Carl Baermann sen. an Friedrich Wilhelm Jähns
München, Sonntag/Montag, 30./31. Oktober 1864

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Mein sehr verehrter Freund!

Sie erlauben mir wohl obige Ansprache an Sie obwohl wir uns Beide noch nie von Angesicht zu Angesicht gesehen haben, allein ihr großes hohes Interesse welches Sie an der Kunst und speciell an den hohen Genius Carl Maria v: Weber nehmen, hat Sie meinen Herzen so nahe gebracht, daß Ihnen daßelbe mit der achtungsvollsten Sympathie zugethan ist; und was verdient wohl größere Anerkenung als ein so unermüdetes und doch so beschwerliches mühevolles Forschen, welches zwar oft sehr belohnend aber auch oft voll Kummer ja sogar Schmerz über | vereitelte Hoffnungen ist. Doch arbeiten Sie nur muthig fort, die Geschichte der Musik wird Ihnen dankbar sein, und Sie selbst setzen sich darin das schönste Denkmal. Erlauben Sie daß ich Ihnen Ihre Fragen die Sie in Ihren letzten 2 Briefen an mich stellten der Reihe nach so gut als ich es kann & weiß beantworte.

1) die Variante in den F-moll Concert hat mein Vater componirt*, ganz richtig fühlend daß die vorhergehende kleine Triolen-Passage zu kurz abschließt. Die nun neu hinzugefügten 16tel Passage ist jedoch nur eine Variation der früheren Triolen Passage, und hatte Webers volle Beistimmung, die Handschrift selbst ist, (: so glaube ich :) von den Capellmeister* Täglichsbeck der jetzt in München lebt, früher aber in Hechingen & Loewenberg war.

2) Die Cadenz im Concertino ist von meines Vaters Hand hineingeschrieben*, doch würde ich Sie bitten keinen Werth hierauf zu legen, da erstens mein Vater die Cadenzen sehr nach seinen Launen componirte und heute eine spielte welche er morgen wieder verwarf, und zweitens gerade die in die Partitur eingeschriebene mir offen gesagt als gänzlich unpaßend für dieses kleine liebenswürdige Stück erscheint, da dieselbe viel zu groß und prätentiös auftritt, und so das Stück aus seinen Rahmen herauswirft.

3. Beifolgend erhalten Sie die Partitur des Quintetts*. welche ich besitze, über deren Ächtheit ich mir kein bestimmtes Urtheil erlaube. Es sind mir bei näherer Vergleichung dieser Partitur mit den Partituren von den Concerten einige Zweifel aufgestiegen, welche ich Ihrer Entscheidung überlaße. Sehr möglich ist das Webers Handschrift in der Zeit von 1811 (: in welcher er die Concerte in München schrieb :) bis 1815 sich in etwas verändert hat, das Titelblatt ist unzweifelhaft von seiner Hand. Wie Sie nun weiter ersehen haben werden sind die ersten 3 Stücke von dieser mir zweifelhaften Hand, welches Ihnen zu enträthseln leichter sein wird da Ihnen verschiedene Handschriften aus dieser Zeit vorliegen werden. Das letzte Stück dieses Quintettes ist von der Handschrift meines Vaters, wie dieß gekommen ist weiß ich selbst nicht, vielleicht daß (: wenn die ersten 3 Stücke wirklich Or[i]ginal sind :) mein Vater irgend Jemand mit dem 4t Stück als Webers Manuscript ein Andenken gab, welches er leider nur zu oft gethan hat, und so einen großen Schatz namentlich an Briefen von Weber aus der Hand gab. Das am Schluße dieses Quintettes stehende „vollendet am 31t August Abends ½ 11 Uhr im Jahre 1815“ ist ebenfalls von Vaters Hand, und kann sich ebenso leicht auf seine Copie-Arbeit beziehen, als es auch möglich ist daß daßelbe auf Webers Or[i]ginal Partitur stund. Ich möchte mich hierin fast eher für das Erstere entscheiden da ich viele solche Ähnlichkeiten von Vater besitze. Außerdem besitze ich leider nichts mehr von Weber was zu Ihrem Zwecke für Sie von Interesse sein könnte, da mein Vater bei einer Anwesenheit in Berlin auf eine ganz infame Weise um sehr vieles von Weber kam. Ich will Ihnen die Geschichte erzählen. Als mein Vater | und ich im Jahre 1831/32 eine Kunstreise nach Petersburgunternahmen, kamen wir auch über Berlin. Mein Vater hatte eine so hohe Verehrung und Liebe, eine so tief gefühlte Freundschaft für Weber, daß ich wohl sagen kann diese Freundschaft war der Glanzpunkt seines Lebens, darum mußten ihn auch auf allen seinen Reisen Webers Briefe u. kleine musik: Scizzen die er sehr viele von ihm besaß so zu sagen begleiten, vielleicht auch noch um einen würdigen Künstler oder Kunstfreund durch Überlaßung einer Handschrift von Weber eine Freude zu bereiten. So nahm er den[n] auf diese Reise gegen 30 Briefe & Scizzen mit. In Berlin wohnten wir in einen Privathaus, und als wir von dort nach Königsberg reisten fiel Vater plötzlich ein daß er in Berlin die Briefe nebst einen goldnen Uhrgehänge in den Schreibpult habe liegen laßen. In Königsberg angekommen war unser erstes Geschäft an Vaters Bruder, meinen Onkel, zu schreiben, welcher auch gleich zu unsern Berliner Hausleuten ging, die aber alles ableugneten, trotz Onkel auf unsern Wunsch ihnen das goldne Uhrgehänge u. noch eine besondere Belohnung versprach. Die Leute mochten wohl denken an den Briefen sei uns nichts gelegen, wir wollten nur das allerdings sehr reich & kostbare Uhrgehänge, und unser Anerbieten sei nur eine Falle. Kurz alles blieb verloren, und die Schriften wurden wahrscheinlich von den Dieben vernichtet um nicht aufzukommen, und so kamen wir auf die gemeinste Art um diesen Schatz worüber mein Vater Zeit seines Lebens höchst betrübt war, und ich es noch bin.

