Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Othello“ von W. Shakespeare am 9. Februar 1817 (Teil 1 von 2)

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Am 9. Februar: Othello, der Mohr von Venedig, Trauerspiel in 5 Aufz. von Shakespeare.

Othello war Shakespeare’s dramatischer Schwanengesang. Den letzten Akt soll er wenig Wochen vor seinem Tode erst ganz vollendet haben. Die Britten achten dieß Stück für das vollkommenste aller Shakespearischen Dramen. Richardson hat dem hier so furchtbar ausgeführten Gemälde der Eifersucht eine eigene Entwickelung gewidmet. Der fromme Bischof von London, Lowth, führt es in seinem Werke über die heilige Poesie als Muster an. Soll ihm also bei einer Verpflanzung auf die deutsche Bühne volle Gerechtigkeit widerfahren, so muß es, wie in Berlin geschieht, nach J. H. Voß getreuer poetischer Uebersetzung (mit 3 Compositionen von Zelter) so unverstümmelt als möglich auf die Bühne gebracht werden. Hier konnte es jetzt nicht neu einstudirt werden. So mußte es bei der alten Schröderschen Bearbeitung bleiben, in welcher nicht bloß eine Menge der feinsten Züge und Motiven unbarmherzig weggeschnitten, sondern auch im Gange des Stückes selbst Veränderungen, die alles verrücken, gewagt worden sind. So ist uns vom Original nur ein Skelet und oben drein noch ein verrenktes übrig geblieben. Die imposante Scene im ersten Akte, im Versammlungssale des Senats, wird hier eine klägliche Gassenscene, wo die junge Gemahlin auf offener Straße verhört, Othello’s Erzählung (die jeder Britte aus Enfield’s Speaker auswendig kann), als sei es ein Nachtwächterlied, auf der Straße abgeschrien wird. So geht es auch im letzten Akte. Man wundere sich also ja nicht, wenn manches sehr grell hervor tritt, oder unbegreiflich bleibt.

Um so mehr verdient die Kunst unserer Schauspieler achtungsvolle Anerkennung, daß sie dieß furchtbare, aber mangelhafte Gemälde höllischer Eifersucht und Bosheit, die sich zum Verderben des schuldlosesten Opfers verbindet, so durchzuführen und auszumalen verstanden, daß nirgends die hochtragische Wirkung ganz verloren ging. Herr Kanow, als Othello, entwickelte, steigerte fortschreitend in der Leidenschaft was sich eben unter den gegebenen Umständen entwickeln und steigern ließ. Die wilden Naturanlagen, die Raubthiernatur jener glühenden Zone, deren schwarze Farbe er trägt, sind nur durch eine stark sinnliche Liebe in Ketten gelegt. So wie diese gestört wird, bricht (nach seinen eigenen Worten) das alte Chaos wieder ein. Die größte Schwierigkeit ist in dieser Rolle die Oekonomie des Spiels. Ohne diese kann die Darstellung des stufenweisen Anwachsens der Leidenschaft bis zur wirklichen Ohnmacht und zu epileptischen Zuckungen (ja bis zum Schaum vor dem Munde, den Jagoim Originale mit Wollust bemerkt) unmöglich Gnüge geleistet werden. Noch schwieriger vielleicht ist die Aufgabe, daß der Mohr auch auf der Folter der wüthendsten Eifersucht noch immer die Gluth der Liebe zu Desdemona durchschimmern lassen und diese ihr selbst bemerkbar machen muß. Ja diese einzige Nahrung muß der liebenden Dulderin doch bleiben! Der dreifache Teufel Jago wurde von Herrn Geyer mit alle dem Wohlbehagen und der scherzenden Selbstzufriedenheit gegeben, die dieses Ungeheuer, welches an aller Tugend zweifelt und alles um sich herum zum Werkzeug seiner höllischen Belustigung und Schadenfreude macht, so einzig charakterisirt. Es ist schwer, einen so hohen Grad von Bosheit zur Wahrscheinlichkeit zu verwirklichen. Dem Künstler gelang es. Nur in der letzten Scene möchte dem verpesteten Bösewicht das Niedersetzen kaum zu gestatten seyn, ob wir gleich vollkommen fassen, warum er es that. Cassio, leichtsinnig, verführbar, ¦ aber edel (ohne diesen Zug konnte sich die reine Desdemona nicht für ihn verwenden), wurde von Herrn Julius sehr brav gespielt. Erschütternd wahr gab er die wilde Verzweiflung um seine Betrunkenheit und das daraus entsprungne Vergehen. Auch wurde ihm der lauteste Beifall dafür. Emiliens Rolle ist in dieser Bearbeitung so unbedeutend und abgekürzt, daß das schon im Originale befremdende Stillschweigen über den wahren Hergang mit dem entwendeten Schnupftuche dem Zuschauer ganz unbegreiflich wird. Dies war, wie schon A. W. Schlegel in seinen dramatischen Vorlesungen bemerkt hat, nur durch sündhaften Leichtsinn dieser Frau, die sonst auch nicht Jagos Frau seyn konnte, erklärbar. Im Original tritt dieser Leichtsinn stark genug hervor. Dlle. Christ durfte und wollte nicht mehr hineinlegen, als eben da war.

