Vorab-Besprechung für die Königl. Schaubühne zu Dresden vom 14. April 1817 (Teil 2 von 2)
König Yngurd
(Beschluß.)
Auf Yngurd’s nordisches Riesenhaupt hat der Dichter alle persönliche Herrlichkeit und Heldenkraft, die, wenn sie rechter Art ist, auch der Frauenliebe huldigt, gleichsam aufgehäuft, und so mußten auch außerordentliche Kräfte zusammenwirken, ihn zu stürzen. In ihren sinnreichen Verkettungen hat Müllner Ungewöhnliches geleistet und die ihn stürzende innere Verschuldung in den Sturm der Begebenheiten tüchtig eingeflochten. Daher kommt für den Zuschauer ¦ alles darauf an, diese Schuld vom Wendepunkt an fest ins Auge zu fassen. In einer vor kurzem erschienenen Schrift unter dem Titel: Judas Ischariot *) wird der Zweifel als die Folge des bösen Princips aufgestellt. Müllner hat durch seinen Yngurd gezeigt, daß der Zweifel die Ursache des Bösen, ja das böse Prinzip selbst sei. Er zweifelt und will nun das Böse. Daher sagt der Sterbende:
Was ich gewollt, war einmal schlimmer nur,Als was ich that und – ich nicht thats, die HölleVollzog mein Denken –Dadurch hat hier der Dichter die Schuld Hugos in der Schuld überboten. Dort fliegt die Kugel, hier das Wort. Das Wort allein leidet Zurechnung!
In einem Stück, wie Yngurd ist, wiegt auch die kleinste Nebenrolle ihr volles Pfund, und verlangt, selbst noch in der sich unterordnenden Bescheidenheit, ein meisterhaftes Spiel. Wäre es nur möglich gewesen, das unverkürzte Stück in zwei Vorstellungen zu theilen! Der Dichter selbst hatte in diesem Falle einen Prolog gedichtet, mit dem ein Skalde, die Vorstellung des zweiten Abends, mit dem dritten Akt beginnend, eröffnet haben würde. Allein die erste Vorstellung des Stücks muß in einem einzigen Abend gegeben werden. Das wird jedem Unbefangenen einleuchten. So ¦ wie es nun aufgeführt werden kann, bleibt Oscar’s Rolle eine der wichtigsten. Auch in seinem Charakter tritt in der Mitte ein bestimmter Wendepunkt ein. Er tritt auf, mitten innestehend zwischen Knabe und Jüngling, ein süßträumender, in einer poetischen Welt befangener Skalden-Jüngling. Aus dem Metall, aus welchem kriegerische Könige gegossen werden, ist der im Alter erzeugte Posthumus nicht gegossen. Sein Reich ist das der Bilder und der Töne. Sein weiches Herz kann leiden nur und lieben. Doch seine Nichte, Yngurd’s Tochter, Asla überblickt mit Klarheit ihren und seinen Zustand. Mit den Worten: Du Ottfrieds Sohn liebst Ottfrieds Enkelin und mit dem ersten Kuß tagt’s, wie durch einen Blitzstrahl, in seiner Brust und nun kann er, in vollem Bewußtseyn ermannt, vor allen Großen des Reichs sein Reich fodern und das Schrecklichste an sich vorüber gehen lassen. Die vom Dichter meisterhaft motivirte Umwandlung psychologisch wahr darzustellen, ist nicht die kleinste Aufgabe.
Brunhilden’s, der Mutter Oscar’s, Charakter ist eine der originellsten Schöpfungen für unsere Bühne. So haßt, so liebt nur die sinnlichste Sinnlichkeit. Doch schüttelt der Haß uns nur in einigen frühern Scenen sein Schlangenhaupt entgegen. Nach Oscar’s Gefangennehmung hat nichts in ihrer Seele mehr Raum als namenlose, bis zum Wahnsinn gesteigerte Mutterliebe. Mit furchtbarer Wahrheit hat Müllner selbst ihren Haß gegen Yngurd zu Quelle ihres sichern Ahnungsvermögens gemacht. Der Verhaßte muß – das zeichnet der Haß ihr mit Flammenschrift vor’s innere Auge – Oscars Mörder werden. Eine zur Raserei getriebene Mutterliebe ist schon öfter über die Bühne geschritten. Aber mit dieser Weichheit, in diesen Jammer aufgelöst, in so herzzerschneidenden Tönen noch nie. Sie endet damit, aus einer Verabscheuungswürdigen, Gegenstand des tiefsten Mitleids zu werden. In der Erregung und Steigerung dieses Affekts bei dem Zuschauer ist der Darstellerin ein großer, der vollendeten Kunst würdiger Spielraum gegeben.
