Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 14. April 1817: A. Müllner, König Yngurd (Teil 3 von 6)

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König Yngurd. (Fortsetzung.)

Herr Hellwig, der für die Rolle des Yngurd Kraft, Kunst und Aufregung, wie niemand auf unserer Bühne, verband, hatte – das stellte sich jedem Unbefangenen aufs lebendigste dar – sich ganz mit dem Geiste und der Bedeutung seiner nordischen Heldenrolle durchdrungen und gab uns eine vollendete Kunstdarstellung, ohne doch durch Uebertreibung – die hier so leicht wäre – die sichern Linien zu überschreiten, über welche hinaus der Wurf nur durch Zufall gelingt. Den königlichen Löwen verkündete schon sein (vielleicht zu verschleierter) Auftritt im ersten Akt, und Löwe, obgleich der gehetzte und gefällte, blieb er auch noch, als er die Krone an Alf übergab. Doch nicht bloß die Ausbrüche der schnell auflodernden Leidenschaftlichkeit des Grimmes gegen die Flüchtlinge, der Verzweiflung über Verrath, der bis zur Mordlust entflammten Herrschbegier, auch die mit Ironie gesprochenen Vorwürfe, auch die weichen Anwandlungen der Gattenlieben und der Rückkehr zur Menschlichkeit gelangen ihm, weil er wußte, daß sie gelingen mußten, und so verleugnete er nie den Helden-Adel von Yngurds besseren Natur. Denn daß diese überall hervorblickend am Ende doch siegt, ist die einzige Versöhnung dieses oft ins Ungeheuere gehaltenen Charakters. Als das Gelungenste unter dem Gelungenen möchten wir zwei Scenen nennen. Die Scene des Wendepunkts, wo er, um uns eines kirchlichen Ausdrucks zu bedienen, mit Gott und mit dem Teufel ringt, wurde schauerlich groß und, so weit die Kunst vergessen werden darf, wahr gegeben. Er betete mit Inbrunst, um frei in sich selbst zu bleiben. So betete jener Homerische Held: nehmt die Wolke, die mich umdüstert, von mir! Da bringt Marduff die durch Irma’s Geständnisse und Asla’s dämonische Rede schon hochbewegte Brust des Königs in vollen Aufruhr durch die Botschaft, daß das Gräßlichste des Kriegs, Verrath, durch Egrösund verübt sey, und daß die abtrünnigen Schaaren brüllen: Oscar ist König, nieder mit dem Bauer! (dieß kann von Marduff nicht stark genug ausgerufen werden, da es den letzten Tropfen in den vollen Eimer gießt). Nun ruft er den Satan. Das mildernde Gefühl der Zuschauer fand dieß zu schroff. Dennoch konnte es nicht anders gegeben werden. Herr Hellwig sprach es unübertrefflich. Das die Höllengeister hervorstampfende Schwert zersprang. War es Zufall oder Absicht, es machte eine erschütternde Wirkung. Weit entfernt ein Lächeln zu erregen, schien selbst die zersprungene Klinge hier eine schauerliche Vorbedeutung. Wir ¦ möchten dieß stets wieder so sehn. – Nur eine Bemerkung verbürge dem kraftvollen Künstler unsere Aufmerksamkeit. Das weg ihr Weiber! womit dieser Höllenbann beginnt, müßte wohl mit einem furchtbar scheuchenden Vordringen des Hauptes und raschem Vorschreiten auf Irma und Asla zugleich mit einer zurücktreibenden Geberdung noch weit stärker hervorgehoben werden, als es dießmal geschah. Das sind ja die zwei guten Genien, die ihn zur Seite stehen. Wer sich dem Teufel ergiebt, verscheucht erst die Engel. Nun können auch die zwei Frauen noch weit erstarrenderes Entsetzen in stark rückwärts gebogener Stellung ausdrücken. – Die zweite trefflich gelungene Rede ist der Monolog, mit welchem Yngurd im 5ten Akt eintritt. In diesem eine zweimalige Ebbe und Fluth darstellenden Gemüthssturm entfaltete der Künstler eben so viel motivirte Steigerung und Senkung, als Hochgefühl, kurz eine Kunstdarstellung des denkenden und fühlenden Künstlers zugleich, welche, gestattete dieß der Raum, einer eigenen Entwickelung werth wäre. Dagegen dürfte vielleicht das stumme Zuspiel in einem der folgenden Auftritte, wo die wahnsinnige Brunhilde seinen erahndeten Mordgedanken in ihre Rede verkörpert, noch mehr Spiegel werden können. Er gab uns nur die innere Gewissensangst, indem er starr, in seinen Königsmantel eingehüllt, einwurzelte. Allein diese muß wenigstens in dem letzten Momente in der malerischsten Geberdung des Entsetzens sich nach außen hin gestalten. – Musterhaft und mit dem vielen Studium vermannigfaltigt war Herrn Hellwigs Königs- und Heldencostüm. Wir würden es ohne Bedenken allen Theatern, wo Yngurd noch auftreten wird, zum Vorbild empfehlen. Dabei sei aber uns in Absicht auf die Kopfumgebung noch eine doppelte Anfrage gestattet, ob die gespreizteren Adler-Flügel auf dem Helme für Yngurd nicht noch charakteristischer gewesen wären, und ob da, wo er am Ende ohne Kopfbedeckung eintritt, nicht durch eine struppigtere Haartour das Haupthaar noch wilder emporstehend zu machen gewesen wäre. – Im Allgemeinen aber fodert es nun die Gerechtigkeit, bei der Würdigung des Kunstverdienstes in dieser gewaltig ergreifenden und durchschreitenden Rolle den Umstand ja nicht aus den Augen zu verlieren, daß bei einem solchen Stücke, in jedem Augenblicke Schauspieler und Regisseur zugleich seyn, die Schwierigkeit der Aufgaben verdoppelt, und daß dem, der beiden Pflichten zugleich so gnüget, ein doppelter Kranz gebührt. Nie ist das Herausrufen, nach dem der Vorhang gefallen ist, mit größerem Recht einem Künstler zu Theil geworden als es, nach einer solchen Leistung, Herrn Hellwig wiederfuhr.

(Die Fortsetzung folgt.)

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbericht Dresden: König Yngurd von Adolph Müllner am 14. April 1817

Entstehung

vor 21. April 1817

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 95 (21. April 1817), Bl. 2v

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