Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Sappho“ von Grillparzer am 6. Dezember 1819
Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden.
Den 6. December. Sappho, Trauerspiel in 5 Aufzügen, von Grillparzer.
Auch nachdem wir die Sappho par excellence, Mad. Schröder im vorigen Sommer zweimal gesehen und, was hier völlig gleichbedeutend ist, aufrichtig und ohne kleinliche Krittelei bewundert hatten, konnte Mad. Werdy unbedenklich in derselben Rolle wieder auftreten und der lebhaftesten Anerkennung gewärtig seyn. Denn auch sie ist eine wahre Künstlerin und führte den Beweiß davon auch heute, indem sie im Ganzen ihrem frühern Spiele treu, selbst bei einiger Anstrengung, die körperliches Uebelbefinden nöthig machte, den gewohnten Beifall erhielt. Das soll indeß nicht so viel heißen, als ob sie nicht im Einzelnen zuweilen in die Ansichten ihrer Vorgängerin eingegangen wäre, wie z. B. beim Abwägen der Namen Melitta und Sappho, wo sie diesmal den letztern mehr mit Selbstgefühl ihres Werthes hervorhob. Besonders gefiel auch dießmal im Schlußakt das Dankgebet an die Götter, was sie vortretend mit einer Art von Verklärung spricht. Hr. Becker, früher Mitglied des Theaters zu Frankfurt a. M., spielte den Phaon als erste Gastrolle. Durch die etwas leichtfertige Art, womit die Iris und das Kaleidoscop, zwei in Frankfurt erscheinende Tagblätter, diesen jungen, talentvollen Künstler abzufertigen pflegten, konnte unsere Erwartung von ihm nicht eben hoch gespannt seyn. Desto günstiger wirkte seine Erscheinung. So konnte Phaon wirklich ausgesehen haben! Dieß oder etwas ähnliches sagte mancher sich selbst oder seinem Nachbar nach der ersten Beschauung. Gewiß war jener alte Phaon nicht so drapirt – die Tunika war auf der Brust ganz ungriechisch, um nicht zu sagen unmännlich, ausgeschnitten und so hielt auch kein junger Grieche seine Chalmys – gewiß würde jener mit mehr schwärmerischer Glut, mochte sie auch nur an der Strahlenglorie der Geliebten, nicht an ihrer Schönheit sich entzündet haben, gleich Anfangs vor ihr gestanden haben. Denn erst in der wirklich recht zart gespielten Scene mit Melitta im zweiten Akt und in den darauf folgenden leidenschaftlichen Scenen erwärmte sich Herrn Beckers Spiel etwas. Allein die Erscheinung selbst war doch sehr angenehm. Er bewegte sich mit Anstand und Ungezwungenheit auf einer Bühne, die er heute zum ersten Male betrat. Mit einem Worte, er ging und stand, wie alle sollten und nur wenige können! Dazu ein reines, in den Mittel- und Kopftönen wohlklingendes und mit Wahrheit austönendes Organ, und, war auch etwas zu viel Declamation und Betonung, doch meist richtiger Vortrag des Verses mit Wohllaut und rhetorischer Interpunction (die von der grammatischen bekanntlich eben so unterschieden ist, wie Accent und Längenmaaß). Mit einem Worte, das allgemeine Urtheil fiel nach dem der Vorhang gefallen war, dahin aus, daß, was wir gesehn, zwar noch gar kein vollendeter, aber doch ein hoffnungvoller Phaon sey, sobald das alles, was wir sahen und hörten, aus ihm selbst hervorgegangen und, wie ja jeder gern glaubte, seine eigne Schöpfung sey. Wiederholter, lauter Beifall, der ihm bei gelungenen Stellen zuschallte, schien ihm ¦ dießmal mehr noch als Aufmunterung und Vorausbezahlung zu Theil zu werden.
Böttiger.Apparat
Zusammenfassung
Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Sappho“ von Grillparzer am 6. Dezember 1819
Entstehung
–
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Fukerider, Andreas
Überlieferung
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Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 305 (22. Dezember 1819), Bl. 2v