Auch Irma, die Gemahlin Yngurds, bietet eine schwierige Aufgabe dar. Yngurd nennt sie selbst das Weib mit dem ewig wandelbaren Sinn. Daß sie so spät erst ihrem Gemahl die Ursache des Vertilgungshasses zwischen ihr und Brunhild entdeckt, ist, so wie die etwas unwahrscheinlich angenommene, erst zu Ende des Stücks durchgebrochene Scheidewand des Gesetzes, nach welchem in Norwegen kein Oheim seine Nichte heirathen darf, sind offenbar die schwächsten ¦ Seiten dieses übrigens höchst kunstreichen Dramas. Aber schürzten auch die begabtesten Dichter ihre tragischen Drachenknoten oft wahrscheinlicher? Darin ist die Schuld dem Yngurd überlegen.
Noch einige allgemeine Bemerkungen mögen hier einen Platz finden. Als Schicksalsfabel kündigt sich Yngurd schon im ersten Akt vollständig an. Ahndungen in prophetische Träume verkörpert, in Visionen der Liebe und des Wahnsinns hervortauchend, durchdringen das Ganze mit dämonischer Gewalt und umschnüren den beklommenen Zuschauer mit jener steigenden Beängstigung, die mehr, als der wilde Schrecken, die wahre tragische Leidenschaft der Modernen genannt werden mag. Die vom Blitzstral geöffnete Königsgruft schließet sich nicht eher, als bis alle Glieder der Familie zu ihr hinabgestiegen sind. So wird die Sühne, so die Läuterung der Leidenschaften durch Erbarmen und Furcht bereitet, in welche schon Aristoteles das Wesen der Tragödie setzt, nach Herder’s allein gültiger Erklärung in der Adrastea.
Ferner: das ganze Stück ist, wie jede reife Frucht im Garten der Musen, ein Produkt aus der Zeit durch die Zeit. Was Göthe in seiner natürlichen Tochter (deren Nichtvollendung in der von ihm gleich anfangs entworfenen Trilogie zu dem Beklagenswürdigsten gehört, was wir betrauren können), was Schiller in seinem nur als Fragment vorhandenen Pseudodemetrius auf ganz anderen Wegen bezweckte, die Gefahren und Verirrungen der Regenten-Willkühr zu zeigen, wenn sie sich auf kein angestammtes Erbrecht mit Sicherheit und Milde stützen kann, hat Müllner in diesem Heldenspiel so stark als möglich ausgesprochen. Unter vielen hier gewaltig anklingenden Stellen möge folgende aus dem 4ten Akt hier nur als Zeigefinger stehn:
Wenn Völker hadern über Gut und Land,Dann ists die Fehde, welche Zwiespalt schlichtet,Blind wie der Fall des Würfels. Anders istsMit Königrecht, das, heilig wie der Glaube,Im Busen des Gerechten ist gegründetAuf das es unantastbar sei dem Räuber. –Ob ihr den König auch mit Ketten bindet,Doch bleibt er König. – Richter solchen ZwistesIst Gott und frommer Volkswill seine Stimme.Von dieser Seite betrachtet ist also dieser Yngurd ein eingebornes Kind der Zeit. Doch bewahre uns der gute Genius der Kritik, ihn darum ein politisches Drama nennen zu wollen. Wo wäre dann das Ende zu finden? Am Ende setzte wohl gar jemand statt Oscar Enghien!
¦Endlich darf nicht übersehn werden, daß Müllner wohl erkannte, was Göthe einmal sagte, was aber natürlich auf seinen Faust nicht die geringste Beziehung hat, „die Folie des Monotheismus ist der Satan; doch ist dieser, so wie der einzige Gott, keine poetische Figur.“ Man wähne also ja nicht, daß diese aus Zweifel gebornen bösen Gedanken, das was hier als Versuchung aus eigener Brust aufsteigt, vom Dichter des Yngurd als ein wirkliches satanisches Blendwerk gemeint sei. Die Religion – dieß ist des Dichters eignes Urtheil – wollte er völlig generalisiren. Daher sind ihm Satan, Walhalla u. s. w. bloß Wörter für den allgemeinen Begriff aller Völker von dem bösen Geiste und vom Himmel. Dieß hielt er für statthafter, als jene bunte Vermischung der Religionen von Messina in der Braut, die Schiller in der Vorrede dazu mit scheinbaren, aber nie überzeugenden Gründen zu vertheidigen sucht.“ –
[Originale Fußnoten]
- *) Judas Ischariot, oder über das Verhältniß des Bösen zum Guten, vom Prof. und Kirchenrath Daub in Heidelberg. Heidelberg, Mohr 1816.
Apparat
Zusammenfassung
Vorab-Besprechung des König Yngurd von Adolph Müllner (zur Dresdner Aufführung am 14. April 1817)
Entstehung
vor 10. April 1817
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Hafenstein, Deborah
Überlieferung
-
Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 86 (10. April 1817), Bl. 1r