Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater vom 16. und 18. Mai 1819 (Teil 1 von 3)
Sonntags, den 16. Mai. Auf dem Königl. Hoftheater in der Stadt: Marie, dramatisches Idyll, von Kotzebue, und: Die Onkelei, Lustspiel in einem Akt, von Dr. Müllner. Vor, zwischen und nach beiden Stücken ließen sich Dem. Sigl, Sängerin aus München, mit einer (sehr gehaltlosen) Arie von Mosca, der so beliebten Cavatine Di tanti Palpiti etc., von Rossini, und der Scene und Arie: Rendi il consorte amato etc., und ihr 6jähriger Bruder mit zwei Sätzen Variationen auf dem Violoncell hören. Dem. Sigl hat (bei einem sehr gefälligen Aeußeren) eine recht angenehme, jugendlich frische, ziemlich gleiche, und für ihre Jugend (sie kann ungefähr 16 Jahr alt seyn) starke und kräftige Stimme, welche durch fleißige Uebung und sorgfältige Pflege sich gewiß immer mehr ausbilden und abrunden wird. In Hinsicht ihrer gegenwärtigen Kunstleistung steht sie, wie ich glaube, in der Epoche ihres Künstlerlebens, die ich in meinen letzten Bemerkungen über Signora Spada, als die Erste, *) angegeben habe, und läßt, geleitet von lobenswerther Bescheidenheit, die sie schmückt, und die für jeden Künstler der sicherste Wegweiser zur Selbstkenntniß und Vervollkommnung ist, viel Gutes für die Zukunft erwarten. – Was nun den kleinen Violoncellspieler betrifft, so hätte ich wohl reichhaltigen Stoff, gar manches, vielleicht nicht Uninteressante und Beherzigenswerthe über solche junge, musikalische Treibhauspflanzen im Allgemeinen, und über das frühe, öffentliche Auftreten derselben insbesondre, zu bemerken, allein Raum und Zweck dieser Blätter gestatten dies nicht. Daß bei den Kunstleistungen eines sechjährigen Knaben, und noch dazu auf diesem so schwer zu behandelnden Instrumente, die eigentliche Kritik keine Stimme haben kann, versteht sich von selbst. Es sind nur Andeutungen des zu hoffenden und einst werdenden. Unser kleiner Violoncellist führte die (natürlich und vernünftigerweise seinen Kräften angemessenen) Variationen mit verhältnißmäßiger Fertigkeit, Präcision und größtentheis auch Reinheit aus, und leistete, was man den Umständen angemessen nur billigerweise erwarten konnte. Möchte der liebenswürdige Knabe das Glück haben, nur recht bald in die Schule eines vorzüglichen Meisters zu kommen, um eine sichre gute Methode und besonders eine reine gute Bogenführung zu erlangen. – Beide Geschwister wurden vom Publikum mit der Aufmunterung und Billigkeit aufgenommen, die sie überall, wo ihr Weg sie hinführt, zu finden verdienen.
Fr. Uber.Dienstags, den 18. Mai. Die Piccolomini, Schauspiel in 5 Akten, von Schiller (zum zweitenmal nach der neuen Besetzung).
¦ Die Hoffnung, die uns bewog, unsere Anzeige bis zu einer zweiten Vorstellung zu versparen, ist nicht getäuscht worden. Die zwei Hauptrollen von Wallenstein und Octavio Piccolomini sind aus mancherlei Unsicherheit, die wir bei der ersten Vorstellung hie und da ungern bemerkten, in klare, kräftigere Leistungen übergegangen. Was in der Thekla und im Buttler gleich anfangs im Ganzen vollkommen richtig aufgegriffen und durchgeführt wurde, hat doch auch noch im Ausmalen einzelner Züge sehr gewonnen. Gefällt es der zur geistigen Unterhaltung so gern beitragenden Direction, uns auf der Nebenbühne auch noch Wallensteins Lager vorzuführen, und tritt an die Stelle des sehr achtungswürdigen, nur dieser Rolle völlig entwachsenen Schauspielers ein jugendlich frischer, in Abspiegelung des ersten, reinen Liebeszaubers, der ihn durchdringt, Zartes mit Zartem gattender, dann aber nur der innern Stimme Ruf uns hörbar machender Max Piccolomini; wird der noch in kräftigem Mannesalter lebensfrische Wrangel, die gediegene Kraft dem Sturmbewegten Zweifel gegenüber, keinem uns sonst so lieben Veteran zu Theil; so dürfen wir uns bei der untadelhaften Anordnung des Ganzen und dem angemessenen Zusammengreifen aller übrigen Rollen auf unserer an erprüften Talenten reichen Bühne, rühmen, in der unverkürzten Wiederherstellung des ganzen Wallensteinischen Cyclus eine Kunstleistung zu besitzen, die so nur wenige der größern Bühnen, wo überhaupt Schillers Riesengeist nicht in Nußschalen gesperrt wird, aufzustellen vermögen.
Es muß ein beneidenswerther Kunstgenuß gewesen seyn, als auf der Berliner Bühne der unvergeßliche Fleck den Wallenstein aus Uberfluß und Machtvollkommenheit seiner Kraft, Iffland den Ottavio Piccolomini in loyaler Vornehmheit, Mad. Fleck die Thekla in harmloser Zartheit und Innigkeit darstellten. Was Tiek im zweiten Theil seines Phantasus über Fleck’s alles mit sich fortreisender Schöpfung als Wallenstein uns berichtet, was Schiller selbst über Iffland’s Erfassen des fast immer vergriffenen Octavio urtheilte, ist uns gar wohl erinnerlich. Noch lebt ein Wallenstein, wie er seyn soll, in Eßlair, den zu belehrender Vergleichung als Gast auch über unsere Bühne schreiten zu sehen, der gerechte Wunsch aller Kunstfreunde bleiben wird. Allein verkümmern wir uns durch das Hervorrufen solcher Geister nicht die Gunst der Gegenwart, die uns des Gelungenen viel darbietet und, wenn wir nur selbst zu empfangen verstehn und, uns aus kindisch befangener Spectakellust ermannend, uns mündig und würdig bezeigen, noch weit mehr darbieten wird. Denn wir dürfen es ohne Heuchelei aussprechen, bessern Willen, muthige Entschlossenheit, auch das Schwierigste zu gestalten und aufzustellen, hat hier noch nie eine Direction und ein Künstlerverein gehabt.
(Die Fortsetzung folgt.)
Apparat
Verfasst von
Zusammenfassung
Chronik Dresden, Hoftheater vom 16. und 18. Mai 1819. „Marie“ von Kotzebue und „Die Onkelei“ von Müllner. Dazu der erste Teil der Besprechung von „Die Piccolomini“ von Schiller. Die beiden letzten Teile folgen in den nächsten Ausgaben.
Entstehung
–
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Fukerider, Andreas
Überlieferung
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Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 127 (28. Mai 1819), Bl. 2v