Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Don Carlos“ von Schiller am 8. August 1818 (Teil 1 von 2)
Sonnabends, den 8. August. Im K. Theater in der Stadt: Don Carlos, Trauerspiel in fünf Akten, von Schiller. (Neu einstudirt nach dem von Verfasser zur Vorstellung vorbereiteten Manuscript). Wiederholt den 11. August.
¦In einem gewissen Sinne ist stets die Sicherheit die Mutter des Gelingens. Das ist die einzige Kühnheit, der ein bekanntes Sprichwort die Gunst des Glücks zusagt. Diese Sicherheit kann bei der ersten Vorstellung eines neuen oder auch nur neu einstudirten Stücks kaum statt finden. Da ist, mancher noch nicht abgeglätteter Rauheiten im Maschinerie- | und Statisten-Unwesen noch gar nicht zu gedenken, der Schauspieler weder mit den Zuspielenden noch mit dem großen Resonanzboden oder Reflecturspiegel, das heißt, dem Halbkreise der Zuschauer schon ganz im Klaren. Was weggenommen oder zugesetzt, verstärkt oder gemildert werden muß, das ertastet der wahre Künstler erst mit allen Fühlfäden, die ihm zu Gebote stehn, bei der zweiten und den folgenden Vorstellungen. Die zweite Vorstellung dieses seit 3 Jahren zuerst wieder in sehr vortheilhaft veränderter Besetzung und Erneuung auf unsre Bühne gebrachten, vielbestrittenen, selten rein aufgefaßten Stücks bestätigte diese Erfahrung. Vieles ging runder und ergreifender. Die verstanden daher ihren Genuß wenig, die es nicht einmal der Mühe werth hielten, einer zweiten Vorstellung beizuwohnen. Hier reifte die Frucht, die dort, um mit Jean Paul zu reden, dem lüsternen Zahne noch manche harte Stelle darbot. – Alle Hauptrollen, bis auf eine, waren mit den entschiedensten Talenten unsrer Bühne besetzt. Das Stück war aus seiner alten Unform, die es bei uns früher größtentheils erdrückt hatte, verständig hergestellt; vieles was selbst Schiller für die Aufführung gestrichen haben soll, mit Einsicht wieder eingefügt. Es dauerte bei raschem Spiel, bei kaum Minuten lang eintretenden Pausen zwischen den Akten fast 4 Stunden. So war die Erzählung, womit Posa gleich Anfangs die Königin erprobt und vorbereitet, ganz hergestellt. Die Costüms waren größtentheils neu und kostbar. Auch auf einzelne Scenereien, wie z. B. die Gruppirung der zwei Pagen am königlichen, malerisch beleuchteten, Baldachin-Bette in einer Mittel-Nische des Hintergrundes, war gedacht. Ur der eigentliche Audienzsaal bot in seinem Hintertheil eine unerfreuliche, veraltete Gallerie und Säulenstellung dar. Auch ist der Schuß am Schluß, worauf Elisabeth in Ohnmacht in Carlos Arme sinken soll, eine störende, ja irre leitende Ungehörigkeit.
Bei einem übervollen Hause war bei der ersten Vorstellung eine große Aufregung und Erwartung unverkennbar. War doch die Vorstellung selbst gleichsam ein Wiedervereinigungsfest des bisher durch Badereisen und andere Abwesenheiten zum Theil zerstreuten Theaterpersonals. Unsere Schirmer, der mit Recht allgemein gefeierte Liebling des Publikums, betrat nach einer fast dreimonatlichen Entfernung von der Bühne, ihrer Gesundheit und vorigen Heiterkeit wiedergegeben, als Elisabeth zum erstenmal wieder die Bühne. Bedurfte sie auch selbst des lauten Jubels, womit sie empfangen wurde, weder zur Aufmunterung – denn sie gehört zu den wenigen, die nie um die Gunst des Publikums buhlten – noch zum Maßstabe ihres Werths, so zahlte doch das Publikum eine unläugbare Schuld. Uebrigens blieben in beiden Vorstellungen die gelungensten Stellen im ersten Akt ohne Beifallsäußerung, weil es ja nur der erste Akt war, wo insgemein die erstarrte Bedächtigkeit noch nicht aufgethaut ist. – Die Hauptrolle des Stücks (auch nach Schillers Eingeständniß in den 12 Briefen über dies Stück im deutschen Merkur von 1788, und daraus im 4ten Theile seiner sämmtlichen Werke, das Studium jedes Schauspielers, der dies Hohe begehrt) bleibt Posa mit seiner Begeisterung für Republikanismus und Gedankenfreiheit, der alles übrige, auch seine Freundschaft zu Carlos, tief untergeordnet bleibt. Hr. Hellwig hatte sie mit großem Eifer neu einstudirt und ärndete beidemal in den letzten Akten, wo Carlos so sehr zurücktritt, entschiedenen