4) Das Autograph vom Concertino Opus 26 besitze ich nicht*. Vielleicht könnten Sie hierüber und weiter unten folgendes beßere Auskunft in Dresden durch die Wittwe des dortigs verstorbenen 1t Clarinettisten Kotte * finden, welcher auch viel mit Weber zusammen war.

5) Von einen Concert Hermstädt gewidmet* ist mir nichts bekannt, und möchte deßen Vorhandensein umsomehr bezweifeln, als Weber all seine Clarinett-Compositionen gleich zur Ansicht an Vater übersandte. Doch würde es sich vielleicht lohnen hierüber nach Sondershausen zu schreiben, und daselbst vielleicht in den Nachlaß von Hermstädt etwas zu finden. Wenn Sie sich an Herrn Kammermusikus Jacob Mayer daselbst (: 1t Hornist :) wenden, so wird sich dieser liebenswürdige Künstler, gewiß jeder Mühe u. Nachforschung mit Vergnügen unterziehen. Möglich daß das Duo Concertant darunter verstanden ist und daß Weber anfangs gesonnen war es Hermstädt zu widmen, vielleicht aber aus verzeihlicher Rücksicht seiner besondern Freundschaft zu Vater es später unterlaßen hat, und so das Duo ohne Dedication blieb. Es ist dieß zwar meinerseits eine etwas kleinliche Definition, doch eine durch das intime Verhältniß von Weber zu Vater ziemlich menschliche. Vielleicht interreßirt es Sie hier zu erfahren, daß das andere Duo für Clarinett & Clavier von Weber (: Variationen in B-dur  mit den Thema aus | Silvana von Weber Opus 33 MW_WeV-P07, Takt 1–2 (Thema) etc :) von Weber & Vater eigentlich zusammen componirt ist, und namentlich die 3t Variat: Adagio von Vater componirt ist*. So viel ich mich aus Vaters Erzählung klar erinnere, hätten Sie daßelbe in einer Nacht in Prag den Tag vor einer größeren Gesellschaft componirt u. Tags darauf daselbst gespielt*.

Nun zu Nro 6) Ihren letzten Wunsch die Musik zu Heigels Todenfeier* betreffend. Ich bin gestern den ganzen Tag und heute früh den ganzen Vormittag auf den Beinen gewesen um Ihnen ein günstiges Resultat mittheilen zu können, allein es ist mir trotz aller Mühe nicht gelungen auch nur ein[e] Spur derselben aufzufinden. Ich habe sämmtliche Kataloge der Kgl. Hofmusick, der musikalischen Accademie und des Kgl. Hoftheaters durchstöbert, war bei den ältesten jetzt lebenden pens: Theater-Intendant Freyherr von Poissl bei Kapellmeister Aiblinger welche beide Jugendfreunde von Weber waren, nicht eine Spur von Hoffnung. Ging auch zu einer Wittwe Heigl welche die Frau des Sohnes von obengenannten Heigl ist*, die sagte mir gleich in ihren ganzen Hause sei kein Fleckchen Notenpapier.

