Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Othello“ von W. Shakespeare am 9. Februar 1817 (Teil 2 von 2)
Auch noch wegen eines andern, hier aber ganz aus dem eignen Studium, das Mad. Schirmer auf diese Rolle gewandt hat, hervorgehenden kleinen Zusatzes möchten wir der denkenden Künstlerin Dank sagen. Die durch alles, was vorherging, zertretene ja zermalmte Dulderin bleibt am Ende der 10. Scene im 4. Aufzuge ganz allein stehn in namenlose Wehmuth aufgelöst und ruft nun nach einer erschütternden kurzen Pause:*)
’s ist billig, daß mir so begegnet wird! – sehr billig!Was that ich denn, daß ihm der kleinste ArgwohnEntstehen konnte mich so zu beschimpfen?Diesen selbst von den Britten nicht genug verstandenen und auf Empfindlichkeit gegen Othello bezogenen Worten gab Mad. Schirmer durch den vorangehenden Ausruf: Vater! die allein mögliche, wahre Bezeichnung. Nicht den Othello gilt der Vorwurf. Vater, ruft sie, das habe ich an dir verdient, als ich dir ungehorsam wurde. Nur durch dieß so ausgehauchte Vater! kömmt alles in Einklang. Sie, die selbst den Zorn und das Stirnrunzeln ihres Othellos noch liebenswürdig findet, kann gegen ihn nicht gereizt seyn!
Gewiß, je seltner der Fall ist, daß eine Rolle so tief durchdacht und aufgefaßt wird, desto mehr fodert es die Pflicht, darauf aufmerksam zu machen. Auch in der Wahl des vierfachen Anzuges, in welchem Desdemona nach und nach erscheint, glaubten wir die denkende Künstlerin zu erkennen. In keinem dieser Anzüge war der schwarzseidne Ueberwurf, die venizianische Vesta di zendale zu sehn. Er hätte aber auch zu keiner der hier gegebenen Situationen gepaßt. Der eben so geschmackvolle, als prächtige Anzug, worin sie als Herrin des Schlosses und Vicekönigin von Cypern erscheint, vollendet den tragischen Contrast. Je geschmückter das Schlachtopfer, desto inniger unser Bedauern. Wahrhaft malerisch war die Lage der Ermordeten auf dem (hier mit vollem Rechte) aus einem Bette in einen bloßen Sopha verwandelten Lager. Im Original erstickt der Mohr die Jammernde durch ein auf sie geworfenes Kissen. Die Britten haben gute Gründe, dieß ächt mohrische Erdrosseln nicht abzuändern. Wenn unsere Weichlichkeit dieß nicht aushält, so sollte der Mordstreich wenigstens durch einen Dolch, und nicht durch einen Degen geführt werden. Auch soll Othello das Licht neben der sanft schlummernden Desdemona schon brennend finden (offenbar eine Nachtlampe, wie sie auch Smirke in dem dazu gehörigen Kupfer in der Shakespeare-Gallery gestochen hat), nicht erst hereinbringen und auf einen fernen Tisch niedersetzen. Kemble, welcher in Drury-lane noch jetzt den Othello spielt, tritt mit rollendem Blut-Blick ins Schlafzimmer und ist tigerartig mit einem Sprung vor der Schlummernden. Nun erst kehrt ihm bei solchem Anblick Besinnung zurück, nun erst tritt er vor und hält den kurzen Monolog, worauf er zurückkehrt und mit den Worten: ich will vom Stamm die Rose brechen! sie noch einmal küßt.
Apparat
Zusammenfassung
Aufführungsberichte Dresden: Beschluß zur Aufführung des „Othello“ von Shakespeare am 9. Februar 1817 (Teil 2 von 2)
Entstehung
vor 17. Februar 1817
Überlieferung
-
Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 42 (18. Februar 1817), Bl. 2v