Beifall, befriedigte aber das zweitemal auch durch die berühmte Unterredung mit Philipp und den vorbereitenden Monolog, und erhielt darin die lauteste Anerkennung. So viel sich nur mit einem erfahrnen und chevaleresken Weltmann, der nie den Hofanstand verletzen kann – die gewöhnlichen Posa’s thun es ¦ nur allzuoft – vertragen mag, treibt der schwärmerische Idealist sein Geschäft, Feuerflocken in die Seele des Despoten zu werfen, mit der feurigsten, durch den Erfolg stets im Ausdruck gesteigerten Schwärmerei. Indem sich Hr. Hellwig in der zweiten Vorstellung diesem Feuer rücksichtloser hingab, trat alles in das rechte Verhältniß. Wir sahen wirklich die Glut der Begeisterung und sie erwärmte auch uns in einzelnen Stellen. Nur da, wo Philipp von der Ruhe spricht, die er den Flammändern gönne, fiel Posa mit seinem furchtbaren: Die Ruhe eines Kirchhofs! noch immer nicht kräftig genug ein. Er kann sich ja nun alles erlauben und er erlaube sich’s. Alle Malerei durch Declamation und Geberde ist hier nur untergeordnet. Der göttliche Funke, der im Dichter selbst zur Himmelsflamme aufloderte und ihn in dieser Unterredung zum Seher künftiger Jahrhunderte erhob, muß auch in der Brust des darstellenden Künstlers einen reinen Altar finden. Alles ist verloren, wo hier nur gespielt wird. Ja es ist eine von den wenigen Scenen, die alle blos kunstgerechte Berechnung zur Bettlerin macht. Für eine der schwierigsten Aufgabe ist stets die Scene gehalten worden, wo er die Eboli ermorden wollte. Liegt doch in dieser Scene überhaupt die Lösung des Stücks und die ganze Peripetie. Sie gränzt, wie alles was auf die Spitze gestellt ist, bei dem geringsten Mißgriff, bei einer kleinen Mißgeberdung, besonders der Schauspielerin, der die Eboli zu Theil wurde, ans Lächerliche. Der prägnanteste Moment in dieser inhaltschweren Scene ist nun wieder, wo im Posa der große Gedanke der Selbstaufopferung statt der Ermordung der Eboli aufdämmert. Noch giebt’s ein andres Mittel! ruft er nach einer kurzen Besinnung. Aber in dieser Besinnung muß sich das größte Spiel entfalten können. Es ist eine Verklärung der Schauspielkunst. Wir zweifeln nicht, daß Herrn Hellwig hier noch viele Mittel zu Gebote stehn, uns diesen Uebergang aus einem Endpunkte in den andern recht zu veranschaulichen. Wie gern hätten wir den von Schiller selbst noch hinzugedichteten Monolog, welchen Wolf in Berlin als ein Vermächtnis des Dichters besitzt und als Posa noch einzufügen pflegt,*) auch hier gehört. Sein Keines! auf die wiederholte Frage der Königin: giebt’s kein Mittel mehr? klingt noch in seiner Dämpfung in unserm Ohr. Mit dem lautesten Beifall wurde sein meisterhafter Austritt nach der der letzten Unterredung mit der Königin aufgenommen. So nur muß das vielen dunkel gebliebene: Das Leben ist doch schön! genommen und gesprochen werden. Im Worte der Königin: ich schätze keinen Mann mehr! Liegt die schmeichelhafteste Anerkennung. Das bringt nun zu jenem augeblicklichen Rückfall in die süße Gewohnheit des Lebens. So wollte auch Schiller selbst diese ganz verschiedene Seelenlage verstanden haben!**)
Hr. Julius, als Carlos, vermochte zwar mit aller Kunst sich nicht bis zum zarten Duft der ersten Liebesschwärmerei zu verjüngen – solche foderung gränzt an’s Lächerliche, – gab aber die dem Carlos eigne Weichheit „das Aufgelöstseyn in einem schmerzhaft wollüstigen Zustande des Leides“, wie Schiller in seinen Briefen die Seelenstimmung des durch Liebe entnervten Infanten selbst charakterisirt, mit dem lebendigsten Erfassen. Er fühlt beim Spiel, nachdem er beim einstudiren gedacht hatte. Er brachte Einheit in seinen Charakter, den der Dichter selbst vielleicht in den letzten Akten ganz anders gestaltete.
(Der Beschluß folgt.)
Apparat
Zusammenfassung
Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Don Carlos“ von Schiller (Teil 1 von 2), der zweite Teil folgt in der nächsten Ausgabe.
Entstehung
–
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Albrecht, Christoph; Fukerider, Andreas
Überlieferung
-
Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 2, Nr. 197 (19. August 1818), Bl. 2r