Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Don Carlos“ von Schiller am 8. August 1818 (Teil 2 von 2)

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Don Carlos.
(Beschluß.)

Die sehr schwierige Scene mit der verführerischen Eboli nahm er ganz mit jener reizenden Arglosigkeit und Unbekanntschaft mit den ersten Regungen der Sinnlichkeit, wodurch allein dieser Auftritt sich zum Schauspiel eignet. Nie darf er vergessen, daß der Kuß, den er der Prinzessin giebt, der erste seines Lebens und also gewiß tugendhaft ist. Sein verliebter Wahnsinn, wie ihm der Page den Schlüssel und das Briefchen gebracht hat, die Hingebungsscene an Posa, besonders, wo er ihm nach Einhändigung des zurückbehaltenen Briefs an den Hals fällt, der Sturm auf das Herz des Vaters wird schwerlich besser verstanden werden können. Dabei bleibt er doch immer Infant. Das vornehme Zerstreutseyn und der Spott gegen Alba ließen uns auch dies fühlen. Bei der zweiten Vorstellung gelang das zwischen Zorn und Verzweiflung entstellte Mienenspiel bei der dritten Verweigerung des Vaters, wie es der Philipp zur Aeußerung bringen kann: was wollen diese Mienen sagen, noch sprechender.

Mit gespannter Erwartung des Publikums spielte Hr. Geyer zum erstenmale die Rolle des Königs. Maske und Costüm, bis auf dem erhöhenden Kothurn, waren mit Kunstsinn malerisch gewählt. Für den denkenden Schauspieler ist in dieser Rolle mehr Gefahr vor zu vielen Rückfällen in die Menschlichkeit, als vor dem Abstoßenden des Despoten. Aus Schiller’s eigenen Beurtheilung und aus der stets ungern vermißten Scene mit dem Großinquisitor geht daher hervor, daß es nur leise Menschlichkeitsschauer seyn können, die den ergrauten Dämon des Südens anwandeln. Meisterhaft vorbereitet und gesprochen wurde in der zweiten Vorstellung das: „ich bin allein,“ wogegen das bekannte: „der König wacht und Tag soll seyn!“ noch weit rascher und gewaltiger gegeben werden möchte. Das ganze Zuspiel in den zwei Hauptaudienzen von Carlos und Posa war tüchtig durchdacht und durchgeführt. Nur glauben wir, daß jene Worte gegen Carlos: „das Messer meinem Mörder!“ im Vorschreiten und mit einer noch weit größern Indignation gesprochen werden müßten. Hier lodert die Flamme aus dem Krater des Eisberges. Ueberhaupt wünschten viele dieser köstlichen Maske noch etwas mehr leidenschaftliches Muskelspiel. Aber das Ganze beurkundete den Künstler. Wir freuen und dieses Gelingens um so mehr, als dadurch mancher vorlaute Zweifel beschwichtigt und für ihn eine Rolle gewonnen wurde, die seiner ganz würdig ist, und in welcher der sich selbst nie gnügende, stets fortdenkende Darsteller noch manchen vollendenden Pinselstreich eintragen wird. – Auch den für kleiner geachteten Rollen wiederfuhr ihr Recht, so weit die Abkürzung dies erlaubte. Hr. Werdy sprach als Alba sein: „ich will es!“ bei der zweiten Vorstellung weit kräftiger. Man irrt, wen man ihn zu gemessen spielt. So schildert ihn weder die Geschichte noch der Dichter.

Die Rolle von Mad. Schirmer, als Elisabeth, ward schon lange für eine ihrer gelungensten Leistungen gehalten. Sie spielt nicht, sondern ist diese Königin selbst, ganz so, wie sie Posa in einer bei uns weggelassenen Stelle (S. 149. der Werke) schildert – sie wandelt

in angeborner stiller Glorie,gleich ferne von Verwegenheit und Furcht,die schmale Mittelbahn des Schicklichen.

