Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 9. bis 10. März 1817

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Sonntags, am 9. März: Fiesko. Ueber der heutigen Vorstellung herrschte ein ungünstiges Gestirn. Waren auch einzelne Momente gelungen zu nennen, gaben auch einzelne Darsteller ihre Rollen mit Liebe und Wahrheit, so griff doch alles so wenig in einander, daß das Publikum nicht erwärmt ward.

Am 10. März: Pflicht um Pflicht, von A. Wolf. Das gemüthliche Lebet wohl! welches sich die Scheidenden am Schluß dieses Stückes zurufen, mag auch der Dolmetscher des Danks des Publikums seyn. Die zweite, in vielen noch gerundetere und vollendete Aufführung dieses kleinen, aber inhaltreichen, höchst gediegenen Stückes hatte ein sehr zahlreiches und aufmerksames Publikum versammelt. Mehrmals brach der lauteste Beifall hervor. Nur ein sehr gebildetes Publikum kann ein Stück, das bei einem so großen Reichthume an tragischer Situation und einer südlich warmen, doch nie gedunsenen Sprache weder durch Witzspiel kitzelt, noch auf Theatercoups berechnet ist, so würdigen und in seine Schönheiten eindringen. Möge es oft wiederholt werden! Die bildende Wechselwirkung auf der Bühne und vor der Bühne kann dadurch gewinnen. Wir sind bei dem herrschenden Geschmacke an frivoler und unmotivirter Ausgelassenheit eines solchen Correctifs sehr benöthigt. Die sich selbst aufopfernde, heroische Freundschaft der zwei Türken trat durch der Herren Kanow und Wilhelmi wohl motivirtes und richtig gesteigertes Spiel dießmal noch romantischer hervor. Noch fehlte es der größeren Masse der Zuschauer an jener schnell-auffassenden, lebendig-zurückspiegelnden Empfänglichkeit, die unseren südlichen Landsleuten, vor allen aber den Franzosen so eigen ist. Hätten wir etwas von der Sensitiva, so würde das in Umarmung verschlungene: Achmet, bis zum Tode dein! enthusiastisch beklatscht worden seyn. Da applaudirt man weder dem einzelnen Schauspieler, noch dem einzelnen Stück. Es gilt dem Adel der Menschheit. Hr. Julius, als Hermann, schien beim Anfange seiner herrlichen Erzählung noch nicht ganz einig mit dem Grundtone zu seyn, oder die Saiten gleichsam erst zu stimmen. Aber es schien nur so. Es war die kunstreichste Berechnung und Oekonomie in Ton und Mimik. Nur, wenn alles, so vorausgeht, so vorgetragen wurde, konnte von dem Vers an: plötzlich zerreist mit fürchterlichem Schlag ein Feuerstral die schwarze Wolkendecke! der mimische Künstler seinen Sturm als Tempesta mit Breughel’s Helldunkel malen. Auch dankte ihm ein seltnes Aufbrausen unaufhaltsamen Beifalls. Das gelungenste bleibt aber doch die Vision unter den rauschenden Baumwipfeln. Möge es dem trefflichen Künstler auch gelingen, einzelne Sylbenbetonungen bei gleicher Deutlichkeit noch mehr ins Ganze zu verschmelzen! Mad. Schirmer, als Zuleima, gab den stummen Schmerz bei dem zweifachen Eintreten im Kampf des empörten Selbstgefühls mit der Herabwürdigung zur feilstehenden Sclavin dießmal noch beredter. Das wahrhaft rhythmische ihres Geberdenspiels stand mit Erhebung und Senkung der Stimme im leidenschaftlichen Monolog und in den zarten Versöhnungsworten, wo sie als Vermittlerin auftritt, in vollkommenem Einklange. Die schönste Anerkennung ward ihrer Kunst in dem begeisternden ¦ Moment, wo sie Hermann’s Schatten am Meeresstrand zu erblicken glaubt. Es giebt ein Stillschweigen der Schaulust, das dem Künstler mehr gilt, als der rauschende Beifall. Uebrigens mag es dem Dichter hoch angerechnet werden, daß er uns die Umarmung der sich Wiederfindenden nur durch einen Ausruf hinter der Scene vernehmen läßt. Wer so die verbrauchten Effekt-Scenen verachtet, zeigt doch einiges Zutrauen zur Fantasie des Zuschauers.

