Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 19. August 1817 (Teil 2 von 2)
Der anwesende Dichter zollte diesem so abgestuften Hinsterben seine aufrichtige Bewunderung. Doch versicherte er, alles vielmehr auf einen schnellen Schlagfluß berechnet zu haben, der die Walburg da tödte, wo die Verse des Liedes erklingen, die sie selbst nie hinaussingen konnte. Des breitern auseinander zu setzen, wie unter dieser Voraussetzung nun auch das ganze vorhergehende Spiel mehr dem stark knisternden Auflodern einer schnell erlöschenden Flamme gleichen müsse, wäre, einer so kunstgeübten Darstellerin gegenüber, Pedanterei, Anmaßung. Aber dies sey uns erlaubt zu bemerken, daß nichts Ungereimteres ausgesprochen werden könne, als diese Schlußballade, worauf alles ankommt, einen mystischen Singsang zu nennen, wie Berliner Kunstrichter gethan haben; so gern wir auch zugeben wollen, daß sie füglich um drei Strophen gekürzt werden könne oder vielmehr müsse. Gewiß ist es auch, daß durch rasches, in steigender Aufreizung den tödtlichen Eindruck gleichsam hervorlockendes Spiel der Sterbenden jener erkaltenden Erwartung bei den Zuschauern vorgebeugt werden würde, die Walburg müsse sich in irgend einer Wiedererweckung noch einmal zeigen. Denn mit dem Schwert, das Wilhelm auflegt, ist’s freilich nicht allein gethan!
Wir sprechen nur die laute und wiederholte Aeußerung des zufriedenen Dichters selbst aus, wenn wir Hrn. Hellwig’s Spiel in Wilhelms Rolle als sehr gelungen rühmen. Er ist das versöhnende, vermittelnde Princip in dieser Welt voll Trennung und Fehlschlagung, die rasche Lebendigkeit, die beflügelte Hast, womit er alles spricht und betreibt, wirkt um so wohlthätiger bei der Vorstellung, da manche andere Scene derselben ganz entbehrte und dadurch – laues Wasser aufgoß. Es würde übrigens einen argen Mißgriff beweisen, wenn man die Darstellung diese launenhaften Charakters – er nennt sich selbst ein Mittelding von Lamm und Tiger – für ganz leicht halten wollte. Hier sind selbst schroffe Uebergänge an ihrem Orte. Aber die Scene, wo ihn der Vater segnet, erträgt noch mehr Innigkeit und wahre Hingebung. Des Künstlers Vielseitigkeit erprobte sich auch diesmal durch das Singen der Ballade; der überall hinblickende Regisseur that dem darstellenden Künstler keinen Abbruch. Das ist nicht allen gegeben!
Auch Herr Kanow leistete als Axel alles, was ihm im Bereich dieser schwärmerisch-leidenschaftlichen, aber doch sanft hinschmelzenden Rolle zu lie ¦ gen schien, mit lobenswürdiger Mäßigung einer Kraft, die am wenigsten hier eines äußern Reizmittels bedarf. Er hatte höchst gemüthliche Momente, rührende Naturtöne. Die Worte des Sterbenden: Wilhelm, war ich Dein Freund? die zu den schönsten Zügen des Dichters in diesem Stücke gehören, und der letzte Ruf an Walburg, wurden mit ergreifender Wahrheit vorgetragen. Eine übrigens bei dieser Vorstellung ganz weggebliebene Stelle, wo Walburg bei der ersten Wiedererkennungsscene sagt
– wie hast Du Dich verändert!Ich sehe kaum im Kinn das schelmische GrübchenVor lauter schwarzen rauhen Locken mehr,Barbar, wie du geworden –kann leicht zu dem Irthum führen, als müsse sich Axel absichtlich eine wilde, vielbehaarte, struppige Gesichtsmaske anbilden. Hier hatte Herr Kanow wirklich der Sache etwas zu viel gethan.
Herrn Burmeister’s Kanzler gefiel allgemein durch Anstand und gemüthliche Herzlichkeit, besonders in der Scene, wo er die auf ewig zu trennenden, die vor ihm knieen, segnet, und wo er den durch Leidenschaft verblendeten Hakon das Gesetz zu ehren nöthigt. Der schleichende Bube Knud, ihm gegenüber, wurde mit aller Kälte und Schadenfreude von Herrn Geyer vorgetragen, die der Dichter in diese Rolle (in welcher übrigens manche Reminiscenzen aus Lessing’s Klosterbruder im Nathan vorkommen) legen wollte. Auch die arme Sünder-Angst beim Ausröcheln seines Geistes gelang sehr gut; wiewohl in dieser ganzen Scene voll schauerlichen Gespenstergraus der Dichter dem Schauspieler manches zumuthet, was, wenn es nicht gelänge, nicht auf ihre Rechnung gesetzt werden könnte. Ueberhaupt fehlte dem fantasiereichen Dichter, als er dies Trauerspiel vor mehrern Jahren zuerst auf die Bühne brachte, die Kenntniß des Theaters noch gar sehr. Man darf, um sich davon zu überzeugen, nur einen prüfenden Blick auf die folgende Scene werfen, wo die eingedrungenen Feinde auf eine völlig unbegreifliche Weise so lange stehen bleiben müssen, bis Axel und Hakon ihren Großmuthsstreit zu Ende gebracht haben. Doch dergleichen Kleinigkeiten können den Eindruck des Ganzen nicht mindern noch stören. Das Ganze hat so viele herzergreifende und aus der Tiefe der Menschenbrust hervorgegriffene Situationen, und wird durch unsern Künstlerverein mit so viel Liebe gespielt, daß wir seine Aufnahme in das hiesige Repertorium für einen wahren Gewinn für unsern Kunstgenuß halten und auf öftere Wiederholungen antragen dürften.
Apparat
Zusammenfassung
Aufführungsbericht Dresden: „Axel und Walburg“ von Adam Oehlenschläger am 19. August 1817
Entstehung
vor 2. September 1817
Überlieferung
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Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 210 (2. September 1817), Bl. 2v