Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Die Piccolomini“ von Friedrich Schiller am 18. Mai 1819 (Teil 3 von 3)

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Die Piccolomini.

(Beschluß.)

Wir möchten Piccolomini und Wallenstein nicht sehen, wenn nicht der Dichter auf diesem furchtbar bewegten Grund, auf dem sich selbst überspringender Ehrgeiz, Selbstsucht, Verrath und alles Schlangengezüchte des Kriegs seltsam geschaart vorüberschreitet, die zwei himmlischen Lichtgestalten, Thekla und Max, als tröstende Vermittler gezeichnet hätte. Wer sie episodisch nannte, hat Schillern nie begriffen. Aber wie viel kommt nun auch auf das Gelingen dieser beiden Rollen an! Es ist die erste Liebe, die vor unsern Augen einen Heldenjüngling und eine Heldenjungfrau mündig macht. Eros und Psyche sind nie reiner, züchtiger vermählt worden. Ihr Orakel ist Liebe bis zum Tod in ihrer Brust. Nun sollte man denken, so etwas spiele sich bei gehöriger Reizbarkeit und Jugend gleichsam von selbst. Auch erinnern wir uns wirklich in Absicht auf Thekla so etwas laut ausgesprochen gehört zu haben. Allein hier muß die vollendete Kunst erst wieder zur Natur werden. Ein bloß frisch aufgeblühtes, empfindsames Mädchen spielte nie eine Thekla. Denn woher sollte ihr die Tiefe und Vornehmheit von Friedlands starker Tochter kommen? Der Grundton ist und bleibt ein wehmüthiges Vorgefühl. Es ist sogar etwas dämonisches in ihrer Brust, das in dem berühmten Monolog, wo hinten das Banket hervorschallt, schauerlich ausbricht. Sie ist in einem gewissen Sinne eine Visionäre. Daher gefällt sie sich auch so im Ausmalen des astrologischen Thurms. Vieles konnte also allerdings mädchenhafter, so gar neckend in der Unterredung mit der bösen Tersky gesagt werden. Und wir sahen es so an Dem. Maaß und hörten es sogar beklatschen. Doch verschmelzt sich dieß nie mit dem Grundton und schreit unangenehm dazwischen. Thekla’s heiterste Momente, wo sie vom Spiele des Lebens spricht, von dem Kranz der Liebe, der dort oben geflochten wird u. s. w., gleichen immer nur jenem berühmten Thränengelächel der Andromache im sechsten Gesang der Iliade. Sie hat in einem Hinsinken an die Brust des Geliebten das Irdische vollendet. Uebrigens heißt es: ernst liegt das Leben vor der ernsten Seele. Wir erklären nach diesem Vorbilde daher unbedenklich diese Thekla für eine der gefühlvollsten und zugleich durchdachtesten Darstellungen von Mad. Schirmer. So wie sie die Rolle bei der ersten Vorstellung umzeichnet und ausgemalt hat, wird sie stets stehn bleiben. Aber im Einzelnen wird noch vieles gerundeter und bei einer Künstlerin, die sich nie ganz gnügt, wollendeter ausgeführt werden können. Schon ihr erstes Costüm war bei der zweiten Vorstellung vortheilhafter. So war der Monolog am Schlusse des dritten Auszugs, so die Erzählung vom astrologischen Thurm noch ergreifender. Aber das dem Innersten entquollene: Das bist du! als Max den Vater gelobt hab, kann in der Hingebung, wo sie schon ganz dem Max zugehörte, noch viel stärker betont werden. Dagegen können wir die Abwesenheit aller, auch der leisesten Schattirungen von Minauderie – es fehlt uns das deutsche Wort für diese Gefall¦kunst – in der Abschiedsscene, wo Max noch einmal umkehrt, und alles Trotzes, wo sie der losen Tersky nur mit resignirter Entschlossenheit und nur mit halber Kopfhebung die Aeußerung thut: er soll in mir des Vaters Tochter finden! nicht genug loben, da wir an dieser Klippe so manche gepriesene Schauspielerin scheitern sahn, weil sie nur Kunstmachwerk gab und nicht aus dem lebendigen Born des Innern schöpfte. Da Mad. Schirmer das Lied zur Gitarre nicht singt, so bringt sie doch durch das nachdenkende Vorschreiten, Gang, Haltung, Pause, den ganzen im Lied geschilderten Kampf in ihrem Innern ganz zur Anschauung. Vollkommene und eben darum ergreifende Wahrheit ist in dem schon mehrmals berührten Monolog. Anfangs alles nach Innen. Ins Aeußere tritt die Vision erst mit dem entzückten Hinaufblicken auf die himmlische Gestalt. Nun tönt die Musik von innen (sie sollte durchaus crescendo anschwellen, was vernachlässigt wurde) und im Spiel der Künstlerin wurde des Eros Fackel wirklich zum Pechkranz. Dieß war nur durch die kräftige Pantomime, womit auch uns Himmel und Abgrund sich öffneten, und durch sehr weise Berechnung und Aufsparung der Kraft möglich.

Das Publikum hatte bei der ersten Aufführung noch manches an Hrn. Burmeisters Ottavio zu bemerken gefunden. Wie weit gerundeter, kräftiger, zuversichtlicher gab er ihn zum zweitenmal. Ottavio ist ein vollendeter Hofmann, der einzige besonnene in diesem Kreise von Taumelnden, Verblendeten oder doch von einer großen Leidenschaft hingerissenen. Welche eine Aufgabe! Die Unterredung mit Max im fünften Akte war ein trefflich durchdachtes, gut motivirtes Werk. Dießmal drängte er sich gleich Anfangs nicht an den Sohn, alles war in ruhigerer Fassung. Auch verrieth er seine Bestürzung über Maxens Verliebtseyn gegen Questenberg weit weniger. Es ist dem Dichter selbst um Ottavio’s Ehrenrettung zu thun gewesen. Doch wird’s kaum überall gelingen, oder es kann nur auf Wallenstein’s Unkosten geschehn. Der Schauspieler, den man, wenn das: Fürst Piccolomini gesprochen wird, bemitleidet, hat das Höchste erreicht.

Mit Schmerz sehen wir in Max Piccolomini’s Reden, besonders gleich in der ersten Unterredung mit Questenberg und dann den Besuch in der Klosterkirche und so vieles andere gestrichen. Um solcher Stellen willen besucht man vorzüglich die Vorstellung der Piccolomini’s. Allein wir können uns sehr gut den Fall denken, wo dieß wieder hergestellt seine volle Wirkung nicht verfehlen wird. Viel zu zahm und still geht’s aber auch auf unsrer Bühne beim Banket zu. Rauschende Tafelmusik muß durch verrätherische Gesundheit unterbrochen, von allen Seiten hervorbrechen und nur dann leiser austönen, wenn vorn gesprochen wird. Wir erinnern uns, daß Schiller selbst beim Einprobiren diese Scene mehrmals wiederholen ließ und auf den sinnlichen Eindruck derselben ein großes Gewicht legte, weil ja diese Orgien den vollen Beleg zum Pechkranze machen, den Thekla schleudern sieht.

Böttiger.

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Die Piccolomini“ von Friedrich Schiller am 18. Mai 1819 (Teil 3 von 3). Die vorigen beiden Teile erschienen in den vorangegangenen Ausgaben.

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 129 (31. Mai 1819), Bl. 2v

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