Man erlaube uns zum Schluß nur noch die Bemerkung, daß wir in der Rolle des Juden, den uns Herr Zwick mit einem eigenen Anstrich von schmunzelnder Zutraulichkeit, zum Theil in halbgebrochenen Tönen gab, einige Zusätze zu bemerken glaubten, die wir gerade hier nicht für Bereicherungen halten möchten; in einem so fein abgemessenen Stück bleibt so etwas immer ein mißliches Wagestück. Gewiß es gehört der feinste Takt dazu, wenn der kunstfertige Schauspieler (d. h. der, für den der Soufleur nicht da ist, der sich also nicht auf die Krücke des Extemporirens stützen muß) den Dichter auch nur in einem Worte zu verbessern wagen will. Denn muß er nicht selbst wenigstens für diesen Moment die Dichterweihe haben? Wenn Herr Julius am Schluß seiner Erzählung die Worte des Dichters:

Dann kehr’ ich in mein Vaterland zurück,Das, wie ein dunkles, langersehntes Grab,Zur Ruh’ mich ladet nach des Lebens Stürmen,

so aussprach: Das in ein dunkles, langersehntes Grab u. s. w., so mag der Dichter selbst ihm dafür Dank wissen. Denn für diesen Hoffnungslosen ist Fortleben im Vaterlande nichts, nur im Grabe winkt ihm Ruhe. Und wenn Mad. Schirmer ihren Monolog mit: ich bin allein! anfängt, wo doch der Dichter sie sich selbst anreden läßt: Du bist allein! so beurkundete dieß aufs neue die denkende Künstlerin. Denn man tröstet oder schilt sich wohl selbst, indem man sich durch’s Du zur Doppelperson macht, aber der höhere, tragische Schmerz duzt sich selbst nie. Jeder Seufzer ist ein Ich-Ton!

Nach diesem dramatischen Genuß in einer sehr hochstehenden Gattung mochte es zu abwechselnder Gemüthsergötzlichkeit recht angenehm seyn, Hrn. Geyer als den verliebten Schneidermeister Fips in der gefährlichen Nachbarschaft, eine der gelungensten Darstellungen in ächt komischer Caricatur, uns geben zu sehen. Er spielt diese Rolle so recht aus überströmender, um nicht zu sagen, Damm durchbrechenden Lustfülle, und so wurde auch allen Zuschauern unbeschreiblich wohl zu Muth dabei. Selbst diejenigen, welche den berühmten Komiker Wurm in dieser Rolle gesehen haben, vergessen es, eine Parallele zu ziehen. Die höchst lächerliche, bis zum Entsetzen gesteigerte Schreckenskrise beim Anblick des verdoppelten Lieschens bot ihm einen unerschöpflichen Stoff dar, das Lächerliche im Hohen zu potenziren. Es erhielt in dem Augenblick, wo er sich in der höchsten Angst betend am Tische niederwirft, seine höchste Spitze. Wir haben viele sehr glückliche Einschiebsel bemerkt und manche extemporirt-aussprühende Witzfunken fliegen sehen. Sie haben, wenn wir nicht irren, überall gezündet. Der Schauspieler, dem hier nicht eine eigene Quelle in der Brust sich aufthut, soll in der Unterwelt das Seil des Oenus drehen.

B.

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbericht Dresden: „Fiesko“ von Schiller am 9. März 1817 und „Pflicht um Pflicht“ von P. A. Wolff am 10. März 1817

Entstehung

vor 17. März 1817

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 65 (17. März 1817), Bl. 2v

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