Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Agnes van der Lille“ von Johanna Franul von Weißenthurn am 25. März 1819 (Teil 2 von 2)

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Agnes van der Lille.

(Beschluß.)

Der Aufführung selbst können wir nur Gutes und Gelungenes nachrühmen. Mad. Werdy spielte mit Würde und Tiefe die bedrängte und affektvolle Mutter. An ihr lag es gewiß nicht, daß nicht die Zuschauer tiefer bewegt und in dieser Bewegung bis zum Ende erhalten wurden. Meisterhaft war der Ausdruck in Ton und Geberde, als sie dem Alba zu Füßen stürzte, um ihr Kind zu retten. Untadelhaft das Wechselspiel mit Agnes, als sie die Tochter in ihr erkennt, und nun das Geständniß auf ihrer Zunge schwebt; erschütternd der Ausruf: „Großer Gott, des eignen Busens Kind!“ wahr und ergreifend die Ermattung, womit die Hoffnungslose in Oraniens Zelt eintritt. Wir haben die Bemerkung aussprechen gehört: sie habe vieles, als eine bloße Bürgerin von Antwerpen, zu hoch-tragisch genommen. Allein sie gehört nicht dem niedern Stande an. Das Volk rühmt ihre Wohlthätigkeit (daher würde auch wohl dem übrigens sehr gut gewählten Costüm eine Beuteltasche, an einer langen Kette herabhangend, wohl gethan haben). Der Bürgermeister der Stadt ist Hausfreund. Und die so geängstigte Mutterliebe hat nur Einen Ausdruck. Wohl aber möchten wir der denkenden Künstlerin anheimstellen, ob sie gewisse Bilder und Blumen, womit Frau von Weissenthurn manche Tirade nur zu freigebig ausgestattet hatte, nicht mit zu großer Liebe ausgemalt, und dadurch das Unwahrscheinliche, ohne ihrem Willen, noch verstärkt habe? – Mad. Schirmer, als Tochter und Heldin des Stücks, gab, gleich beim ersten Eintritt, das aufgeschreckte, leidenschaftlich-bewegte Klostermädchen mit alle der Reizbarkeit, wodurch ihre spätern Entschlüsse allein glaubwürdig erscheinen können. Die Erzählung der Nachtscene in der Kirche würde von jedem andern Publium den lebhaftesten Beifall erhalten haben. Wie öffnete sich ein Himmel in ihren Minen bei den Worten: „Die Sonne kam, ich sah den Himmel offen!“ Das ermuthigte, die Mutter zur Flucht fortreißende Mädchen hätte vielleicht bei den, den spätern Entschluß vorbereitenden Worten: „Die eigne Brust, ich biete sie zum Schild,“ die Geberde der schützenden Umarmung noch malerischer darstellen können; allein, wie sollte denn später eine Steigerung möglich seyn? Tiefergreifend war ihr Spiel, wo sie als Jüngling im einfachen, aber sehr geschmackvoll gewählten und umgürteten Waffenrock auftritt, besonders, als die Mutter gerufen wird, im Ausdruck der steigenden Angst, des Aufhorchens auf ihren Fußtritt, des absichtlich weggewandten und gesenkten Hauptes und des schnellen Sprechens und Unterbrechens, wo die Mutter ihr Geschlcht verrathen will. Eine herrliche Scene, trefflich durchgeführt, um welche allein schon das Stück, bei allen einzelnen Mängeln, öfter gegeben zu werden verdient! – Ein großes Gewicht hat die Dichterin selbst auf den Monolog der, auf dem Schlachtfeld in Verblutung ermatteten und unter einem Baum hinsinkenden Agnes, im 4ten Akt gelegt. Mad. Schirmer führte die stufenweis bis zur Ohnmacht ausathmende Kraftlosigkeit im Schwellen und Sinken des innern Sturms mit wahrer Vollendung durch, wenn sie erst sinkend den Baum umklammert, dann, mit beiden Füßen knieend, sich nur noch an einen Ast fest hält, endlich nur noch von einer Baumwurzel gestützt wurde. (Die wohlangedeuteten Blutzeichen im Gesicht machten wohl jedes andere Abzeichen in der Hand ganz überflüssig). Die doppelte Aufregung bei der Erinnerung an die hervorkriechenden Verwundeten und beim Lebewohl, dem geliebten Adolf zugehaucht, möch¦te auch wohl durch kein Kunstaufgebot überboten werden können. Als aber nach den Worten: „mein Auge