Allen Anschein nach hat sich dieses Tonstück in der Kgl. Hoftheater-Bibliotheck einstmal befunden, da die Todenfeier im Theater (: so glaubt Poissl :) stattgefunden hat, und ist bei dem großen Theaterbrand vor 40 Jahren* mit einen großen Schatz von andern musikalischen Werken sammt den Katalog mitverbrannt.

Ich schreibe Ihnen dieß alles so ausführlich nicht um Ihnen zu sagen, daß ich viel Mühe gehabt habe, sondern daß ich sie gern gehabt habe um Ihnen nützlich sein zu können, was nun aber leider erfolglos blieb. Hoffentlich sind Sie doch noch glücklicher als ich.

Beiliegende Photographie von mir erlaube ich mir Ihnen freundlichst zu übersenden, damit Sie mich doch wenigstens en miniature kennen lernen, und Sie würden mir eine doppelt große Freude bereiten wenn Sie sich hiedurch veranlaßt fühlen würden mir ein gleiches zu erwiedern, denn erstens verlangt es mich sehr wenn auch nur einstweilen auf diese Art Ihre persönliche Bekanntschaft zu machen, und zweitens behauptet der Theil meiner Familie, welcher das Glück gehabt hat Sie in Berlin & München gesehen zu haben, daß Sie meinen verehrten seeligen Vater so ähnlich sind. Bitte also recht sehr, wenn es ohne besondere Mühe sein kann, mir diese Freude baldigst zu gewähren.

Hoffentlich führen Sie den Entschluß München im nächsten Sommer zu besuchen bestimmt aus, ich würde mich unendlich freuen Sie dann hier begrüßen zu können, und wollen dann recht in Gott vergnügt sein.

Mit den herzlichsten und aufrichtigsten Grüßen Ihr Ihnen ganz ergebenster Freund
Carl Baermann

[Originale Fußnoten]

  • * Täglichsbeck ist gegenwärtig in Italien konnte ihn also nicht sprechen

Apparat

Zusammenfassung

beantwortet Fragen von Jähns im Hinblick auf das F-Moll-Konzert und das Concertino op. 26 und den Anteil von Heinrich Baermann darin, die Hs. von ersterem sei von Capellmeister Täglichsbeck, sendet ihm die Partitur des Klarinetten-Quintetts, weiß nicht, ob sie autograph ist. Bemerkt, dass sein Vater leider öfter Manuskripte Webers verschenkt habe, er selbst besitze nichts mehr von Weber, erzählt die Geschichte vom Verlust von ca. 30 Briefen und Skizzen Webers in Berlin, die sein Vater bei sich trug und in Berlin liegen ließ, wo sie nicht gefunden wurden. Widmung eines Klarinettenwerkes an Hermstädt ist ihm nicht bekannt. Teilt mit, dass die Silvana-Variationen von Weber mit Baermann gemeinsam komponiert wurden, die dritte Variation z. B. ist von seinem Vater. Über die Musik zu Heigls Totenfeier hat er nichts herausbekommen, obwohl er Poißl und Aiblinger befragt hat. Schließlich bittet er um eine Fotographie von Jähns und legt dem Brief eine von sich bei.

Incipit

Mein sehr verehrter Freund! Sie erlauben mir wohl obige Ansprache an Sie

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: Weberiana Cl. X, Nr. 21

    Quellenbeschreibung

    • 3 DBl. (12 b. S. o. Adr.)
    • Am oberen linken Rand Bl. 1r von Jähns (Blei): No 1. Benutzt Wurzerstr. 22

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Eveline Bartlitz, „Ich habe das Schicksal stets lange Briefe zu schreiben …“. Der Brief-Nachlaß von Friedrich Wilhelm Jähns in der Staatsbibliothek zu Berlin – PK. Die Briefe Carl Baermanns an Friedrich Wilhelm Jähns, in: Weberiana. Mitteilungen der Internationalen Carl-Maria-von-Weber-Gesellschaft e. V., Heft 8 (1999), S. 11–15

Textkonstitution

  • „Variation 6“sic!

