Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 25. November 1817
Am 25. November. Zum erstenmale: der Vorposten. Schauspiel in 5 Akten von H. Clauren.
Der Dichter benutzte eine auch in öffentlichen Blättern zu seiner Zeit verkündigte Anekdote zu dieser dramatischen Dichtung. Doch ist sein Lieutenant Kruse mehr Geschöpf der Fantasie. Das Mädchen, das hier als Uhlanen-Lieutenant auftritt, kämpft nicht vor Heerd und Vaterland, sondern wird Held aus Lebensüberdruß und fehlgeschlagener Liebe. Wenn schon alle militärische Stücke in Plan und Aufführung ihre eigne Schwierigkeit haben, so wächst diese ungemein, wenn die Verwicklung durch ein verkleidetes Mädchen herbeigeführt wird. Unser Lieutenant Kruse ist nun gar ein wohlberittner Uhlanen-Lieutenant und kommt als solcher vor unsern Augen aufs Bivouak oder auf dem Vorposten angesprengt. Dergleichen Amazonen sind stets auf unsern Bühnen selten darzustellen gewesen. Die unsre besitzt an Dem. Schubert eine Schauspielerin, die durch körperliche Geschicklichkeit und Anstand eine solche Rolle mehr als glaubwürdig machen konnte! Es wäre zu weit gegangen, wenn man behaupten wollte, das ganze Stück sey nur ein Rahmen für die recht malerisch geordnete Bivouakscene im dritten Akt, wo man mehrere Pferde im Hintergrunde erblickt, wo wacker auf- und abgeritten wird und wo endlich der aus einem Vorpostengefechte siegreich, doch leicht verwundet, zurückkehrende, weibliche Held selbst zu Pferde ankommt. Die Scene wurde sowohl von Dem. Schubert als auch von allen ihr zugeordneten Schnurrbärten unverbesserlich ausgeführt und mag allerdings für die genießende Schaulust eine besondere Augenweide gewesen seyn. Doch hat der Dichter, dem in lebendiger Fantasie viele Hülfsquellen und Witzspiele zu Gebote stehn, durch mancherlei Einflechtungen und Verwicklungen Scherz und Unterhaltung hinein zu weben gewußt. Er knüpft an eine Reihe Kriegsscenen die Leiden und Freuden eines doppelten Liebespärchen an, deren Verhältnisse sich mannigfach durchkreuzen, setzt unsre Lachmuskeln durch die fantastische Erscheinung des Majors Rodomontow und der Frau von Gall in vielfache Bewegung, besticht unser Gefühl durch die muntere Naivität seiner Cäcilie, und läßt die Kritik durch rasches Fortschreiten dessen, was hier Handlung heißt, weniger zum Worte kommen. Diese wird freilich hie und da den Kopf schütteln und bemerken wollen, daß alles an einen leichten Faden loß und locker angereiht sey, wird manchen Ausdruck für ein Schauspiel, wo selbst der Unteroffizier Schläger noch ein sehr gebildeter Mann ist, fast zu niedrig finden, wird gegen die Parodie aus Lessing, Schiller und Müllner und selbst gegen diese Persiflirung der französischen Bühne allerlei einzuwenden haben. ¦ Dennoch ging, wer nicht absichtlich grämelte, wohlgemuth daraus nach Hause.
Denn es wurde, mit geringer Ausnahme, mit einer Rundung im fröhlichen Zusammenspiel und mit eingreifender Raschheit gegeben. Dieß beweißt, daß es den Schauspielern selbst Vergnügen machte. Und diesen gebührt doch auch dabei eine Stimme, da sie es auch sonst gnüglich beweisen, daß sie mündig sind. Dem. Schubert, als Lieutenant Kruse, erheiterte durch ihr wohlgehaltenes Spiel alle Zuschauer, die sich überhaupt durch die Zartheit und Weiblichkeit eines Uhlanen-Lieutenants mit so glattem Kinn gewinnen lassen wollten. Der Dichter läßt ihr in dem fast zu weinerlich vorgeschriebenen Monolog im dritten Akte sagen: „abgeschworen habe ich auf der Standarte mein ganzes Geschlecht.“ So erscheint sie, wo sie gleich beim Eintritt am Wachfeuer die Befehle austheilt, wirklich. Wenn sie in zierlicher Frauenkleidung auftritt und ihren Kameraden (die Scene ist gut angelegt) Lebewohl sagt, hat sie auf einmal den Lieutenant ganz vergessen. Die schöne Atlasrobe ist ja so bräutlich. Aber gut zum Ganzen berechnet legt sie Cäcilien das Geständniß ab: ich bin Frauenzimmer; sehr malerisch ist ihr Schrecken bei des Barons Silberg zweiten Erscheinung, sehr gemüthlich ihre Hingebung an den General, der von Herrn Schirmer recht brav und väterlich gespielt wird. Kurz, sie ist uns hier öfters neu und vom falschen Pathos gelößt erschienen, und hat es zweifelhaft gelassen, ob sie dem Dichter, oder der Dichter ihr mehr verdanke. – Mad. Schirmer, als Cäcilie, gab ohne alle Anstrengung aus der Fülle ihrer Lieblichkeit eine ihrer gelungenen Darstellungen, muntere Schalkhaftigkeit mit naiver Gemüthlichkeit, ohne füßlichen Nachgeschmack von Empfindelei, ohne allen Schein von Kunst, doch sehr kunstreich vereinigend. Wie beredt wurde im meisterhaft nuancirten Monolog im ersten Akt die Platzvertheilung des: hier Liebe! angedeutet! In der (auch rauschend beklatschten) Scene, wo sie den verbotenen, aber süßmundenden Liebeszucker aus dem Taschenbuche nascht, drückt sie das liebe Büchelchen, wie wohl eine andere gethan haben würde, nicht ans Herz, sondern verdeckt vielmehr muthwillig mit der Hand die Hälfte des Blatts, um ihre Lüsternheit selbst zu strafen. Wie drollig läßt ihr am Ende der kleine Anflug von Eifersüchtelei, wie persiflirt sie durch Handhabung des Hirtenstabs! Nur einmal könnte es scheinen, sie sey aus der ihr eigenthümlichen Gewandheit, der stets das rechte Licht aufgeht, gefallen, wo sie auch Soldat werden will. Der Dichter will es aber so. Die treffliche Künstlerin spielte auch dießmal im stummen Nebenspiel unausgesetzt fort bis zum letzten Wort der Friedens-Gesundheit.
(Der Beschluß folgt.)
Apparat
Zusammenfassung
Aufführungsbericht Dresden: „Der Vorposten“ von Carl Heun am 25.November 1817 (Teil 1 von 2)
Entstehung
vor 12. Dezember 1817
Überlieferung
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Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 295 (10. Dezember 1817), Bl. 2v