bricht,“ und nach einer darauf eingetretenen Pause sie noch zehn Verse zu sagen bekommt, springt die Unwahrscheinlichkeit einer sich so korrigirenden Ohnmacht zu stark in’s Auge, und dem daraus entstehenden Mißbehagen bei den Zuschauern erliegt die Beifall-würdigste Anstrengung der Künstlerin. Wir konnten uns dabei des Gedankens nicht enthalten: o würde doch dieselbe Kunst zur Darstellung der Julia in der Gruft der Capulets verwandt! – Die dankbarste, aber auch mit vorzüglicher Liebe vom Schauspieler ausgestattete Rolle ist der von Hrn. Werdy gespielte, ehrwürdige Bürgermeister von Antwerpen. Wenn seinem Monolog, nach der Scene mit dem Grobschmidt Wamsen im 2ten Akt, so mag wohl die Art, wie Wamsen mit geballter Faust abging, bei den Zuschauern etwas komisch fortgewirkt haben. Wie wahr gab der Künstler das weise Berathen der unberathenen Witwe im ersten Akt, und in der Unterredung mit Alba die Zuckungen des auflodernden Selbstgefühls, und jenes, allen Henkerbeilen muthig trotzende Wort an Alba: „erst richtet Ihr, dann richtet beide Gott!“ Maske und Costüm waren untadelhaft. Aber so muß er auch schon in den Siebzigen stehen. – Die undankbarste Rolle im Stück war Hrn. Geyer, als Alba, zugefallen. Was muß sich dieser Gewaltmensch hier nicht alles sagen lassen, in Gegenwart der Hellebardirer! Es ist ein Schrei der Natur, als er endlich, da die Frau gar nicht fort wollte, ausruft: Es ist genug! Unter diesen Umständen wissen wir ihm Dank, daß er nur den still-auflauernden, nicht den gebietenden Blutdurst uns darstellte. Kräftiger genommen, hätte es vielleicht ein Gelächter gegeben. – Den wackern Diener Robert gab Hr. Burmeister mit aller gutmüthigen Aengstlichkeit. So einem treuen Hauswächter mag auch wohl etwas Aufdringlichkeit erlaubt seyn. Auch den Oranien zeichnete Hr. Julius im 5ten Akt in kräftigem Selbtgefühl und Würde sehr befriedigend. Wenn nur die ganze erste Scene einen Zweck gehabt und alles was darauf folgte, nicht den Zweifel erregt hätte: ist denn die Bürgerfamilie in Antwerpen von so hohem Feldherrn- und Staatsinteresse? Die Scene, wo die drei Deputirten der Bürgerschaft dem Alba entgegentrotzen, streift so sehr an’s Unwahrscheinliche, daß sie nur sehr untergeordnet und ja nicht vordringlich gespielt werden muß. – Hr. Wilhelmi als van der Leuen, Liebhaber der Agnes, ließ es an Ausbrüstung des Affekts keineswegs fehlen, und das war durch die Situation vollkommen gerechtfertig. Nur schien uns der Behelf mit dem vom Kopf fliegenden Baret doch schon zu oft da gewesen zu seyn. – Hr. Kanow, als Du Lys, mußte freilich, der Ungeduld des Liebhabers und den Gelangweilten zu Gefallen, die Geschichte, wie dies alles in Antwerpen sich zugetragen, so schnell als möglich erzählen. Aber dies darf doch nie auf Kosten der Verständlichkeit geschehen. Sonst spielte er in den berathenen Scenen mit vielem Gefühl und ohne alle Uebertreibung. Viglius und Vargas, als der gute und böse Geist im Blutrath, gnügten vollkommen in ihrem schneienden Gegensatz, Hr. Schirmer hatte einige sehr gemüthliche Worte.– So wäre es bewiesen, daß dem Stück durch die fleißigste Aufführung auf unsrer bühne seon vollkommenes Recht wiederfuhr. Es wird auch auf andern Bühnen gewiß nicht mißfallen. Möchte aber die Dichterin sich entschließen können, das Ganze noch einmal umzuarbeiten und es vom leeren Getümmel und Tiradenauswuchs befreien.

Böttiger.

Am 27. März. Le donne cambiate.

Apparat

Verfasst von

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Agnes van der Lille“ von Johanna Franul von Weißenthurn am 25. März 1819 (Teil 2 von 2). Der erste Teil erschien in der vorigen Ausgabe.

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 88 (13. April 1819), Bl. 2v

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