Einzelstellenerläuterung

  • „… Concert hat mein Vater componirt“Konzert für Klarinette und Orchester Nr. 1 f-Moll (JV 114). Die angesprochene Variante im ersten Satz (T. 141ff.) ist in das Autograph aus Baermannschem Besitz (heute US-Wc, ML 30.8b.W4) eingetragen; vgl. Jähns (Werke), S. 138 zu Autograph II.
  • „… von meines Vaters Hand hineingeschrieben“Im Besitz Baermanns befand sich eine Kopie des Concertino für Klarinette und Orchester (JV 109); vgl. Jähns (Werke), S. 137/138 (zu JV 114, Autograph II) und S. 142 (zu JV 118, Autograph I). Diese heute verschollene Abschrift enthielt möglicherweise die Kadenz Heinrich Baermanns.
  • „… Sie die Partitur des Quintetts“Klarinetten-Quintett (JV 182) Die Kopie mit autographen Eintragungen Webers aus dem Besitz von Baermann, vgl. Jähns (Werke), S. 196, ist heute verschollen.
  • „… Opus 26 besitze ich nicht“Im Gegensatz zu den Klarinetten-Konzerten (JV 114 und 118), von denen je zwei Autographe existieren (aus Webers Nachlaß und aus dem Besitz Baermanns), ist das Concertino (JV 109) nur in einem Autograph überliefert, das sich damals noch im Besitz der Familie von Weber befand; heute D-B, Mus. ms. autogr. C. M. v. Weber WFN 13.
  • „… verstorbenen 1 t Clarinettisten Kotte“Johann Gottlieb Kotte (1797–1857), erster Klarinettist in der sächsischen Hofkapelle in Dresden, brachte das Grand Duo concertant (JV 204) mit Julius Benedict am Klavier im Frühjahr 1824 in der Reihe Öffentlicher Quartett-Konzerte in Dresden erstmalig komplett zur Aufführung.
  • „… Von einen Concert Hermstädt gewidmet“Johann Simon Hermstedt (1778–1846), Klarinettenvirtuose, der vor allem durch die ihm von Spohr geschriebenen Kompositionen berühmt wurde. Er machte sich auch verdient um Verbesserungen an seinem Instrument. 1815 begegnete er Weber in Prag, der ihm angeblich auch ein Klarinettenkonzert schreiben wollte, von dem aber nichts überliefert ist; vgl. dazu Jähns (Werke), S. 434 unter JV Anh. 57. 1841 gab er die Solisten-Laufbahn auf. Für die Stadt Sondershausen wirkte er als erster Dirigent des Loh-Orchesters, mit dem er auch bei Musikfesten auftrat.
  • „… Adagio von Vater componirt ist“Silvana-Variationen (JV 128) op. 33. Die von Carl Baermann bestätigte Mit-Autorschaft seines Vaters Heinrich Baermann hat Jähns in sein Werkverzeichnis (S. 152) übernommen, dort allerdings auf die Klarinetten-Partie des Adagio Variation 6 bezogen. Tatsächlich ist aber Variation 3 mit Poco Adagio, Variation 6 dagegen mit Lento überschrieben, und Baermann bestätigt auch in Brief 7 vom 19. Juni 1869, daß es sich um die 3t Variation /: Adagio :/ handelt. In den verschiedenen handschriftlichen Stadien des Werkverzeichnisses wechselt Jähns mehrfach bei der Zuweisung des Bärmannschen Anteils an der Komposition; in der 1. Fassung heißt es: Variat. V gehört danach H. Bärmann ganz (D-B, Weberiana Cl. IX, Kasten 1, Nr. 1); in der 2. Fassung: namentlich rührt danach das Clar. des Adagio ganz von demselben her (D-B, Weberiana Cl. IX, Kasten 1, Nr. 2); erst die 3. Fassung (D-B, Weberiana Cl. IX, Kasten 1, Nr. 3) entspricht dem Druck von 1871.
  • „… u. Tags darauf daselbst gespielt“Webers Tagebuch verzeichnet am 14. Dezember 1811 die Komposition (früh) und die erste Aufführung der Variationen (abends bei Firmian).
  • „… die Musik zu Heigels Todenfeier“Die Trauer-Musik von Weber (JV 116), die zur Gedenkfeier bestimmt war, wurde nicht aufgeführt; vgl. TB 26. Juni 1811. Die Komposition ist nur teilweise erhalten (D-B, Weberiana Cl. I, Nr. 30).
  • „… Sohnes von obengenannten Heigl ist“Barbara Heigel, geb. Nössner, die Witwe von August Heigel.
  • „… großen Theaterbrand vor 40 Jahren“Der Brand brach während einer Vorstellung am 14. Januar 1823 aus und vernichtete das Hoftheater vollständig. Der Wiederaufbau wurde dem Architekten Leo von Klenze übertragen. Am 2. Januar 1825 wurde es eröffnet.

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