahend singen: „Wir winden Dir den Junfernkranz.“ Und nun, wenn nur eben die letzten Töne dieses wunderlieblichen Gesanges verhallt sind, wie regen die Jäger voll jugendlicher Kraft und echtem Waidmannsleben die Seele des Zuhörers mit dem Chore auf: „Was gleicht wohl auf Erden dem Jägervergnügen“ u. s. w. Wahrlich Ref. ist fest überzeugt, diese beiden Gesänge werden Jahrhunderte lang im Munde des Volks fortleben, selbst wenn die größeren Stücke dieser herrlichen Composition vielleicht längst von dem Strudel der Zeit verschlungen sind.

Wie viel könnte hier nicht noch über die Composition ins besondere gesagt werden. Doch würde Ref. es dennoch nicht erschöpfen, und er gesteht gerne, daß wiewohl sich die wahren Schönheiten dieser Musik mit jeder Vorstellung ihm mehr erschlossen, er dennoch noch nicht mit Allem im Klaren ist, und rechnet hiezu besonders die große Arie des Max, im ersten Akte: „Nein länger trag ich nicht die Qualen,“ u. s. w. Da ihm indeß der Raum dieser Blätter keine ausführlichere Auseinandersetzung gestattet, so gehet er zur Beurtheilung der Ausführung über, bemerkt jedoch daß er, der ersten beiden Vorstellungen nicht gedenkend, nur die dritte beurtheilen will, weil diese ihm allein gelungen erschienen, sowohl in Hinsicht der Musik als besonders der Szenischen Anordnungen.

Die rühmlichste Auszeichnung wegen ihres seelenvollen Gesanges verdient Mad. Adam als Agathe. Ref. ward tief im Innersten bewegt von ihrem wahrhaft gemüthlichen Vortrage der schönen Szene: „Leise, leise fromme Weise“ u. s. w., und wird noch lange die Erinnerung an diesen herrlichen Gesang mit sich herumtragen, wie auch an das kindlich fromme Gebet im dritten Akt, „Und ob die Wolke sie verhülle.“ Um so mehr muß er bedauern, daß er, so wie die Zuschauer gezwungen sind, bei dieser trefflichen Sängerin auf alles Verzicht zu leisten, was Spiel, und was Geschmack und Eleganz im Costüm heißt. So sehr er im Leben Einfachheit in Hinsicht der Tracht achtet, so wenig kann er auf der Bühne immer damit zufrieden seyn, da hier nicht allein das Auge auch einige Befriedigung verlangt, sondern weil gewöhnlich ein greller u. unangenehmer Contrast daraus mit den übrigen Personen entsteht. Um so munterer und lebhafter spielte Mad. Jost als Aennchen; sie suchte dem Ganzen nicht ohne glücklichen Erfolg Leben einzuhauchen. Wiewohl Ref. ihrem Gesang gerechte Anerkennung zu Theil werden läßt, so muß er doch bemerken, daß die Parthien Aennchens an einzelnen Stellen über den Umfang ihrer Stimme hinausgehen, wiewohl Mad. Jost es nicht selten mit Glück zu verbergen weiß. – Hr. Rohloff sang mit Kraft und füllte die schwere Parthie des Max mit seiner Stimme, der es nicht an schönen Tönen gebricht, glücklich aus. Er erkenne doch nur den wohlgemeinten Rath darin, wenn Ref. ihn bittet so einfach als möglich, ohne Affektation und frei von Manieren zu singen, weil er dann weit mehr gefallen wird, als es bisher der Fall seyn konnte. Sein Spiel, wiewohl lebhaft, ließ dennoch viel zu wünschen übrig, und doch kann Max nur dann bedeutende Wirkung machen, wenn der Darsteller zugleich sehr gewandter Schauspieler ist. – Doch in nicht geringer Verlegenheit befindet sich Ref., indem er über Hrn. Genée als Caspar urtheilen soll. Er ist überzeugt, H. G. wird es sich selbst gestanden haben, daß seine Darstellung durchaus ohne innern Zusammenhang und ohne die Rundung gewesen, die ein Bild nur erst zu einem Ganzen macht. Doch übertraf die letzte Vorstellung seine frühern bei weitem. Im ersten Akte befriedigte er und besonders in dem obenerwähnten Trinklied, welches ihm sehr gelang. Doch vermißte man ganz das Mienenspiel, ohne welches diese Rolle allen Reiz verliert. Aber wie viel mehr trat dieser Mangel in dem 2ten Akte (bei uns der 3te) ein, wo Caspar in der Wolfsschlucht die Freykugeln gießt. – Hr. Genée gefällt sich in sehr grellen Bewegungen, die Ref. ihn zu vermeiden bittet. Dazu gehört die Aktion im ersten Akt, wo er verleitet durch des Dichters einmalige Angabe, er solle sich im Unmuth die Faust ins Auge drücken und diesem Thränen entpressen, unaufhörlich beide geballten Fäuste sich in die Augen drückte und auf eine übermässige Weise den Kopf nach hinten bog, wodurch seine Stellung nicht wenig unanständiges erhielt. Hr. G. ist noch zu wenig Schauspieler, um die schwere Aufgabe, den Caspar genügend darzustellen, glücklich zu lösen. – Hr. Adam sang mit Würde und fürstlichem Anstande. – Hr. Bachmann (Kuno) und Hr. Jost (Kilian) wirkten rühmlich zum Ganzen mit. – Die Chöre wurden größtentheils sehr gut durchgeführt, besonders der herrliche Jägerchor im dritten Akte, bei welchem wir nur noch zur Seite des Hrn. Schwarz einen eben so tüchtigen Sänger gewünscht hätten, da seine Stimme allein nicht ausreicht. – Aber rühmliche Erwähnung gebührt dem Orchester unter der Leitung des wackern Bruders des Componisten, Herrn E. v. Weber. Es schien durchaus nicht das alte zu seyn. Anstatt der frühern Lethargie gewahrte man nur die höchste Präcision in allen Stücken, und besonders in der Ouvertüre, die musterhaft aufgeführt ward. Diese Ouvertüre aber ist ein wahres Kunstwerk, die Oper gleichsam im Kleinen, ein Bild des Ganzen in wenigen Zügen. Daß aus den ursprünglichen 3 Aufzügen bei uns 4 gemacht worden, wird man wegen den scenischen Schwierigkeiten leicht entschuldigen. – Die Dekoration in der Wolfsschlucht (wenn gleich recht schön) und die ganze Anordnung im 3ten Akte scheint zu wenig auf wahren szenischen Effekt berechnet zu seyn.

Die Maschienerie die in den früheren Vorstellungen nicht gelang, befriedigte in der letzten ganz und leistete, was hier nur gefordert werden kann. Auch war das Zimmer im Forsthause im zweiten Akt geschmackvoll dekorirt. Ref. wünscht daher sehnlich, daß die nächste Wiederholung dieses Meisterwerks alle Freunde der Kunst vereinigen möge, indem er ihnen reichlichen Genuß versprechen zu können glaubt.

Guido.

Apparat

Entstehung

Überlieferung

  • Textzeuge: Der Aehrenleser auf dem Felde der Geschichte, Literatur und Kunst, Jg. 2, Nr. 28 (5. April 1822), Sp. 112–114

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