Nur mache man sie ja nicht zu einer bloßen Anstands¦puppe. Sie liebt Don Carlos, ehrt aber die Frauenwürde. Viele, die wir sonst diese Rolle spielen sahen, vergaßen, daß sie eine Valois, die einzige Französin unter diesen spanischen Staatsfiguren und selbst dem König gegenüber frei ist. Wir wußten es also unserer Künstlerin, besonders bei der zweiten Vorstellung, großen Dank, daß sie manches mit zarter, doch unbefangener Munterkeit bezeichnete. Sagt sie doch selbst zu Posa: „ich habe Muth!“ und mit einem kräftigen Selbstgefühl tritt sie in der berühmten Scene, die mit dem Hinsinken endet, dem Unhold entgegen, der sich als ihr Gemahl so sehr vergißt. Um so ergreifender wirkte das meisterhaft gespielte, bis zum Erstarren gesteigerte Erstaunen beim Anblick des Medaillons. Das: „ich will es nicht!“ kann vielleicht in der Stimmung, worin sie gedacht werden muß, noch stärker gesprochen werden, schwerlich bestimmter. Zu den interessantesten Punkten rechnen wir gleich zu Anfang das stumm-beredte Spiel, während Posa die Geschichte von der Mathilde in Mirandola erzählt, und die doppelte Zurechtweisung, womit Sie des Carlos Leidenschaftlichkeit gleich darauf dämpft. Gewisse Tonfälle und Sänftigungen der Stimme können nur von dieser Künstlerin mit solcher Anmuth aus dem tiefen Quell der Empfindung so ausgesprochen werden. Wir erinnern hier nur an die Schlußworte: „in meinem Frankreich war’s doch anders!“ und an jenes Hingebende: „was machen sie aus mir?“ Auch sprach sie da, wo die Eboli beichtet, das dritte: „Sie, Sie konnten,“ mit einer Mäßigung aus, die nur wahrer Seelenadel giebt. Sie erscheint, der foderung des Stücks gemäß, in einem dreifachen Costüm. Jedes macht dem Geschmack der Künstlerin Ehre. Doch wird das zweite wohl vor allen den Preis davon tragen. – Daß die Eboli zu spielen eine der schwierigsten Aufgaben auf unsrer Bühne sey, wissen wir aus Schillers eigenem Geständnisse. Ihre Verwerflichkeit entspringt aus derselben Quelle, aus welcher die Verirrungen der Elvire in der Schuld abzuleiten sind. Sie liebt mit derselben südlichen Glut, nur ist sie am Hofe Philipps noch vertrauter mit den Künsten der Verführung. Nur dann wird sie auf der Bühne ohne Anstoß erscheinen können, wenn sei es und begreiflich macht, wie sich Elisabeth und Carlos in ihr so lange täuschen konnten. Sie muß am Ende, durchdrungen von ihrer hoffnungslosen Liebe, Reue fühlen, nicht spielen. Wenn Mlle. Schubert, der diese Rolle zu Theil wurde, noch nicht in allem gnügte, und besonders im Monolog, nachdem Carlos triumphirend mit dem erbeuteten Brief weggegangen ist, die Uebergänge noch nicht ganz in einander verschmolz: so müssen wir bedenken, daß wohl jahrelanges Studium erst zur Meisterin in einer solchen Rolle erhebt. Auch war das Publikum durch Vergleichung mit der unvergeßlichen Künstlerin, die früher diese Rolle spielte, zu einem strengen Urtheile gegen die Nachfolgerin aufgereizt. Wir enthalten uns daher jetzt aller weitern Kritik, und bemerken nur noch, daß in so welt- und menschenkundigen Stücken auch zuweilen Sentenzen, als solche, vom Publikum ergriffen und hervorgehoben, als ein schönes Gemeingut des gebildeten Theils der Zuhörer angesehen werden können. Wir hörten einst in Weimar folgende Stelle in Posas Bemerkung an Don Philipp mit großer Begeisterung beklatschen:

Und etwas lebt noch in des Weibes Seele,Das über allen Schein erhaben istUnd über alle Lästerung – es heißt:Weibliche Tugend!Böttiger.

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Don Carlos“ von Schiller (Teil 1 von 2), der erste Teil erschien in der vorigen Ausgabe

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Albrecht, Christoph; Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 2, Nr. 198 (20. August 1818), Bl. 2v

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