Um Desdemona’s Engelreinheit noch mehr zu heben, sagt Schlegel, gab er ihr Emilien von zweideutiger Tugend zur Bedienung. Wir möchten darin noch lieber eine Steigerung des tragischen Effekts bewundern. Die in ihrer himmlischen Unschuld nirgends etwas Böses ahnende Frau, bald an Emiliens Busen ihren Kummer aushauchen, bald dem Teufel Jago zutrauensvoll ihre gute Sache ans Herz legen zu sehn, erregt in der Brust des mitwissenden Zuschauers ein namenloses Mitgefühl. Das schneeweiße Lamm unter grimmigen Hyänen und listigen Schakals! Ganz so erschien uns Mad. Schirmer als Desdemona. Wie reiner milder Aether, farbenlos und bis auf das Innerste im Innern durchsichtig, ist diese anspruchlose Hingebung in Liebe und Arglosigkeit. Diese lammartige Güte und Unschuld kann – wer sieht es nicht! – leicht an Unbedeutenheit streifen, oder man kann, um doch etwas von der Italienerin, von der Tochter eines Nobile durchschimmern zu lassen, hie und da doch etwas Farbe auftragen wollen. Dadurch würde aber auf einmal alles verdorben werden. Mad. Schirmer zeigt in jeder Bewegung, in jeder Miene und Biegung der Stimme, daß das tiefste Gefühl mit der ruhigsten Klarheit von außen auf das innigste verschwistert seyn könne. Für die Feuerprobe dieser harmlosen Unbefangenheit haben wir stets die Scene gehalten, wo der Mohr mit ächt afrikanischer Leidenschaftlichkeit das Schnupftuch fodert und die fleckenlose Unschuld ausruft: Du willst mich dadurch nur von meiner Bitte abbringen! und selbst in dieser furchtbaren Crise noch einmal auf Cassio zurückkommt. In der History of the English Stage lesen wir, daß selbst die große Siddons, zu deren Spiel als Desdemona man viele Meilen weit nach London eilte, zuweilen in dieser Stelle den Verdacht erregte, als sei es nur ein ausweichender Uebergang. Doch auch hier behauptete unsere Künstlerin die reinste, nichts ahnende Arglosigkeit. Darum verliert auch die Geängstete, Gemißhandelte in ihrer tiefsten Erniedrigung, knieend, zurückgestoßen (im Originale sogar geschlagen), ihre Engelmilde und Fassung nicht. Es gehört aber auch der süße Wohllaut einer Stimme zu, die ganz Musik ist und die dieser Künstlerin eben so sehr zur höchsten tragischen Rührung, als zur naiven Fröhlichkeit zu Gebote steht. Darum gelang ihr auch die heute zum erstenmale aus dem englischen Originale zurückgerufene kleine Ballade so schön, die sie, an Emilien angeschmiegt, in hinsterbenden Tönen ausspricht, und als sie die letzten zwei Zeilen:

O tadelt nicht sein hartes Herz,Mein Herz gehört doch sein!

mit feinster Berechnung auf die Wirkung noch einmal als Refrain wiederholte, mußten sich wohl die inneren Bewegungen bei allen Zuschauern auch durch äußere Beifallszeichen Luft machen.

(Die Fortsetzung folgt.)

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbericht Dresden: „Othello“ von Shakespeare am 9. Februar 1817 (Teil 1 von 2)

Entstehung

vor 17. Februar 1817

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 41 (17. Februar 1817), Bl. 2v

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