Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Don Gutierre, der Arzt seiner Ehre“ von Joseph Schreyvogel (unter dem Pseudonym C. A. West) am 9. November 1819 (Teil 2 von 2)

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Don Gutierre.

(Beschluß.)

In Herrn Hellwig’s Don Gutierre war ein fortgesetztes Studium unverkennbar. Aber der geübteste Künstler wird, wo ihm als Regisseur noch so manche andere Sorge obliegt, erst nach vielen Vorstellungen ganz fest, wird auch da noch manches nachzubessern und auszubilden finden. Die südliche Galanterie des fortliebenden Gatten, welcher, mit Entzücken die Gemalin umarmend, ausruft: – „nur schöner acht’ ich die Perle, die mir eigen ist“, wurde gleich in der ersten Unterredung dießmal recht lebendig gegeben; der herrliche Monolog – es giebt nur wenige auf unserer Bühne ihm vergleichbare – wurde im Kampfe der zwei Seelen in seiner Brust sehr richtig motivirt, und weit mehrere Stellen gelangen durch Mäßigung und gutes Gebehrdenspiel, wie das Niersinken am Stuhl, als er das Aechzen der Sterbenden vernimmt. Durch ausdruckvolle Gebehrden und Kraft der Stimme ward auch dießmal dem bis zum Wahnsinn gesteigerten ersten Ausbruche der Eifersucht, der in Ohnmacht sinkenden Gemalin gegenüber, sein volles Recht. Nur dürfen Verständlichkeit und periodischer, durch keine falsche Pausen unterbrochener Wortfluß, auch beim heftigsten Donner der Rede, nicht aufgeopfert werden. Sonst prasselt’s ohne zündende Flame bei den Zuhörern. Wir sind überzeugt, daß Don Gutierre’s Rolle, wäre es auch erst nach der zehnten Vorstellung, in südliche[r] Gluth und im höchsten spanischen Ehrenpunkt vollendet durchgeführt, allein schon die volle Meisterschaft begründet. Da verlohnt sich’s ja wohl der Mühe, die Sehne des Ulyssisbogen Tagelang anzuziehn. Othello’s Wuth ist gräßlich (aber als psychologisches Gemälde meisterhaft gesteigert), Gutierre’s Blutdurst doch nur schauderhaft. Jene entspringt aus thierischer Sinnlichkeit und beruht auf purer Eifersucht. Dieser entsteht allein aus der höchsten Motive des südlichen Rittergeistes, der Ehre. Er selbst, wie aus seiner Rede mit dem König hervorgeht, hält nicht einmal seine Gemalin des wirklichen Ehebruchs schuldig. Daher muß Gutierre, selbst in den furchtbarsten Ausbrüchen und Drohungen, nicht aus dem Würdevollen, wahrhaft Vornehmen des Tones und Anstandes fallen, und hier tritt wirklich der seltene Fall ein, daß der darstellende Ausdruck hinter dem Sinne der Worte stehen bleiben kann. Herr Julius gab die Gluth der Leidenschaft und die Raschheit nächtlicher Thaten in der Rolle des feurigen, sich alles erlaubenden Infanten mit vieler Kunst. Wer so spielt, wird billig nicht um sein Alter gefragt. Wie wahr sein Spiel und der Vortrag des kleinen Monologs, wie ihn Jacinta in den Garten führt! Herr Werdy ließ uns auch dießmal im Könige von Castilien den strengen König erblicken, ohne – was hier so leicht wäre – durch schroffe Härte irgendwo abzustoßen. Calderon wollte ja auch in diesem, in der Geschichte mit dem Beinamen des Grausamen belegten, Don Piedro das Muster eines Herr¦schers, wie er sein soll, aufstellen. In blühender Mannesfülle – so dachte ihn der Dichter – darf er nirgends der Raschheit in Wort und Bewegung entbehren. Die Scene, wo er sich vom Bruder verwundet fühlt, muß, weil in West’s Bearbeitung der alte Bruderzwist nur leise angedeutet ist, sehr gut gespielt werden, um nicht unwahrscheinlich oder lächerlich zu seyn. Herr Werdy lös’te die Aufgabe mit vieler Einsicht. So erhielten auch die übrigen Rollen ihr Recht. – Als denkende und fühlende Meisterin lös’te auch dießmal Mad. Schirmer ihre Aufgabe in der Rolle der Donna Mencia. Auch wir schätzen in ihrem Spiel die gewaltigen Effekte, wo sie der Gatte in der Malerei seines blutdurstigen Zorneifers niederdonnert, und wo sie an den eisernen Fensterstäben rüttelt, weil die darauf folgenden Ohnmachten wahr sind. Doch noch weit höher bringen wir in Anschlag den ihr ganzes Spiel durchdringenden Hauch von Todesschauer und Ahnungen, die endlich gar Blut werden, wodurch sie die feinen, vorbereitenden Winke des Dichters so geistig hervorhebt und unsere Brust beklemmt; und dann wiederum den Ausdruck der zartesten Sitte und unbefleckten ächt spanischen Ehrbarkeit, wobei sie zwar dem Doppelsinne der Situation, aber nie des Wortes und der Aeußerung unterliegt. Die Hälfte der tragischen Wirkung wäre schon verloren, wenn auch nur einer ihrer Gedanken, trotz aller wieder erwachten Leidenschaft, das Wort Schlange! verdiente. Allein bloß künstliche Decenz reicht hier nicht aus. Es muß von innen kommen. Eben darum wird man aber auch die anschmiegende Bitte, nachdem der Anblick des Dolches sie verwirrte: „vergieb, ich war nicht schuld!“ nicht für Verstellung zu rechnen und selbst das Schreiben des Billets im Alcoven nur für ein Unvermeidliches, in dieser wahren Schicksalfabel zu halten geneigt seyn. Der vergißt, daß wir im heißen Andalusien uns befinden, wer eine Zweideutigkeit in ihrer Wiederkehr zur Terrasse in der zweiten Nacht findet und überhaupt die südlichen Bilder, mythologischen Anklänge und Witzspiele mit nordischem Maßstabe mißt. Diese Rolle gehört gewiß zu der gelungensten der gefeierten Künstlerin. auch Dlle. Schubert gab in der Rolle der Leonora den Hauptstellen allen leidenschaften Ausdruck, den der Dichter verlangt, und wirkte so, unterstützt von der Anmuth ihrer Gestalt, zum Gelingen des Ganzen. – Bei einer solchen Leistung, wo allen Mitspielenden es so Ernst ist, die Palme des Lobes zu gewinnen, mag es zwar recht bequem seyn, sich allen Eindrücken genießend und mitfühlend still hinzugeben. Allein die Lebenslust, in welcher diese Kunst sich bewegt, ist lauter Beifall. Wie nennen wir im gemeinen Leben ein besaitetes Instrument, das keinen Resonanzboden hat und doch keine Aeolsharfe ist?

Böttiger.

Am 10. Nov. Wallensteins Lager. Und darauf: Der Verräther, Lustsp. von Holbein.

Am 13. Nov. Il turco in Italia. Herr Häser sang den Selim.

Am 14. Nov. Don Gutierre.

Apparat

Verfasst von

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Don Gutierre, der Arzt seiner Ehre“ von Joseph Schreyvogel (unter dem Pseudonym C. A. West) am 9. November 1819 (Teil 2 von 2). Der erste Teil erschien in der vorigen Ausgabe; dazu die Chronik vom 10. bis 14. November 1819.

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 282 (25. November 1819), Bl. 2v

    Einzelstellenerläuterung

    • leidenschaftenrecte „leidenschaftlichen“.

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